Fuggerei in Augsburg:Anstiften zum Stiften

Lesezeit: 3 min

In dem Pavillon auf dem Augsburger Rathausplatz sollen mehrere Wochen lang zahlreiche Veranstaltungen aus Anlass des Jubiläums der ältesten Sozialsiedlung der Welt stattfinden. (Foto: Stefan Puchner/dpa)

Die Fuggerei besteht seit 500 Jahren, zum Jubiläum soll die Idee in die Welt getragen werden. Projekte gibt es bereits in Litauen und Sierra Leone.

Von Florian Fuchs, Augsburg

"In exemplum" hat Jakob Fugger im Jahr 1521 die Fuggerei gegründet. Die heute älteste Sozialsiedlung der Welt sollte Bedürftigen nicht nur einen Wohnort geben, sie sollte über seinen Tod hinaus nicht nur erhalten und entwickelt werden. Der damals reichste Mann der Welt wollte mit seiner Siedlung in Augsburg auch Nachahmer finden. Zu den Feierlichkeiten des 500-jährigen Bestehens, die pandemiebedingt auf 2022 verschoben wurden, gibt es in Litauen und Sierra Leone nun tatsächlich Projekte, die sich die Fuggerei als Vorbild genommen haben. "Anstiften zum Stiften" wolle man, hat Erbgraf Alexander Fugger-Babenhausen, Vorsitzender des Seniorrats der Fuggerschen Stiftungen, zum Auftakt der fünf Wochen dauernden Feierlichkeiten in Augsburg gesagt.

Einen "Next 500-Pavillon" haben die Verantwortlichen der Fuggerei auf dem Rathausplatz der Fuggerstadt aufbauen lassen: ein riesiges Bauwerk aus Holz, in dem sich Besucher inspirieren und motivieren lassen sollen, damit die Idee der Fuggerei auch die nächsten 500 Jahre weiterlebt. Und so ist im Pavillon nicht nur Historisches zur Fuggerei nachzulesen. Es gibt auch ein interaktives Spiel, in dem Besucher an Bildschirmen innerhalb von zehn Minuten die Idee einer neuen Fuggerei entwerfen und solch ein Projekt auch gleich planen sollen.

Stella Rothenberger, Chefin der NGO Pfefferminzgreen, entwickelt nach dem Vorbild der Fuggerei in Sierra Leone ein Dorf, das für Familien ein nachhaltiger Lebensraum werden soll. (Foto: Stefan Puchner/dpa)

Stella Rothenberger ist da schon weiter. Die Chefin der NGO Pfefferminzgreen braucht kein Spiel, sie hat gemeinsam mit ihrer Partnerin vor Ort, Rugiatu Neneh Turay, ein Konzept für eine Fuggerei in Sierra Leona auf den Weg gebracht. Wobei es, das stellt Fugger-Babenhausen klar, der Fuggerei nicht darum geht, nun ihren Namen für Projekte in aller Welt herzugeben. Vielmehr hilft die Fuggerei mit ihrem Know-how über Stiftungen und der Erfahrung aus 500 Jahren, falls Fragen anfallen.

Die Projekte selbst sind eigenständig - und müssen auch nicht unbedingt das Thema "Bedürftigkeit" in den Vordergrund stellen. So soll in Sierra Leone ein abgelegenes Dorf entwickelt werden, das im 17. Jahrhundert als Basis von Sklavenhändlern diente und in einer Region extremer Armut liegt. "Es fehlt dort an fast allen Grundbedürfnissen", sagt Rothenberger.

Dabei haben es sich die Stifterinnen Rothenberger und Neneh Turay zur Aufgabe gemacht, nicht einfach Infrastruktur zu entwickeln. Sie waren an Ort und Stelle, sie haben sich ein ums andere Mal mit der Dorfgemeinschaft zusammengesetzt und diskutiert, was die Menschen brauchen. Herausgekommen ist ein Plan, der den Bewohnern des Fischerdorfs zu einem besseren Leben verhelfen soll - mit einer Schule, einem kleinen Krankenhaus, einer Bootsanlegestelle, mit Straßen. Ziel sei ein nachhaltiger Lebensraum für Familien, der vor allem Frauen und Mädchen eine selbstbestimmte Entwicklung ermöglicht.

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Hilfe zur Selbsthilfe will die Fuggerei sein. "Weit mehr, als ein günstiges Dach über dem Kopf", sagt Fugger-Babenhausen. Für 88 Cent Jahresmiete dürfen bedürftige Augsburger dort eine Wohnung beziehen, die Warteliste ist lang. Sieben gesellschaftliche Herausforderungen haben die Verantwortlichen identifiziert, die die Fuggerei angeht: Werte wie Lebensraum schaffen, Würde stärken, Sicherheit geben, sollen auch in anderen Projekten umgesetzt werden. Gintaras Grachauskas etwa will in Litauen eine Siedlung entstehen lassen, die Rentnern eine sichere Heimat bietet, wo aber dennoch auch jüngere Generationen zu Hause sind.

Ursula von der Leyen wird anlässlich des Jubiläums sprechen

"Vor 23 Jahren", sagt Grachauskas, "habe ich die Fuggerei besucht." Die Idee hinter der Sozialsiedlung hat sich fest in ihm verankert. Als Berater zweier Regierungen in Litauen hat er versucht, Konzepte für eine älter werdende Gesellschaft zu implementieren. Inzwischen ist er der Überzeugung, dass der Staat nicht alles leisten kann, dass es für manche gesellschaftliche Aufgaben privater Initiativen bedarf. "Drei Viertel aller Rentner in Litauen leben unter dem Existenzminimum", sagt Grachauskas. Die Durchschnittsrente beträgt 280 Euro, die Lebenshaltungskosten liegen aber nur 20 bis 30 Prozent unter denen in Deutschland.

Grachauskas also will ein Dorf entstehen lassen, in dem Rentner in Würde leben können. Dafür arbeitet er sogar mit der Stanford University in den USA zusammen, das Dorf soll nachhaltig sein, es soll auch Arbeitsplätze und so einen Mehrwert für die Umgebung schaffen. In der Politik, in der Wirtschaft, in der Industrie sei sein Ansinnen oft belächelt worden, erzählt Grachauskas. "Wir müssen die Idee tiefer rein bringen in die Gesellschaft."

Die Fuggerei sei eine einzigartige Augsburger Einrichtung, die auch nach einem halben Jahrtausend als internationaler Impulsgeber für soziale Innovation diene, sagt Oberbürgermeisterin Eva Weber. "Ein bewundernswerter Bürgersinn gepaart mit unternehmerischer Weitsicht" sei die Fuggerei, sagt Ursula von der Leyen. Die Präsidentin der Europäischen Kommission spricht aus Anlass des Jubiläums am Samstag in Augsburg. Gegen weitere Nachahmer in noch mehr Ländern hätten die Verantwortlichen der Fuggerei nichts einzuwenden.

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Von Florian Fuchs (Text und digitale Umsetzung) und Sophie Linckersdorff (Fotos)

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