Humanismus:Jerusalem, Babylon, Nürnberg

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Eine Stadtansicht von Nürnberg. (Foto: N/A)

Im 16. Jahrhundert war Nürnberg 'the place to be' für Intellektuelle. Das zeigt eine neue Übersetzung einer hymnischen Stadtbeschreibung.

Von Olaf Przybilla

Wenn die Intellektuellen des 16. Jahrhunderts einen deutschen place to be hätten benennen müssen, sie würden sich mehrheitlich wohl für die Freie Reichsstadt Nürnberg ausgesprochen haben. Willibald Pirckheimer, einer der großen Gelehrten seiner Zeit, übersetzte dort die klassischen Werke der Griechen und pflegte engen Kontakt zum Kollegen Erasmus von Rotterdam. Albrecht Dürer schaffte in Nürnberg mit seinem christusförmigen Selbstbildnis eines der Hauptwerke des deutschen Renaissance-Humanismus. Und auch der Universalgelehrte Konrad Celtis, mitunter als der Erzhumanist schlechthin liebkost, ließ die Stadt nicht links liegen. Sein Stadtporträt, "Norimberga" genannt, versteht sich als Einführung in Ursprung, Lage, Einrichtungen und Gesittung Nürnbergs und erfreut sich bis heute einiger Beliebtheit. Was man so nicht uneingeschränkt über das Nürnberg-Büchlein des Helius Eobanus Hessus sagen kann, das weniger populär ist, nun aber einer Neuübersetzung wegen auf eine Renaissance hoffen darf.

Eobanus stammt aus einem Dorf in Hessen, daher der Namenszusatz Hessus. Ingrid Keck - sie hat seine Stadtbeschreibung aus dem 16. Jahrhundert neu übersetzt und ediert - hat allerlei Preziosen über den 1488 geborenen Humanisten zutage gefördert. So scheint Hessus ein etwas geckenhafter Galan gewesen zu sein, alles andere als uneitel. Er selbst beschreibt sich als stattlichen Mann mit markanten Gesichtszügen, der Burgberg-Bewohner Dürer wiederum fand, man hätte Hessus eher für einen Krieger als einen Dichter halten können.

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Man kannte sich, natürlich, im fränkischen Intellektuellen-Quartier pflegten die Denker ihrer Zeit regen Austausch. Dürer fertigte auch eine Silberstiftzeichnung von Hessus an, die als Vorlage für einen Holzschnitt diente. Nicht zu erkennen darauf ist die offenbar leicht verräterische Röte von Hessus Nase, derer er sich selbst bezichtigte. Ja, am Burgberg wurde nicht nur philosophiert, es wurde auch gebechert. Einmal trachtete Hessus nach einem Pülverchen, das die äußerlichen Anzeichen der Zecherei etwas verdecken sollte. Würde jedoch, ließ Hessus seinen Leibarzt wissen, der Therapievorschlag eine Nüchternheit zur Bedingung haben - so würde er die rote einer weißen Nase doch vorziehen.

Wie auch immer: Die Liebe zum alkoholhaltigen Getränk konnte Hessus nicht davon abbringen, sechs Jahre nach seiner Übersiedelung nach Nürnberg dem Rat der Stadt eine gedruckte Ausgabe seines Lobgedichtes auf seine neue Heimat, die "Norimberga", vorzulegen. Dieses, nun ja, eignet sich heute in Maßen als illustrierter Stadtführer. Spätestens, wenn Nürnberg darin nicht nur neben, sondern gerne auch über Städte wie Jerusalem, Babylon, Ephesus oder Korinth gestellt wird, schwant dem Leser, dass es dem Dichter wohl vor allem um Idealisierung zu tun war ("erhebt sie unter den anderen Städten ihr Haupt so strahlend, wie der wandernde Mond die Himmelslichter verblassen lässt") - und weniger um das reale Abbild einer Stadt.

Und trotzdem lohnt die Lektüre, schon allein wegen der aufschlussreichen Betrachtungen über die Lage einer Stadt, die Luther als Auge und Ohr Deutschlands beschrieben hat. Da ist so gar nichts zu spüren von Idealisierung: "Das Gelände mit seinem ertraglosen Boden aus unfruchtbarem Sand ist jedoch vollkommen öde", konstatiert Hessus und setzt noch einen drauf: "Jener Ort brachte nie pralle Ähren hervor, er beschenkte die Bauern nicht mit üppiger Ernte, trug auch nicht Bacchus schönste Geschenke, die beglückenden Reben, oder Weinberge, die der Pflege bedürfen, es sei denn man zwingt ihn, und sie zwingen ihn tatsächlich."

Im Gegenlicht dieser naturhaften Beschränkung sind die Taten Nürnberger Stadtbewohner natürlich umso höher einzuschätzen. Hessus rühmt die Eleganz der Bürgerbauten, die Höhe jener Häuser, "die sich aus ewig haltbarem Stein erheben", sodass er als gelegentlicher Architekturkritiker zur Einordnung gelangen müsse, dass nicht mal das "berühmte Rhodos" dieser Stadt den Ruhm streitig machen könnte. Und andere, Ephesus etwa oder gar Korinth, schon gar nicht.

Die Kaiserburg als kyklopischer Fels

Die Pegnitz? "Mit ihren Armen bespült sie beiderseits großartige Gebäude, bewundert selbst die Häuser, die sich immer höher an ihren sanft ansteigenden Ufern erheben." Das Rathaus? "Nun zeichnet sich das Haus jedoch durch seine eindrucksvolle Bauweise und eine Pracht aus, die dem erhabenen Ort angemessen und nicht zu überladen oder weibisch ist, sondern gemäßigt und passend für Männer." Warum das? Der Saal "wird durch keine Säulenreihe unterteilt, die den freien Raum unterbrechen oder die Last des hohen Tonnengewölbes tragen könnte". Die Kaiserburg? "Betrachtest du sie von außen, so könntest du sie für kyklopische Felsen halten, nach dem Eintreten wirst du innen alle mit großem Aufwand gestalteten herrlichen Säle bewundern, die in ihrer Pracht den Wohnsitzen der Götter gleichen."

So geht das Punkt für Punkt weiter, Hessus Stadtporträt ist ein Hymnus auf einen gesegneten Ort. Nach nur sieben Jahren Nürnberg verließ er die Stadt trotzdem in Richtung Erfurt, einigermaßen frustriert (darf man unterstellen). Hessus, der an einer städtischen Gelehrtenschule lateinische Poetik und Literatur unterrichtet hatte, wurde 1532, vom Alkoholismus gezeichnet, aus dem Schuldienst entlassen.

Nürnberg. Eine Stadtbeschreibung aus dem 16. Jahrhundert von Helius Eobanus Hessus. Übersetzt und erläutert von Ingrid Keck. Verlag Ph. Schmidt, Neustadt/Aisch. ISBN: 978-3-87707-125-0

© SZ vom 05.05.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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