Kunstaktion in Nürnberg:Fokus auf die Unsichtbaren

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Lisa Hrubesch, 33, hat Anthropologie, Kultur- und Museumswissenschaften studiert. Sie arbeitet am Nürnberger Staatstheater und als freie Kulturwissenschaftlerin. (Foto: Nicole Knelleken/oh)

Im öffentlichen Raum wird hauptsächlich an Männer erinnert. Lisa Hrubesch richtet den Blick auf Frauen, die kein Denkmal bekamen

Von Olaf Przybilla, Nürnberg

Männer, in Stein gemeißelt oder in Form gegossen, kann man auf Nürnbergs Plätzen in Fülle entdecken. Denkmäler von Frauen dagegen? Dürftig, praktisch nonexistent. Mit einer Kunstaktion will Lisa Hrubesch einen Fokus auf diese Leerstelle richten.

SZ: Frau Hrubesch, Ihr Projekt heißt "Die Unsichtbare*". Klingt spannend.

Lisa Hrubesch: Es geht darum, die Aufmerksamkeit auf die Unverhältnismäßigkeit der Geschlechter in der öffentlichen Erinnerungslandschaft zu richten. Ich beschäftige mich seit Jahren mit Repräsentationskultur und habe beobachtet, dass 99 Prozent der Denkmäler in Stadträumen schlicht Männer abbilden. Selbstverständlich aber wird Geschichte auch von Frauen geprägt. Nur sind diese unsichtbar.

Sie stehen auch deutlich seltener in den Geschichtsbüchern.

Exakt. Die fehlenden Denkmäler für Frauen sind also lediglich ein Symptom einer männlich geprägten Geschichte, nein, einer männlich erzählten Geschichte.

Einer männlich geprägten Geschichtsschreibung.

Ja, genau so. Mit dem Befund bin ich auf Spurensuche gegangen und bald auf die Historikerin Nadja Bennewitz gestoßen, die viel zur Frauen- und Geschlechtergeschichte publiziert hat. In unserem Projekt soll es darum gehen, diese Leerstellen mit den Mitteln der Kunst aufzuzeigen und Beispiele zu nennen, an wen alles nicht erinnert wird. Wobei es nicht vor allem darum gehen kann, im Nachhinein historische Persönlichkeiten zu ergänzen. Sondern darauf hinzuweisen, dass es über Jahrhunderte diese Unverhältnismäßigkeit gab und gibt und unsere Wahrnehmung von Gesellschaft und Geschichte prägt. Wer nicht vorkommt in der Geschichtsschreibung, der existiert eben auch nicht.

Nun dürfte es eine der schwierigsten Aufgaben von Kunst sein, die Manifestation einer Leerstelle sichtbar zu machen.

So ist es. Ich habe mich also auf die Suche nach einer Fotografin gemacht, die diese Leerstellen im Bild darstellen kann. Als die Liste der von aus ausgewählten Frauen erstellt war, haben wir Orte gesucht, die diese repräsentieren könnten: deren Geburtsort oder ein Ort, wo sie gewirkt hat. Es gibt aber auch rein symbolische Bezüge. In wenigen Monaten werden in einer Ausstellung voraussichtlich im Nürnberger Z-Bau 20 großformatige Fotos zu sehen sein: Man wird auf leere Plätze blicken, wo an diese Frauen erinnert werden könnte. Die Geschichte von Fatmeh etwa, einem Mädchen, das im Zuge der Türkenkriege aus Griechenland bis nach Stein bei Nürnberg verschleppt wurde und unter ungeklärten Umständen gestorben ist, könnte man am Heimatministerium erzählen. An Heldinnen des antifaschistischen Widerstandes wiederum könnte man am Platz der Opfer des Faschismus erinnern.

An wen denken Sie da?

Kunigunde Schwab-Schumann etwa. Sie hatte sich in der sozialistischen Arbeiterjugend engagiert und war mit 20 gleich nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten der KPD beigetreten. Kuni hat nachts Reden geschrieben. Die getippten Reden verpackte sie in einzelnen Umschlägen und verteilte sie am Morgen auf verschiedene Briefkästen, um keinen Verdacht zu erregen. Sie wurde zu einem Jahr Einzelhaft im Frauengefängnis Aichach verurteilt, was ihren Willen aber nicht gebrochen hat. Sie hat auch danach Familien politischer Gefangener unterstützt. Nach dem Zweiten Weltkrieg war sie eine der sechs Politikerinnen, die neben 174 Männern an der verfassungsgebenden Landesversammlung Bayerns teilnahmen und besonders für die Rechte von Frauen eingetreten sind. Ein denkbarer Standort, um an sie zu erinnern, wäre auch der Platnersberg, wo sie nachts illegal Reden geschrieben hat.

Wie haben Sie ausgewählt?

Gemeinsam mit der Historikerin Annette Schuster haben wir nach weiblichen Personen aus sämtlichen gesellschaftlichen Bereichen gesucht. Nicht nur Heldinnengeschichten werden abgebildet, sondern auch Frauen mit Leidensgeschichte, mit Migrationsgeschichte oder auch weibliche Personen, die sexuell anders orientiert sind. Es geht uns darum, die Vielfalt der Gesellschaft auch in diesem Bereich deutlich zu machen. Frauen malen und erziehen nicht nur, Frauen forschen, sie erfinden, denken, machen Politik.

Wird auch Agnes Dürer vorkommen?

Klar, und auch andere durchaus prominente Frauen: die Äbtissin Caritas Pirckheimer etwa, die sich dem Stadtrat bei dessen Versuchen widersetzte, das Klarissenkloster gegen den Willen der Nonnen aufzulösen. Ihr ist schon ein Haus gewidmet in Nürnberg - aber eben kein Personendenkmal als mächtigste und repräsentativste Form der Würdigung. Da besteht ein eklatantes Missverhältnis.

© SZ vom 08.10.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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