Trotz Tablets und Smartphones scheint das Briefeschreiben auf Papier selbst für die Jüngsten noch nicht antiquiert zu sein. Zumindest nicht bei Kindern aus mehr als zehn Schulen im Landkreis Dingolfing-Landau: Rund 100 von ihnen haben in den vergangenen Monaten Briefe an die Buchhandlung Cactus an der Ludwigstraße in Landau geschrieben, in denen sie ihre Gefühlswelt in Corona-Zeiten offenbaren. Sie sind damit der Einladung von Buchhändlerin Stefanie Walter gefolgt, die den Kindern aus der Region während des Lockdowns eine Freude machen wollte.
Üblicherweise lädt die Buchhandlung jedes Jahr zu einem großen Lesetreff für Kinder am Welttag des Buches ein. "Wir lieben Kinder, und wir vermissen sie bei uns im Laden", sagt Walter. Da die gegebenen Umstände ein Zusammenkommen in der Buchhandlung dieses Jahr nicht zuließen, hat sich Walter etwas anderes überlegt: "Am 23. April hätten wir eigentlich wieder bis zu 600 Kinder bei uns im Laden gehabt, das ist leider bedingt durch Corona ausgefallen", sagt die 51-Jährige. "Deshalb haben wir uns die Briefaktion als Alternative überlegt."
Die Idee dazu kam über eine andere Buchhandlung in Deutschland, die bereits eine ähnliche Aktion durchgeführt hatte. In einem Brief, den Walter über die Schulen im Landkreis an die Kinder schickte, rief sie die Buben und Mädchen auf, handschriftliche Briefe zu schicken. Dabei setzte Walter auf ein besonderes Stilmittel: "Ich habe den Brief mit der linken Hand geschrieben, da kam mein inneres Kind zum Vorschein", erzählt sie. In ihren Briefen sollten die Schülerinnen und Schüler berichten, wie es ihnen im Lockdown ergeht und was sie umtreibt.
Dabei sollten sie sich nicht von möglichen orthografischen Schwächen abhalten lassen: "Wir haben in unserem Brief extra geschrieben, dass es uns nicht auf Rechtschreibung ankommt." Die Resonanz war groß - und sie hält bis heute an: Mehr als 100 Briefe sind seit April im Buchladen eingetroffen, alle handschriftlich verfasst und teilweise mit Malereien verziert. Die meisten Kinder besuchen die vierte oder fünfte Klasse und sind höchstens elf Jahre alt. "Was die Kinder schreiben, berührt mein Herz ganz stark," sagt Walter. Sie berichten von Langweile, Einsamkeit und Traurigkeit. Aber auch darüber, wie sehr sie sich auf die Schule freuen - auf jenen Moment, wieder mit ihren Mitschülern zusammen sein zu können.
"Die Kinder haben uns zum Beispiel geschrieben, dass sie sich zu Beginn der Pandemie noch darüber gefreut hätten, nicht mehr in die Schule gehen zu müssen", berichtet Walter. "Später kam dann aber Frustration und Wut über die Schulschließung dazu. Sie schreiben darüber, dass sie ihre Freude ganz stark vermissen und den normalen Schulalltag." Witze, Sprüche oder eigene Gedichte finden sich ebenfalls in den Briefen. Trotzdem: Die Sehnsucht nach Normalität schimmert immer durch. Ein Mädchen schreibt: "Am meisten nervt es mich, dass es immer wieder heißt: Wir dürfen wieder in die Schule, und dann plötzlich nicht mehr. Das Einzige, was man im Radio oder im Fernseher noch hört oder sieht ist Corona." Sie störe es, dass sich viele Menschen nicht an die Corona-Regeln hielten und auch deshalb die Kinder nicht wieder in die Schule dürften.
Das Team um Stefanie Walter hat sich von Anfang an vorgenommen, jeden Brief zu beantworten - und das so persönlich wie möglich. "Die Kinder freuen sich immer sehr, wenn wir ihnen antworten und auf ihre speziellen Inhalte eingehen. Sie schreiben dann oft noch einmal zurück", sagt Walter. Die Briefe von Schülern, die mit der Veröffentlichung einverstanden sind, werden im Buchladen ausgehängt. Dort können Passanten lesen, was die Kinder im Landkreis bewegt. Auch bei den Eltern sei die Aktion positiv aufgenommen worden, da die Buben und Mädchen "mal wieder etwas Menschliches ohne Hygieneauflagen erleben könnten", sagt Walter.
Walter und ihr Team wollen auf jeden Fall weitermachen mit der Briefaktion - auch wenn mit den Lockerungen wieder etwas Normalität in den Alltag zurückkehrt ist. "Wie lange wir die Aktion noch weitermachen, wissen wir noch nicht genau," sagt Walter. In einer Sache ist sie sich allerdings sicher: "Da entstehen gerade Brieffreundschaften bis ins hohe Alter."