Erste Bilanz der Versicherer:Hagelschäden in dreistelliger Millionenhöhe

Lesezeit: 4 min

Helfer haben die vom Hagel beschädigten Gebäude in Bad Bayersoien provisorisch mit großen Plastikplanen abgedeckt. (Foto: Peter Kneffel/dpa)

Vor zwei Wochen ist ein verheerendes Unwetter über Bad Bayersoien und Benediktbeuern hinweggezogen. Inzwischen zeigt sich dort das volle Ausmaß der Zerstörung.

Von Laura Lehner, Benediktbeuern

Das Dach gleicht einem Flickenteppich, die meisten Ziegel sind zertrümmert, das Dachfenster eingeschlagen und das Auto ein Totalschaden. Das Unwetter vom 26. August hat hier nur etwa zehn Minuten lang gewütet; doch entstanden ist ein Schaden, den die Tierärztin aus Benediktbeuern auf 350 000 Euro schätzt - nur für sich und ihre Familie. Wie Anita Brenner geht es gerade vielen in Benediktbeuern und Bad Bayersoien, wo das Unwetter besonders heftig gewütet hat. Dort zeigt sich inzwischen das ganze Ausmaß der Schäden.

Kaum eines der etwa 1000 Häuser im Ort hat den Hagel und den Starkregen unbeschadet überstanden. "Die erste Schätzung der Feuerwehr, dass etwa 80 Prozent der Dächer beschädigt wurden, musste nochmal nach oben korrigiert werden. Es hat so gut wie jedes Haus getroffen", berichtet der Benediktbeurer Bürgermeister Anton Ortlieb. Nachdem erst der Hagel über den Ort gefegt war, gelangte danach mit dem Starkregen viel Wasser durch die vielen beschädigten Dächer in die Häuser. Ortlieb geht von einer immensen Schadenssumme aus. "Wenn man mit etwa 30 000 Euro pro Haus rechnet, ist man in Benediktbeuern schon bei 30 Millionen Euro."

Newsletter abonnieren
:Mei Bayern-Newsletter

Alles Wichtige zur Landespolitik und Geschichten aus dem Freistaat - direkt in Ihrem Postfach. Kostenlos anmelden.

Seit mehr als zwei Wochen arbeiten die Menschen im Ort gemeinsam mit Handwerkern und Helfern aus der Region rund um die Uhr daran, die vielen zerstörten Dächer zu reparieren. Von einem "überwältigenden Einsatz" spricht Bürgermeister Ortlieb und blickt doch sorgenvoll auf die kommenden Wochen. Zwar seien die trockenen und sonnigen Tage seit dem Unwetter ein Geschenk gewesen, trotzdem müsse mit Hochdruck an den Dächern gearbeitet werden. Bisher seien die meisten lediglich provisorisch mit Planen abgedeckt worden. Sollte es aber in den nächsten Wochen wieder regnen, befürchtet der Bürgermeister weitere Schäden. "Mit Regen kommt oft Wind und der kann unter die Planen ziehen." Die sind oft nur durch Sandsäcke auf den Dächern befestigt. Wenn durch abgedeckte Dächer Feuchtigkeit in die Häuser gelange, könne sich die Dämmung vollsaugen. "Ich will die Bürger sensibilisieren. Eigentum verpflichtet, und jeder muss sich unbedingt um sein Haus kümmern", empfiehlt Ortlieb.

Das gestaltet sich aufgrund des immensen Andrangs auf Dachdecker und Handwerker aktuell schwierig, sagt Anton Lidl, der in Benediktbeuern einen Betrieb hat. Seit dem Unwetter repariert er ununterbrochen Dächer. Für eines bräuchten sie etwa drei Tage, je nach Größe. Aktuell arbeitet er am siebten Dach. "Ich kann mich vor Aufträgen nicht mehr retten", erzählt er.

Das Dach von Anita Brenner ist bislang nur provisorisch zugedeckt. Sie und ihr Mann hätten sich Siloplanen von Landwirten "erbettelt" und damit eigenhändig das Dach verkleidet. Nach zwei Wochen verzweifelter Suche habe sie dann einen Betrieb gefunden, der sich um ihr Dach kümmere - jedoch erst in zwei bis drei Wochen. Bis dahin hoffe sie auf trockenes Wetter.

Auch das Kloster Benediktbeuern wurde vom Unwetter schwer getroffen. (Foto: Uwe Lein/dpa)

Um möglichst viele Dächer schnellstmöglich zu reparieren, startete die Gemeinde einen Aufruf an Handwerker aus den Landkreisen Traunstein und Rosenheim, mit denen sich die Bürger vernetzen können. Auch mit der Handwerkskammer Tirol wolle man zusammenarbeiten, um die Dächer schnellstmöglich winterfest zu machen, berichtet Ortlieb.

Ähnliche Ausmaße hatte das Unwetter in Bad Bayersoien im Landkreis Garmisch-Patenkirchen. Auch hier wurde fast jedes Dach in Mitleidenschaft gezogen. In Bad Bayersoien seien - anders als in anderen Orten - bereits viele Häuser wieder komplett neu eingedeckt worden, sagt Bürgermeisterin Gisela Kieweg und freut sich über den "wahnsinnigen Aktionismus" im Ort. Trotz der Wiederaufbauarbeiten gehe es vielen Häusern im Ort aber "unendlich schlecht". Den Schaden in ihrer Gemeinde kann die Bürgermeisterin noch nicht beziffern, sie gehe aber von einer "utopisch hohen Summe" aus. Besonders besorgt sei sie, weil viele Einwohner keinen ausreichenden Versicherungsschutz hätten und wohl etwa ein Drittel der Bewohner im Ort gar nicht gegen Hagel versichert seien.

Um sich einen Überblick über die Schadenssumme zu machen, lassen die Versicherer seit zwei Wochen besonders geschädigte Orte begutachten. "Das größte Schadensereignis der letzten fünf Jahre", fasst Christian Krams, Leiter Konzern Schaden der Versicherungskammer Bayern, die bisherigen Erkenntnisse zusammen. Etwa 5500 Objekte hätten Mitarbeiter der Versicherungskammer bisher begutachtet, die allermeisten davon in Benediktbeuern und Bad Bayersoien. Insgesamt gingen beim Konzern bisher knapp 15 000 Schadensmeldungen infolge des Sturmtiefs "Denis" ein. Etwa 85 Prozent davon beträfen Schäden an Gebäuden, 15 Prozent Kraftfahrzeuge. Man gehe aktuell von Schäden im dreistelligen Millionenbereich aus.

An Hausdächern und Autos sind die meisten Hagelschäden entstanden, die den Versicherern bisher gemeldet wurden. (Foto: Felix Hörhager/dpa)

Bisher seien von der Versicherungskammer Vorschusszahlungen zwischen 5000 und 10 000 Euro ausgezahlt worden. Um die gesamte Versicherungssumme zahlen zu können, sei man auf Rechnungen der Handwerker angewiesen. Erst dann könne komplett ausgezahlt werden.

Anita Brenners Versicherung übernimmt die Schäden, die der Hagel an den Dächern verursacht hat. Aus ihrem Umfeld weiß sie aber, dass es nicht allen so geht. "Viele dachten, ihre Elementarversicherung übernimmt die Kosten für die Schäden, aber das ist nicht immer so."

"Für Sturm- und Hagelschäden an Gebäuden und Hausrat kommen die Gebäude- und die Hausratversicherung auf", informiert Christian Krams von der Versicherungskammer. Sollten Dächer beschädigt oder abgedeckt sein, seien Folgeschäden wie durch eindringenden Regen ebenfalls versichert. Viele Bürger wüssten jedoch gar nicht, was ihre Versicherung übernehme und was nicht. "Nach wie vor ist Hausbesitzern oft nicht bewusst, dass ihr Gebäude nicht gegen alle Naturgefahren versichert ist. Viele haben zwar eine Police für die Gefahren Feuer, Hagel, Sturm und Leitungswasser abgeschlossen. Dennoch sind weniger als die Hälfte der Häuser in Bayern gegen Naturgefahren wie Überschwemmungen, auch Starkregen, Hochwasser, Schneedruck und Lawinen versichert", heißt es in einer Pressemitteilung. "Bei Gebäuden sei neben dem Schutz vor Hagel und Sturm auch eine Elementarversicherung sehr wichtig."

Anita Brenner versucht trotz aller Not auch das Positive zu sehen. "Jetzt gerade geht viel voran im Ort, und durch das gute Wetter gewinnen wir etwas Zeit. Außerdem haben wir Glück, wir haben viele Tiere und alle leben alle noch."

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

SZ PlusSZ-Serie: So tickt Bayern, Folge 3
:Ort des Triumphs - und der Tortur

Das Bierzelt ist im Landtagswahlkampf 2023 wieder zum zentralen Ort der politischen Auseinandersetzung geworden. Hier gibt es nur schwarz oder weiß, falsch oder richtig. Und die Vernunft? Weicht Leidenschaft.

Von Roman Deininger, Andreas Glas und Hans Kratzer

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: