Distanzunterricht:Kultusminister gibt sich gelassen

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Kultusminister Michael Piazolo reagiert geradezu stoisch auf Kritik. Die Abberufung von Gesundheitsministerin Melanie Huml dürfte ihn aber nicht gerade beruhigt haben. (Foto: Sven Hoppe/dpa)

Michael Piazolo steht im Zentrum der Kritik, doch er kündigt einen funktionierenden Schulstart an - die Plattform Mebis sei nicht das einzige Instrument. Parteifreunde stärken ihm den Rücken, die Probleme sind dennoch drängend.

Von Andreas Glas und Johann Osel, München

War was? Den Eindruck von stürmischen Zeiten macht Michael Piazolo keineswegs. Der Kulturminister von den Freien Wählern informiert am Donnerstag über den Schulbeginn kommende Woche in der ihm eigenen Unaufgeregtheit. Laut Kabinettsbeschluss vom Vortag soll bis Ende Januar kein Präsenzunterricht mehr stattfinden. "Aktueller Stand zum Distanzunterricht - Berichte aus der Schulpraxis" heißt der Pressetermin. Klingt wie ein pädagogisches Proseminar an der Universität, läuft ähnlich ab, dauert anderthalb Stunden. Unterm Strich bleibt das Fazit des Ministers: Sein Haus habe "mit Volldampf" gearbeitet, gerade in den vergangenen Wochen: Der Schulstart werde gut klappen.

Zum Beweis der Zuversicht hat das Ministerium zwei Schulleiter eingeladen, sie berichten aus dem Alltag. Die Direktorin eines Erdinger Gymnasiums wirft ein Schaubild an die Wand: ein Schultag der neunten Klasse mit je einer Doppelstunde Mathe, Geschichte und Chemie. Da werden Experimente über Video gestreamt, Hausaufgaben online korrigiert, Gruppenarbeiten angewiesen - mit allerlei Digitalwerkzeugen. Das böse M-Wort ist nicht dabei: Mebis.

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Dass Gesundheitsministerin Huml nun auch offiziell ihren Job verliert, ist eher eine Randnotiz. Auch die 15-Kilometer-Regel ist kaum mehr als ein Ausdruck der Hilflosigkeit.

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Die Lernplattform, die vor Weihnachten wie bereits im Frühjahr dem Ansturm von Schülern nicht standhielt, hat Piazolo ins Zentrum von Unmut, Empörung und Spott gerückt. All die Rücktrittsforderungen, vornehmlich von SPD und FDP, lassen sich kaum zählen. Dass Piazolo jüngst dazu riet, Mebis zurückhaltend zu nutzen, wertete die SPD-Fraktion als "Bankrotterklärung" - und als Rücktrittsgrund. Von Ministerpräsident Markus Söder gab es im Dezember zudem die Ansage: Nach den Ferien müsse alles funktionieren. Viele sahen das als Ultimatum. SPD, Grüne und FDP beantragten jetzt eine Sondersitzung des Bildungsausschusses, über Mebis hinaus. "Panne reiht sich an Panne", heißt es von deren Fachpolitikern. "Es ist höchste Zeit, dass es endlich einen klaren Fahrplan für das restliche Pandemieschuljahr gibt."

Politischer Zoff, Unklarheiten, ein giftiger Ton in den sozialen Netzwerken - Piazolos Gelassenheit wirkt erstaunlich. Er kündigt Neuigkeiten an: Die Abschlussprüfungen aller Schularten werden verschoben, Details folgen. Zudem soll es Zwischenzeugnisse erst am 5. März geben, auch die Übertrittszeignisse kommen später. Wie angekündigt fallen die Faschingsferien aus, um Stoff nachzuholen.

Dann aber doch die Causa Mebis. Das Programm habe Stärken, sagt Piazolo, sei aber "weiß Gott nicht das Wichtigste". Er habe nicht davon abgeraten für den kommenden Montag, sondern eine durchdachte Verwendung angeregt - für "das, was Mebis kann und soll". Selbst an Spitzentagen mit 200 000 eingeloggten Kindern hätten 85 Prozent aller Schüler anderweitig gelernt, hätten den "großen Fundus an Lerninstrumenten" genutzt: Tools für Videokonferenzen, andere Programme, Messenger, Bücher - das Telefon. Dass er für seinen Tipp an Lehrer, Schüler auch mal anzurufen, Häme erfahren hat, verstehe er nicht. Das sei in manchem Fall praktikabel. Ein Schulleiter beim Pressetermin bestätigt das, auch das Abholen von Arbeitsblättern sei üblich. Manchmal würden die im Dorf sogar über den Gartenzaun gereicht, weiß Piazolo - will das jedoch nicht als ministeriellen Rat "Gartenzaun statt Mebis" gedeutet wissen. Der Humor ist dem FW-Politiker anscheinend geblieben.

Dass Söder am Mittwoch Melanie Huml als Gesundheitsministerin abgesetzt hat, wird Piazolo nicht unbedingt beruhigt haben. Nachdem der CSU-Ministerpräsident eine CSU-Ministerin ausgewechselt hat, dürfte es den Freien Wählern jedenfalls schwerer fallen, sich zu sperren, sollte Söder irgendwann auch die Geduld mit FW-Mann Piazolo verlieren. Wer in die Freie-Wähler-Fraktion reinhört, registriert zwischen den Verteidigungsparolen zumindest immer öfter Unzufriedenheit mit dem eigenen Ressortchef. Nicht alle finden es glücklich, wie er in der Krise kommuniziert. Manche wünschen sich mehr Hemdsärmeligkeit vom stoischen Minister.

Und trotzdem: Der Rückhalt ist groß, zumindest derzeit. Man dürfe einem Kultusminister nicht ankreiden, wenn die digitale Infrastruktur nicht funktioniere und Mebis abrauscht. Solche Sätze hört man häufiger aus der Fraktion, nicht selten verbunden mit der Frage, was eigentlich die CSU-Digitalministerin die ganze Zeit so mache.

FW-Chef und Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger nahm Piazolo beim Online-Dreikönigstreffen seiner Partei am Mittwoch in Schutz. Man müsse fair sein, sagte er, "das kann nicht einem Minister alleine in die Schuhe geschoben werden." Am Donnerstag sagt Aiwanger auf SZ-Nachfrage über Piazolo: "Diese ständigen Kurswechsel auf Ebene von Bund und Ländern waren sehr schwer zu meistern und jetzt kommen eben die technischen Probleme dazu, für die er nicht selbst verantwortlich ist." Er sagt aber auch: "Trotzdem fällt es in seine Ressortverantwortung, dass es funktioniert." Jetzt müsse man bei den Problemen für Abhilfe sorgen.

Viele Reaktionen aus der Schulfamilie rügten die abgesagten Ferien. Gemeindetagspräsident Uwe Brandl (CSU) warf dem Kultusministerium ein miserables Krisenmanagement in der Pandemie vor. Kommunen als Sachaufwandsträger unternähmen seit Jahren größte Anstrengungen, um die Schulen für das digitale Zeitalter fit zu machen. Das Ministerium schaffe es aber nicht, das Ganze mit Leben zu füllen, wie bei Mebis - "geradezu unerträglich".

Söders Ultimatum nimmt Piazolo auf Nachfrage nicht allzu streng. Er sei "der festen Überzeugung", dass es am Montag einen "guten Distanzunterricht" geben werde; und dass mal etwas nicht so funktioniere, "das passiert, das ist normal". Am Montag werden wohl nicht nur die Lehrer und Schüler das Tool aufrufen - sondern auch Schaulustige, die sehen wollen, ob Piazolo die Söder-Forderung einhalten kann. Das Risiko eines neuerlichen Kollapses dürfte das wahrscheinlich nicht minimieren.

© SZ vom 08.01.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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