Kommunalwahl in Ingolstadt:Das Duell ums Rathaus wird allmählich spannend

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Duell um das Amt des Oberbürgermeisters in Ingolstadt. (Foto: Illustration: SZ, AdobeStock/Ins)

Ingolstadts Oberbürgermeister Lösel scheint sich des Wahlsiegs sicher zu sein: Seine Bilanz ist nicht schlecht. Doch Herausforderer Scharpf hat in den Umfragen aufgeholt.

Von Johann Osel

Wenn es um die Autoindustrie und ihre Zukunft gehe, dann warne er vor "fallbeilartigen Lösungen", die "uns Arbeitsplätze kosten in diesem Staat". Ein Satz, den das Publikum gern hört, Applaus für Christian Lösel. Es läuft bestens an diesem Vormittag für Ingolstadts Oberbürgermeister.

Der CSU-Politiker sitzt mit zwei seiner Herausforderer - Christian Scharpf (SPD) und Petra Kleine (Grüne) - auf einem Podium in der Innenstadt, die Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft (VBW) hat geladen. Thema: "Strukturwandel als Chance für Ingolstadt." Der Zuspruch für Lösel (für die anderen treten nur einsame Klatscher ein) liegt an den Gästen: meist Wirtschaftsfunktionäre und Unternehmer, eine Schülergruppe sticht heraus.

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Relevant ist wohl auch der Moderator, VBW-Chef Bertram Brossardt. Der schwärmt von den "wunderbaren Autos mit wunderbaren Antrieben" und konfrontiert Lösels lokale Kontrahenten mit der Politik der grünen Bundespartei und des SPD-geführten Bundesumweltministeriums. Kleine verdreht die Augen, Scharpf schnauft auf - und Lösel kann sich als OB und Macher in Szene setzen.

"Wir müssen den Wandel aktiv mitgestalten, wir können uns nicht darauf verlassen, dass die Arbeitsplätze von morgen automatisch hier angesiedelt werden", sagt er über die "Wucht des Wandels" und geht zum Eigenlob über. In den sechs Jahren Amtszeit sei er "so ziemlich jedes Themenfeld angegangen, um die Stadt weiterzuentwickeln". Das stimmt auch, in Ingolstadt wurden unzählige Projekte angedockt, für Künstliche Intelligenz, autonomes Fahren, Biotechnik, bis hin zur Vision von Flugtaxis. Das halten die politischen Mitbewerber im Grundsatz für klug, kritisieren eher Nuancen.

Die Schrauber am Band würden nicht rasch Softwareentwickler, mahnt Kleine. Spätes Handeln, "wir wissen nicht erst seit gestern, dass Ingolstadt monostrukturell geprägt ist", rügt Scharpf. Nur nach diesem Termin neulich zu schließen, müsste Lösels Wiederwahl eine klare Sache sein. Ist sie aber nicht - weil es im Wahlkampf nicht nur um die Zukunft der Stadt geht, sondern auch um ihre jüngste Vergangenheit. Um skandalgeprägte Jahre.

Aufsehen hat in diesen Tagen eine Forsa-Umfrage im Auftrag des Donaukuriers erregt. Alles deutet auf eine Stichwahl hin, auf ein Duell von Lösel (39 Prozent) gegen Scharpf (28 Prozent). Der SPD-Mann hat seinen Wert im Vergleich zu einer Umfrage im Januar fast verdoppelt - zulasten der Grünen-Kandidatin - und sich an die Fersen des Amtsinhabers geheftet.

Insgesamt haben neun Parteien und Vereinigungen OB-Kandidaten nominiert. Auch das Spektrum der Listen ist zersplittert: elf sind es. Die ersten vier in der Gunst, laut Umfrage: CSU (34 Prozent), SPD (18), Grüne (13) und Freie Wähler (zwölf). Es läuft auf den Zweikampf zu, der auf Plakaten so illustriert wird: "Unser Christian" (Lösel) versus "Er kann's" (Scharpf). Und die vielen Kleinen, die gemeinsam auf mehr als 20 Prozent kommen, dürften sich positionieren.

Lösel - 2014 mit knapp 53 Prozent Wahlsieger und zuvor rechte Hand seines Vorgängers Alfred Lehmann (CSU) - gab sich in einem Interview nach der Umfrage nicht unzufrieden, für Person wie Partei sei aber noch "Luft nach oben". Er wolle seine "solide, ruhige Politik" zum Wohle der Bürger fortsetzen. Scharpf ist euphorisiert, macht eine "Wechselstimmung" aus. Er schmiedet bereits an einem breiten Bündnis und hat zahlreiche kleinere Parteien zum Gespräch gebeten. "Verhindert" waren nur die FW, die im Stadtrat mit der CSU zusammenarbeiten. "Es tut sich jetzt was", frohlockt Scharpf. Die CSU stellt in der Heimatstadt von Horst Seehofer seit 1972 den OB.

Ein Treffen mit dem Lösel-Verfolger, er schlägt das Café im Neuburger Kasten vor, dem Bürgerhaus. Einst habe er dort seinen Zivildienst gemacht. Scharpf wirbt mit einem "Neuanfang". Der Jurist, der sehr bodenständig daherkommt, ist zwar in Ingolstadt geboren, arbeitet aber in München. Nicht irgendwo, sondern im Rathaus als Stadtdirektor in der Führungsebene. Da lernte er als Vertrauter der Oberbürgermeister Christian Ude und Dieter Reiter, so erzählt er, "das Handwerkszeug" und "wie man eine Großstadt erfolgreich regiert". Er habe Erfahrung, sei aber "unverbraucht" und gehöre nicht zum "politischen Establishment" in Ingolstadt mit den "eingefahrenen Strukturen" und "Seilschaften".

Kopf an Kopf: Christian Scharpf von der SPD möchte ...

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(Foto: Andreas Gebert/dpa)

...den Posten von OB Christian Lösel (CSU).

Programmatisch will er "abseits der Steckenpferde" des Amtsinhabers dem Mittelstand "mehr Dienstleistungscharakter" anbieten; die Zusammenarbeit mit Landkreisen und Gemeinden im Umland müsse besser werden ("Das dümpelt vor sich hin"), er wolle zudem ein "soziales Ingolstadt". Und der öffentliche Nahverkehr müsse in Schwung kommen. Dass Ingolstadt als Audi- auch Autostadt und in der Folge staugeplagt ist, ruft viel Unmut hervor. Das zeigt sich etwa auch beim VBW-Podium.

Einer aus der Gymnasiastengruppe will wissen, warum in Ingolstadt bei Angebot, Takt und Preis im ÖPNV so vieles nicht gehe, was andernorts selbstverständlich sei. Die Attraktivität der Stadt, so auch in der Kulturszene, wird ebenfalls kritisch angesprochen. Noch einige andere Baustellen. Und doch ist es so, dass ein riesiges Aufregerthema fehlt für die Opposition - immerhin 54 Prozent der von Forsa befragten Bürger sind mit der Rathauspolitik zufrieden. Kein famoser Wert, aber auch kein miserabler.

Eine Sache allerdings könnte Folgen haben für Wahlentscheidungen. Der Schmu und die Skandale, die Ingolstadt die vergangenen Jahre beschäftigten, für Razzien in der Verwaltung sorgten und im Stadtrat das Klima giftig trübten. Ein Oppositionsbündnis inklusive SPD piesackte die Stadtspitze mit üppigen Fragenkatalogen, von der Gegenseite kamen Begriffe wie "Brunnenvergifter". Strittig ist, ob ein prominenter CSUler wirklich den gesamten Stadtrat "Deppenhaufen" nannte. Es würde aber zur Tonlage der dortigen Politik passen.

Da war zunächst die Klinikaffäre, dort war ein System der Spezlwirtschaft rund um den Ex-Geschäftsführer publik geworden, mit Zuschanzen von Aufträgen und derlei Günstlingsdiensten. Die Kontrollinstanzen wie der vom OB geleitete Aufsichtsrat hatten offenbar versagt. Dann geriet Lösels Vorgänger Lehmann ins Visier der Staatsanwaltschaft, nach seinem Abschied aus dem Amt 2014 hatte er nicht nur eine Fülle mitunter zwielichtiger Beraterverträge angenommen, sondern wurde auch 2019 vom Landgericht wegen Bestechlichkeit und Vorteilsannahme zu einer zweijährigen Bewährungsstrafe verurteilt. Es ging dabei um seine Stadtwohnung sowie eine Etage Studentenbuden - und um enge Bande mit Bauunternehmen.

Lösel, politischer Ziehsohn Lehmanns, gelang die Distanzierung (bei seiner Aussage vor Gericht gab es nicht mal Blicke für den Vorgänger), er stellte sich an die Spitze von Aufklärung und Transparenzregeln. Ein Privatinvestment Lösels - in einer Firma unter anderem mit Lehmann und einer Baufirma - gab er auf, als die Fragen zu laut wurden. Lösel selbst stand nie im Fokus von Ermittlungen.

Welche Rolle das für Bürger beim Urnengang spielt, ist unklar. Hört man sich unter CSU-Wahlkämpfern um, heißt es: "Selten, dass das einer anspricht." Es gebe ja ein Urteil, "finito", meint ein eifriger Wählerwerber; und die solide Regierungsarbeit überstrahle das. Herausforderer Scharpf sagt, er wolle "nicht in Details herumbohren". Aber er scheue sich nicht, für die Ingolstädter Politik insgesamt das Wort "Filz" zu verwenden - für "die Verquickungen zwischen politisch Handelnden, Spitzen der Stadtgesellschaft und Unternehmern".

Dazu komme "die brutale Machtpolitik der CSU", wo alles "abgeschmettert" werde und Kritik als "Majestätsbeleidigung" gelte. "Die Leute wollen das nicht mehr", so Scharpf - er sei die Chance für die Abwahl. Am Infostand gebe es plötzlich Schlangen, das kenne man von seiner Partei kaum. Natürlich sagten einige, sie haben nie SPD gewählt und wollen das nicht. Da sage er: "Ihr wählt's ja mich, den Scharpf Christian."

© SZ vom 05.03.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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