Landespolitik:Söder ist der Ober-Bayer

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Strategisch: Ministerpräsident Markus Söder weiß um die Vorbehalte in Oberbayern gegen sich. Auch deshalb besucht er typisch oberbayerische Traditionsveranstaltungen wie den Georgiritt in Traunstein. (Foto: Ernst Wukits/Imago)

Um keinen anderen Regierungsbezirk kümmert sich der Ministerpräsident so wie um Oberbayern. Das soll ihm Stimmen sichern, denn die Landtagswahl wird im Süden gewonnen.

Von Wolfgang Wittl, München

Es ließe sich einiges anstellen an so einem Samstag daheim in Nürnberg, zumal als Familienvater, der die ganze Woche über kaum zu Hause ist. Man könnte mit den Kindern ins Kino gehen, auch wenn der nächste Star-Wars-Film erst im Mai anläuft. Man könnte an der Norikusbucht entlang spazieren, für eine Runde schwimmen ist das Wasser ja noch zu kalt. Oder man isst mit der Familie einfach gemütlich zu Mittag und feilt später ein bisschen an der Regierungserklärung. Doch Markus Söder macht nichts von alledem. Er wird sich in seine Dienstlimousine setzen und zur Vorstandssitzung des CSU-Bezirks Oberbayern brausen, als gäbe es nichts Wichtigeres im Leben, was aus seiner Sicht wohl auch wirklich so ist.

Wie keinen anderen Regierungsbezirk hegt und pflegt Söder die Oberbayern. Keinen anderen besucht er so oft wie das Land zwischen Eichstätt und Freilassing. In keinen Bezirk fließt mehr Geld, keiner wurde bei der Kabinettsbildung jemals üppiger mit Posten bedacht als vom neuen Ministerpräsidenten. Wer vermutet hatte, der Franke Söder kümmere sich vor allem um den sich latent benachteiligt fühlenden Norden Bayerns, öffnet verwundert die Augen. Söder, der Ober-Bayer: Auf Terminen im Voralpenland kreuzt er so konsequent im Janker auf wie Italiener in Lederhosen auf der Wiesn. Nur der weiche Dialekt verrät seine wahre Herkunft.

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Wo auch sonst? Zum letzten Interview als Minister empfängt Markus Söder die SZ im Nürnberger Heimatministerium. Dort sitzt man dann inmitten fast schon klassischer Söder-Accessoires.

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Söder, ein Mann von ausgeprägter Lernbereitschaft, hat in seiner politischen Laufbahn genau beobachtet, was seine Vorgänger richtig gemacht haben und was falsch - und er hat seine Schlüsse daraus gezogen. "Ohne Oberbayern ist eine Mehrheit in Bayern nicht erreichbar", sagt ein erfahrener CSU-Wahlkämpfer. Ein Drittel aller Wähler leben in diesem Regierungsbezirk. Wer hier nicht punktet, dem ergeht es wie Günther Beckstein, dem einzigen Nürnberger vor Söder als Ministerpräsident.

Beckstein bekam die oberbayerische Wut über den Sturz Edmund Stoibers auch deshalb mit voller Wucht zu spüren, weil er nichts unternahm, um die gekränkten Herzen zu heilen. Söder hat sich im Machtkampf sogar gegen zwei Oberbayern durchgesetzt, gegen Horst Seehofer und gegen Ilse Aigner. Er kostet den Sieg nicht aus, sondern tritt betont zuvorkommend auf. "Er streichelt die Seele der Oberbayern besonders liebevoll", sagt einer aus der Fraktion. Das kommt gut an in dem CSU-Bezirk, dessen Mitglieder den Namen ihrer Heimat gerne wörtlich verstehen, wenn sie sich ins Gefüge der Partei einsortieren sollen.

Man konnte über die aufgeregte Kritik schmunzeln, als Becksteins Frau sich weigerte, im Dirndl auf die Wiesn zu gehen. Aber viele Altbayern fühlten sich vor den Kopf gestoßen. "Für uns war das ein Kulturschock", stöhnt einer noch heute. Als Söder beim Aschermittwoch unlängst seinen ersten Auftritt als CSU-Fürst hatte, begleitete ihn seine Frau in landestypischer Tracht. Nichts ist Zufall im Kosmos Söder.

Seit Jahren nimmt sich Söder der oberbayerischen CSU-Basis mit einer Fürsorge an, wie man sie sich beim betreuten Wohnen wünscht. Er besucht die Tölzer Leonhardifahrt, an Ostern war er beim Georgiritt in Traunstein - urbayerische Traditionen. "Ich mag das, ich bin stolz darauf", sagt Söder. Zwei Tage später war er schon wieder da, in Piding fuhr er mit Schleierfahndern auf der Autobahn Streife. Er weiß um die Vorbehalte gegen sich, nicht jeder oberbayerische CSU-ler sieht es gerne, wie der Franke in diesem Bezirk seit Langem wilderte.

Doch die Ressentiments nehmen ab - ein Ergebnis mühevoller Kleinarbeit. Gleichzeitig muss Söder darauf achten, dass andere Bezirke sich nicht vernachlässigt fühlen. Das gelingt nur mit einem irrwitzigen Pensum, das er neben den Regierungsgeschäften absolviert.

Es gibt da eine Zahl, die Söders Oberbayern-Strategie noch besser erklärt: 701 318 - so viele Stimmen hat der oberbayerische Listenführer und Ministerpräsident Horst Seehofer bei der Landtagswahl 2013 gezogen, fast sechs Prozent vom Gesamtergebnis. Fünf Jahre vorher unter dem Franken Beckstein war es gut eine halbe Million Stimmen weniger für die oberbayerische Nummer eins. Siegfried Schneider hieß der Mann, er war Kultusminister. Auch daraus hat Söder Lehren gezogen.

Im Interesse seines eigenen Erfolges unterstützt er seine langjährige Widersacherin Aigner, wo es geht. Mit ihrem neuen Ressort für Wohnen, Bau und Verkehr bekommt die designierte oberbayerische Listenführerin die "Riesenthemen für München und Oberbayern" übertragen, wie Söder sagt. Am Geld, erklärt Söder, werde es nicht scheitern - der Milliardenetat dürfte noch einmal kräftig aufgestockt werden. Die Ilse und er hätten "ein enges und gutes Miteinander wie seit Jahren nicht".

In der Fraktion gab es vereinzelt Grummeln, als Söder das Kabinett vorstellte. Mehr als die Hälfte aller 13 Minister kommen aus München und Oberbayern. Jeder der sechs anderen Bezirke stellt jeweils einen Minister, in Oberbayern sind es sieben. "Das war ein bewusster Akzent, personell und inhaltlich", sagt Söder. In keinem Bezirk ist die Wählerschaft vielschichtiger, der Großstadt-Münchner aus dem reichen Bogenhausen und dem armen Hasenbergl gehört zu ihr wie der Almbauer aus dem Chiemgau. Dies spiegelt sich auch in Söders Besetzungssystematik, gerade bei den Frauen.

Die Professorin Marion Kiechle, Wissenschaftsministerin, viermal verheiratet und konfessionslos, soll moderne Frauen ansprechen. Die Sozialpädagogin Kerstin Schreyer ist zuständig für Kitas, ein Thema, das im Großraum München so zu Hause ist wie sie. In der Landwirtschaft fiel die Wahl auf Michaela Kaniber, eine volksnahe Dirndlträgerin aus dem Alpenland. "Söder muss ein Oberbayern-Defizit wettmachen", sagt ein Abgeordneter, "das kann man am besten mit Personen" - und offenbar mit unterschiedlichsten Typen. "Wir werden die stärkste Oberbayern-Liste haben, die es seit vielen Jahren gab", kündigt Söder an. Auch der frühere Minister Thomas Goppel, seit 44 Jahren im Landtag, tritt nun ein weiteres Mal an.

Führende Köpfe in der Partei denken bereits wieder an die absolute Mehrheit im Herbst. Darüber zu sprechen, verbiete sich von selbst, warnt einer, der die Bedeutung Oberbayerns am besten kennt. "Hier die Menschen zu überzeugen, ist ein Schlüssel für den Erfolg in ganz Bayern", sagt Edmund Stoiber. Er hat seinem ehemaligen Schüler Söder schon versprochen, im September und Oktober mehrere Wahltermine zu absolvieren. So mancher in Nürnberg weiß, was es heißt, den Oberbayer Stoiber auf seiner Seite zu haben.

© SZ vom 14.04.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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