"Mobiler Denkmalschutz":High-Tech aus dem Mittelalter

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Das große Treffen der edlen Ritter: Das Turnierbuch des René d'Anjou, der im Sommer 1446 den französischen Hochadel auf sein Schloss an der Loire eingeladen hatte, gilt als eine der wichtigsten Quellen für den Ablauf mittelalterlicher Feste. (Foto: imago)

Peter Müller hat 1000 Stunden Arbeit in eine neue Rüstung für die Landshuter Hochzeit gesteckt. Was ist so faszinierend an einem Harnisch?

Von Sebastian Beck, Landshut

So eine Ritterrüstung hält einiges aus. Ein Schwerthieb? Ein Schlag mit dem Streithammer? Kein Problem. Aber Dapperer mit fettigen Fingern, die ruinieren auch den edelsten Harnisch. Irgendjemand, da schauen Joachim Rogos und Georg Spitzlberger jetzt ganz genau hin, hat den Brustpanzer berührt. Auf dem schimmernden Stahl ist der Abdruck zu sehen - und muss schnell wegpoliert werden, damit sich kein Rost auf dem neuen Prunkstück festsetzt.

Spitzlberger und Rogos wachen über die Rüstkammer im Landshuter Zeughaus, und damit seit einigen Wochen auch über einen ganz besonderen Neuzugang: eine Harnischgarnitur, die sich vom Fuß- zum Reiterkampf umbauen lässt. Das klingt fürs gemeine Fußvolk und alle Nichtritter eher unspektakulär und sehr speziell. Aber seit 500 Jahren wurde keine derart komplizierte Rüstung mehr gefertigt. Jetzt wartet sie in der Rüstkammer auf ihren Einsatz. Sorgfältig mit Ballistol eingeölt, in Gesellschaft von Dutzenden Helmen, Brustpanzern und anderen Kriegswerkzeugen, die in den vergangenen fünf Jahrzehnten von den Landshuter Förderern für das größte Mittelalterfest Europas zusammengetragen wurden.

Die neue Harnischgarnitur im Landshuter Zeughaus - hier in der Konfiguration für den Fußkampf. (Foto: Sebastian Beck)

Der Plattner Peter Müller hat etwa 1000 Arbeitsstunden in das High-Tech-Gerät gesteckt. Das lässt Rückschlüsse auf ihren Preis zu, über dessen genaue Höhe sich Rogos und Spitzlberger aber ausschweigen. Schließlich wurde die Rüstung von Sissi und Ernst Pöschl, dem langjährigen Vorsitzenden der Förderer, gestiftet, da redet man ungern über Summen. Nur so viel wird verraten: Der Preis entspreche dem eines Mittelklasseautos. Inklusive sämtlicher Extras, sollte man vielleicht noch hinzufügen.

Wieso gibt man Zehntausende Euro für einen einzigen Harnisch aus, der überdies nur alle paar Jahre mal benutzt wird? Die Familie Pöschl, sagt Joachim Rogos, sei der Landshuter Hochzeit eben emotional sehr verbunden. Und die Ansprüche an die Authentizität der Darbietungen steigen, erst recht, nachdem die Landshuter Hochzeit seit 2018 zum immateriellen Kulturerbe der Unesco zählt. "Wir sehen uns als mobile Denkmalpflege", sagt Rogos, der selbst jahrelang die Fechter trainiert hat.

Unter den Augen der edlen Damen

Die "echte" Landshuter Hochzeit fand im November 1475 statt, als Herzogsohn Georg der Reiche die polnische Königstochter Hedwig heiratete. Die Feier ging in die Geschichte ein, auch deshalb, weil das gewaltige Gelage mit 10 000 Gästen bestens dokumentiert wurde. Zu so einem Fest gehörten im Mittelalter Turnierveranstaltungen, auf denen die Ritter ihre Show abzogen - unter den Augen der edlen Damen, wie es in einem Zeitzeugenbericht aus Landshut heißt: "Die Königin lehnte in einem Fenster mit ihren Jungfrauen, um auch zuzusehen." Auf dem Turnierplatz, der sogenannten Rennbahn, traten die Ritter zu Pferd mit Lanzen gegeneinander an, ein geradezu irrwitziger Sport, wenn man bedenkt, dass bis zur Erfindung des Röntgengeräts und der Vollnarkose noch 400 Jahre vergehen sollten.

Der Chronist beschreibt ausführlich, wie die Gegner vor dem "Rennen" einander misstrauisch musterten. Ein Pole nahm es bei Herzog Christoph ganz genau: "Er untersuchte ihn an den Armen, im Gesäß, in den Hosen und wo es ihm dünkte, dass der Herzog einen Vorteil haben könnte." Nach einigem Hickhack, das die Stimmung zeitweise vermieste, traten Christoph und der Pole danach doch gegeneinander an: "Beide hatten so gut getroffen, dass dem Polen der Spieß zerbrach. Der Herzog riss auch das Pferd des Polen mit um."

Ein legendäres Turnier als Vorlage

Plattner Peter Müller hat solche Berichte genau studiert, denn sie dienen als wichtige Vorlage für seine Repliken. Das Turnierbuch des René d'Anjou etwa, der im Sommer 1446 den französischen Hochadel auf sein Schloss an der Loire eingeladen hatte: 90 Ritter und deren Gefolge nahmen an dem Fest teil. Bis heute zeugt eine geradezu fantastisch illustrierte Handschrift, die man auch als "Grafic Novel" bezeichnen könnte, von dem Spektakel und speziell von den dabei verwendeten Rüstungen. Der Text ist in 3952 Versen abgefasst.

High-Tech aus dem Mittelalter: Das Detail eines Ellbogengelenks, das komplett geschützt ist. (Foto: Sebastian Beck)

Vier Jahre lang hat Müller in seiner Werkstatt im baden-württembergischen Orschweier an der Garnitur für Landshut gearbeitet. Das Besondere an ihr ist nicht nur, dass sie in wenigen Minuten für den Kampf zu Pferd umgebaut werden kann. Sie ist überdies komplett geschlossen, dass heißt, der Ritter gibt sich keine Blöße, an der er von seinem Gegner verletzt werden könnte. Armbeugen und Schultern sind mit komplizierten Gelenken versehen - die Vorbilder dafür hat Müller auch auf mittelalterlichen Grabplatten gefunden.

Das Klischee vom unbeweglichen Ritter, das weiß Müller längst, stimmt nicht: Der Harnisch aus gehärtetem Stahl wiegt gerade mal 25 Kilogramm, mit ihm lässt sich sogar ein Purzelbaum schlagen. Er diente in erster Linie als Sportgerät für den Hochadel - viel zu schade, um in einer Schlacht verbeult zu werden.

Joachim Rogos hat Fechter ausgebildet und wacht gemeinsam mit Georg Spitzlberger über die Rüstkammer. (Foto: Sebastian Beck)

Zwei Jahre dauert es noch, bis er auf der nächsten Landshuter Hochzeit beim Festzug vorgeführt wird. Die Rittergruppe entscheidet dann, wer den Harnisch anlegen darf. Nicht zu dick, zu dünn, zu klein oder zu groß soll der Edle sein, sagt Rogos. Das dürfte den Kreis der Kandidaten ein wenig einschränken.

Für den Plattner Müller war der Landshuter Harnisch vorerst der letzte Großauftrag. Die weltweite Nachfrage nach Ritterrüstungen ist nicht gerade riesig, und als Sammelobjekt für herrschaftliche Wohnzimmer sind Harnische auch nicht mehr so gefragt. Plattner Müller, ein studierter Maschinenbauer, arbeitet deshalb wieder bei der Fraunhofer Gesellschaft in der Materialforschung. In seiner Werkstatt, erzählt er, fertige er gerade eine Stahltreppe für einen Freund.

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