Etliche Zehntausend Aktenseiten umfasst der ungelöste Fall Peggy, da ist es nicht trivial zu erklären, welche Rolle Manuel S. in diesem Verfahren zukommt. Vielleicht kann man ihn so vorstellen: S. stand bereits im Jahr 2001, zu Beginn der Suche nach dem damals vermissten Mädchen aus dem fränkischen Lichtenberg, für kurze Zeit im Fokus der Ermittler. Nachdem die sterblichen Überreste des Kindes 2016 gefunden worden waren, führten erneut Spuren zu ihm. Er wurde vernommen, legte ein Teilgeständnis ab, in dem er behauptete, die bereits leblose Neunjährige in einen Wald gebracht - aber nicht getötet zu haben. Später hat er das widerrufen. Die Ermittlungen gegen ihn wurden eingestellt.
Seit Donnerstag nun muss sich Manuel S. am Landgericht Hof einer Zivilklage erwehren. Die Mutter von Peggy fordert Schmerzensgeld von ihm. Der Bestatter und Landwirt S., so lautet die Arbeitshypothese der Klägerseite, hätte Peggys Mutter viele Zweifel, Schmerzen und Verleumdungen ersparen können, hätte er bereits 2001 über den Verbleib des Mädchens gesprochen.
Das Gericht hat S. gebeten, persönlich vor Gericht zu erscheinen. Er wird nach jener Vernehmung mit dem - später widerrufenen - Teilgeständnis gefragt. Vor fast sechs Jahren war das, aus S. aber sprudelt es geradezu heraus. Abgepasst worden sei er beim Bäcker an seinem jetzigen Wohnort im Fichtelgebirge, ein Riesenaufgebot an Beamten. Man habe ihn in einen fensterlosen Vernehmungskeller gebracht und fortlaufend auf ihn eingeredet: Man wolle eine plausible Geschichte hören. "Eine Geschichte, eine Geschichte", sagt S. und ist sichtlich erregt.
Habe er, um sich der Situation zu entledigen, Details genannt, die - aus Sicht von S. - den Beamten offenbar nicht ins Konzept gepasst hätten, so habe sich die Forderung nach einer plausiblen "Geschichte" wiederholt. Falls S. Dinge erzählt habe, die man offenkundig gerne hörte, so herrschte angeblich große Zufriedenheit am Tisch.
Sein Anwalt Jörg Meringer ergänzt das. Eine Brücke habe man seinem Mandanten offenbar bauen wollen. Es sei die Rede davon gewesen, man könne bestimmte Ermittlungen ja einstellen. Aber die richtige Geschichte wolle man hören. An Peggys sterblichen Überresten waren mikroskopische Spuren von Torf gefunden worden. Auch Partikel, die auf Renovierungsarbeiten hindeuten sollen. Nach Aktenlage hatte S. im Garten gearbeitet und seine Wohnung renoviert. Nur, sagt Meringer, um nur mal beim Torf zu bleiben: Stinknormale Blumenerde aus dem Baumarkt sei das gewesen. Im Mai 2001, als die Suche nach Peggy begann, hätte man die halbe Republik bei Gartenarbeiten antreffen können.
S. sagt, die Beamten hätten ihm suggeriert, es seien Spuren entdeckt worden, die zu ihm führten. Knapp zehn Stunden wurde er ohne Anwalt vernommen, zwischen 8.40 und 18.32 Uhr. Irgendwann habe er nur noch nach Hause gewollt, zur Familie. Und habe sich nicht mehr anders zu helfen gewusst, als einfach irgendwas zu erzählen - von dem er glaubte, das könnte genehm sein. Schlicht, um endlich Ruhe zu haben. Verbringen einer Leiche? Das wäre Strafvereitelung gewesen. 2018 längst verjährt. Das einzuräumen, war also überschaubar gefährlich.
Der Mutter hätten "viele Schikanen und Verleumdungen" erspart werden können
Nachdem er seine "Geschichte" erzählt hatte, durfte S. gehen. Auf dem Polizeihof - so schildert er es - habe ein Beamter noch zu ihm gesagt: "Sie gehen aber jetzt nicht heim und bringen sich um." Als er zu Hause war, so berichtet es Anwalt Meringer, habe S. zu seiner Frau gesagt, er habe den Ermittlern irgendeine Story aufgetischt, damit er habe gehen dürfen. Die Wohnung von S. war polizeilich verwanzt. Das sei also dokumentiert.
Die Mutter von Peggy ist ebenfalls erschienen zu diesem Gerichtstermin. Sie habe dem Mann mal gegenübersitzen wollen, sagt ihre Anwältin Ramona Hoyer. Die Mutter sitzt aufrecht, einmal erhebt sie leise selbst das Wort. Sie wisse, wie quälend Vernehmungen sein könnten, sagt sie. Sie habe nicht nur anderthalb Jahrzehnte nicht gewusst, was mit ihrer Tochter geschehen sei. Sie sei auch immer wieder selbst verdächtigt worden, mit dem Verschwinden Peggys etwas zu tun zu haben. Ihr hätten "viele Schikanen und Verleumdungen" erspart werden können - hätte sie früher vom Schicksal ihrer Tochter gewusst.
Ihre Anwältin bestärkt das. Für eine Mutter sei der Tod eines Kindes ein Trauma. Noch schlimmer aber sei es, über Jahre im Ungewissen zu leben. Und gar selbst beschuldigt zu werden. Die 75 000 Euro, die man von S. verlange? "Ist eine symbolische Summe", sagt sie. Anwalt Meringer betont noch einmal, sein Mandant habe mit dem gesamten Fall überhaupt nichts zu tun.
Zu einer Einigung zwischen den beiden Streitparteien kommt es nicht. Am 22. Mai will das Gericht bekanntgeben, wie es in dem Verfahren weitergehen soll.