Kabinettssitzung:Koalition hält Überfall aus Wahlkampf heraus

Lesezeit: 3 min

Nach der Prügelattacke an der S-Bahn: CSU und FDP können sich nicht auf Änderungen im Jugendstrafrecht einigen - und vertagen ihren Streit.

K. Auer und K. Stroh

Nach der tödlichen Prügelattacke zweier Jugendlicher auf den 50-jährigen Geschäftsmann Dominik Brunner am Münchner S-Bahnhof Solln hat die schwarz-gelbe Koalition ihre Differenzen zum Jugendstrafrecht auf die Zeit nach der Bundestagswahl vertagt.

In einer Arbeitsgruppe unter der Leitung von Justizministerin Beate Merk (CSU) sollen die verschiedenen Forderungen nach den strafrechtlichen Konsequenzen aus der brutalen Tat diskutiert werden. "Es gibt unterschiedliche Positionen", betonte Ministerpräsident Horst Seehofer. Wenn die Arbeitsgruppe in etwa vier Wochen einen Kompromiss findet, will Bayern eine Bundesratsinitiative starten.

Die CSU verlangt schon seit Jahren härtere Strafen für jugendliche Kriminelle. So soll die Höchststrafe von zehn auf 15 Jahre erhöht werden und bei besonders schweren Fällen auch eine Sicherungsverwahrung angeordnet werden können.

Die FDP ist gegen eine Verschärfung des Jugendstrafrechts, sie plädiert vielmehr dafür, die rechtlichen Möglichkeiten voll auszuschöpfen und junge Straftäter zwischen 18 und 21 Jahren öfter nach Erwachsenenstrafrecht zu verurteilen. Bayerns FDP-Chefin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger wiederholte am Mittwoch, dass sie die Pläne der CSU nicht unterstützen werde. Höhere Strafen schreckten Gewalttäter nicht ab.

Polizisten in die Züge

Die Grünen nannten dieses Ergebnis der Kabinettssitzung ein Armutszeugnis. ,,Unter dem Vorwand, sich mehr Zeit nehmen zu wollen, will die Koalition das sensible Thema bis nach der Bundestagswahl verschieben und so über ihre fortwährenden Koalitionsstreitereien hinwegtäuschen'', erklärte die innenpolitische Sprecherin Susanna Tausendfreund.

Dabei könne es bei zwei völlig unterschiedlichen Meinungen nur einen faulen Kompromiss geben. Sie forderte konkrete Maßnahmen für mehr Prävention. Die Freien Wähler bemängelten, in Bayern gebe es zu wenig Justizbedienstete, Polizisten und Schulsozialarbeiter.

Die will auch die Regierung stärken, allerdings nicht mit neuen Ideen. Die Pläne, die nach dem Amoklauf von Winnenden aufgelegt worden seien, würden weiter verfolgt, sagte Seehofer - beispielsweise die Stärkung der Schulsozialarbeit. Außerdem will die Koalition den öffentlichen Nahverkehr besser überwachen. In München seien 105 S-Bahn-Züge mit jeweils 16 Kameras ausgerüstet, sagte Verkehrsminister Martin Zeil (FDP).

Er betonte, damit sei die Sicherheitsoffensive aus dem vergangenen Jahr umgesetzt und von der FDP keineswegs blockiert worden. Während Innenminister Joachim Herrmann (CSU) die Überwachung aller U- und S-Bahnen fordert, in München wie Nürnberg, gibt sich Zeil zurückhaltend. Das Konzept komme noch einmal auf den Prüfstand, sagte er.

Zudem sollen mehr Polizisten mögliche Täter abschrecken. Herrmann plant eine Übereinkunft mit Kommunen und der Bahn, dass Polizisten künftig überall kostenlos fahren dürfen, wenn sie auch außerhalb der Dienstzeit bei Auseinandersetzungen einschreiten und Präsenz zeigen. In Nürnberg und im Bahnverkehr ist das bereits so, in München erhalten Polizisten bislang ein verbilligtes Ticket.

Zeil und Seehofer reden

Der seit Wochen anhaltende Koalitionskrach trat angesichts des brutalen Verbrechens völlig in den Hintergrund. Wenngleich sich Seehofer und sein FDP-Stellvertreter Wirtschaftsminister Martin Zeil auch um einen solchen Eindruck bemühten. Erstmals nach sechs Wochen hatten sie am Morgen wieder unter vier Augen miteinander gesprochen und am Mittag überraschend beide an der Pressekonferenz nach der Kabinettsitzung teilgenommen, die eigentlich nur Herrmann und Merk bestreiten sollten. "Wir arbeiten, wir sind handlungsfähig, wir sind effizient - und dabei bleibt's", sagte Seehofer auf die Frage nach dem Koalitionskrach. Und auch Zeil gab sich staatstragend: "Wir haben vereinbart, dass wir die vertrauensvolle Zusammenarbeit zum Wohle unseres Landes fortsetzen."

Die Stimmung in der Kabinettssitzung, die bis weit in den Nachmittag hinein und damit wesentlich länger dauerte als üblich, wurde von mehreren Teilnehmern als betont harmonisch und geschäftsmäßig beschrieben. Strittige Themen wurden vertagt, etwa ein Beschluss zu den von der CSU geplanten Verschärfungen im Sexualstrafrecht.

Auch die Rückkehr zur 40-Stunden-Woche für Beamte wurde grundsätzlich gebilligt, wegen drohender Personalengpässe an den Hochschulen handelte das FDP-geführte Wissenschaftsministerium jedoch zusätzliche Stellen für sich heraus. Die Details sollen bis Oktober geklärt werden. Über die Verstimmungen in der Koalition gab es offenbar keine Aussprache. Doch abgehakt ist der Streit nicht. ,,Natürlich muss man da noch mal drüber reden'', sagte FDP-Generalsekretärin Miriam Gruß. Es liege an der CSU, die Spitzen gegen die FDP einzustellen.

© SZ vom 17.9.2009 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: