Archäologie:Der "Eisprinz" wird aufgetaut

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Ein Restauratoren-Team taut das 1300 Jahre alte schockgefrostete Kindergrab auf. Der Eispanzer hatte die außergewöhnlich gut erhaltene Bestattung beim Transport in die archäologische Restaurierungswerkstatt geschützt. Nun soll sie untersucht werden. (Foto: Bayerisches Landesamt für Denkmalpflege)

Das Bayerische Landesamt für Denkmalpflege hat erstmals ein komplettes Grab für den Transport schockgefrostet. Damit der 1300 Jahre alte Fund seine Geheimnisse preisgeben kann, muss der kalte Panzer aber jetzt wieder beseitigt werden.

Von Hans Kratzer, Bamberg

Zweifellos zählt das Eis zu den treuesten Gehilfen der Archäologen. Niemals wäre der Leib des Ötzi, jener weltberühmten Gletschermumie, so gut erhalten geblieben, hätte ihn nicht das ewige Eis der Ötztaler Alpen über Jahrtausende hinweg konserviert. Und wer weiß, welche Sensationsfunde auf den Gletschern künftig noch zum Vorschein kommen werden. Ungeachtet dessen bedient sich die Archäologie nun selber der Eiseskälte, um sie als Hilfsmittel bei der Bergung von Bodenfunden einzusetzen. Diese Methode kam nun erstmals im schwäbischen Tussenhausen (Landkreis Unterallgäu) zum Einsatz, und nach derzeitigem Stand verläuft das Pilotprojekt sehr erfolgreich.

Im vergangenen Oktober wurde das Kindergrab im schwäbischen Tussenhausen geborgen. (Foto: Bayerisches Landesamt für Denkmalpflege)
Nach der Bergung wurden alle Schichten des Grabes und des Erdblocks mit Flüssigstickstoff schockgefrostet. (Foto: Bayerisches Landesamt für Denkmalpflege)

Im vergangenen Oktober hatte ein Archäologenteam in Tussenhausen ein etwa 1300 Jahre altes Kindergrab geborgen. Darin befand sich das Skelett eines Buben, der wohl im 7. Jahrhundert gemeinsam mit einem Hund bestattet worden war. Da das Kind noch Milchzähne hatte, wird es bei seinem Tod kaum älter als zehn Jahre gewesen sein. Zählt ein solcher Grabfund noch weitgehend zur archäologischen Routine, so sorgte in diesem Fall die Art der Bergung für Aufsehen. Denn die Grabkammer wurde mitsamt den Überresten des Knaben und des Erdreichs komplett in einem Block aus dem Boden gehoben. Dabei wurde erstmals die vom Bayerischen Landesamt für Denkmalpflege entwickelte Schockfrost-Technik angewandt. Um das Grab für den Transport vom Fundort ins Bamberger Depot zu schützen, wurde es Lage für Lage mit Wasser benetzt, und dann wurde alles mit Flüssigstickstoff schockgefrostet. Das Einfrieren sollte verhindern, dass die Funde verrutschen und beschädigt werden.

Nun aber, so teilte die Behörde in einem Anflug von Poesie mit, gerate der sogenannte Eisprinz ins Schwitzen. Restauratorinnen und Restauratoren schmelzen nämlich in dieser Woche das Eis unter anderem mit Heißluftfön und Lötkolben kontrolliert ab. Das tiefgefrorene Kindergrab wird also aufgetaut. Da bei der Bergung keine Sedimente ins Innere gedrungen waren, befinden sich die Funde in einem für ein Grab aus dieser Zeit hervorragenden Zustand.

Das Tauwasser wird über einen Sauger abgeleitet

Nachdem der Block mit dem Skelett des Kindes mehrere Monate lang in einer Gefrierzelle gelagert war, "ist der Spitzname unseres kleinen Eisprinzen bald obsolet", verkündete das Landesamt für Denkmalpflege. "Unser Restauratoren-Team hat diesen Prozess minutiös vorbereitet", erklärte Generalkonservator Mathias Pfeil, der Leiter des Landesamtes. Für den Auftauprozess wurde der 800 Kilogramm schwere Block in einen Raum gebracht, dessen Raumfeuchte kontrolliert werden kann. Damit das Tauwasser die Funde nicht beschädigt, wird es über einen Sauger abgeleitet. In den Pausen sorgt eine Kühlhaube für eine konstante Temperatur von minus vier Grad Celsius.

Das Auftauen wird mehrere Tage dauern. Danach werden Anthropologen und Archäobotaniker erste Materialproben analysieren. Aber erst die später folgenden Detail-Untersuchungen geben dann auch Aufschluss über die Umstände der Bestattung, die Todesursache und das Alter des Kindes. Ob es sich beim "Eisprinzen" tatsächlich um den Spross einer gesellschaftlich höher gestellten Familie handelt, ist unklar. Allerdings sprechen seine Grabbeigaben dafür: etwa ein Schwert mit einem mit Goldbeschlägen verzierten Gurt und reicher Schmuck wie Goldblattkreuze und Armreifen aus Silber.

Für die Wissenschaft von besonderer Bedeutung sind vor allem die organischen Reste. Zahlreiche Stoff- und Lederreste beispielsweise von der Schwertscheide, dem Waffengurt sowie der Kleidung sind erhalten geblieben. "Sie versprechen hochinteressante Einblicke in die Grabausstattung und in die frühmittelalterliche Textiltechnologie", sagt Britt Nowak-Böck, Leiterin der archäologischen Restaurierungswerkstätten des Landesamtes für Denkmalpflege. Hochwertige Textilien und verziertes Leder hatten für die Darstellung des Status im Frühmittelalter eine große Bedeutung. Wieder einmal sorgen Eis und Kälte dafür, dass wir heute packende Blicke in die Vergangenheit werfen können.

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