Grundsatzstreit bei Dinkelsbühl:Klimaschutz statt Straßenbau

Lesezeit: 3 min

Dinkelsbühl ist die erste Stadt in Deutschland, in der eine Umweltorganisation den Bau einer Umgehungsstraße unter Berufung auf das Klimaschutzgesetz des Bundes verhindern will. (Foto: Johannes Simon)

Der Bund Naturschutz klagt gegen ein Umgehungsprojekt bei Dinkelsbühl und beruft sich dabei erstmals auf das Klimaschutzgesetz. Sollte er erfolgreich sein, könnte das Folgen für Bauprojekte im gesamten Freistaat haben.

Von Christian Sebald, Dinkelsbühl

Das mittelfränkische Dinkelsbühl ist bekannt für seine spätmittelalterliche Altstadt. Jedes Jahr besuchen Tausende Touristen den 12 000-Einwohner-Ort an der Romantischen Straße. Wenn es nach dem Bund Naturschutz (BN) geht, wird Dinkelsbühl demnächst außerdem ein Markstein in der Geschichte des Umweltschutzes sein. Dinkelsbühl ist die erste Stadt in Deutschland, in der eine Umweltorganisation den Bau einer Umgehungsstraße unter Berufung auf das Klimaschutzgesetz des Bundes verhindern will. Sollte die Klage des BN vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof (VGH) in München erfolgreich sein, dürfte das Auswirkungen auf ganz Bayern haben. "Es gibt so viele andere überdimensionierte Straßenbauprojekte im Freistaat", sagt der BN-Landesbeauftragte Martin Geilhufe. "Wenn wir in Dinkelsbühl erfolgreich sind, haben wir mit dem Klimaschutzgesetz endlich ein wirkungsvolles Instrument gegen sie."

Der Grund von Geilhufes Zuversicht ist der Beschluss des Bundesverfassungsgerichts von Ende April. Darin haben die Karlsruher Richter die Politiker und Behörden in Bund und Ländern verpflichtet, ihr Handeln sehr viel entschiedener als bisher an der Einhaltung der Klimaschutzziele des Pariser Klimaschutzabkommens von 2015 auszurichten. Dabei gibt es mit dem Bundesklimaschutzgesetz von 2019 bereits klare Vorschriften, dass die CO₂-Emissionen bis 2030 reduziert werden müssen - im Verkehr von 150 Millionen Tonnen CO₂ im Jahr 2020 um 36,6 Prozent auf 95 Millionen Tonnen CO₂. Experten zufolge stammen mehr als 90 Prozent der Treibhausgasemissionen im Verkehr aus dem Straßenverkehr. Die Vorgabe im Bundesklimaschutzgesetz betrifft laut BN nicht nur die Emissionen durch Autos und Lastwagen. Sondern auch die durch den Bau und Betrieb neuer Straßen. Also zum Beispiel die Emissionen bei der Herstellung des Betons und Asphalts und natürlich auch die Emissionen durch den zusätzlichen Verkehr auf neuen Straßen. "Das alles haben das Straßenbauamt und die Regierung von Mittelfranken aber bei der Dinkelsbühler Umgehung nicht berücksichtigt", sagt Geilhufe. "Das ist ein eindeutiger Verstoß gegen das Klimaschutzgesetz. Und deshalb ist die Baugenehmigung nicht haltbar."

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Der Streit um die Dinkelsbühler Umgehung geht schon seit Jahrzehnten. Oberbürgermeister Christoph Hammer (CSU) und die große Mehrheit des Stadtrats bekennen sich klar zu dem Projekt. Die Dinkelsbühler selbst stehen ebenfalls dazu. Schon 2009 stimmten in einem Bürgerentscheid ungefähr zwei Drittel der Abstimmenden für die 3,5 Kilometer lange Straße im Osten der Stadt. Auch der BN hat akzeptiert, dass die Stadt Entlastung braucht. Allerdings ist er für eine Umgehung entlang einer alten Bahnlinie. Das aber lehnen OB Hammer und der Stadtrat ab. Denn die Bahnstrecke soll möglichst reaktiviert werden. Aber beides - Umgehungsstraße und Bahnlinie - sei bautechnisch auf gleicher Strecke nicht möglich, wie OB Hammer betont. Der Streit ist so verfahren, dass der BN sofort nach der Genehmigung des 11,5-Millionen-Euro-Projekts 2019 Klage eingereicht hat. Damals noch unter Berufung auf den Flächenverbrauch, die Zerstörung eines Naherholungsgebiets, die Gefahren für das Grundwasser und die Beeinträchtigungen für Rebhühner, Laubfrösche und andere bedrohte Arten. Seither herrscht erneut Stillstand. Nun kommt noch die neue Klimaschutz-Klage dazu.

OB Hammer hat überhaupt kein Verständnis für den BN. Für den CSU-Politiker, der vor seiner kommunalpolitischen Laufbahn Richter an einem Verwaltungsgericht war, geht es in dem Streit "letztlich um die Grundsatzfrage, ob man den Menschen Entwicklungsmöglichkeiten erlauben will oder ob man sie ihnen verbietet". Denn "wir wissen doch alle, dass es kein Bauprojekt gibt, das CO₂-neutral ist", sagt er. "Das gilt für Wohnhäuser genauso wie für einen Kindergarten, eine Schule und eben auch eine Straße." Sollte die BN-Klage Schule machen, bedeute das Stillstand - in Dinkelsbühl wie anderswo. Aus Hammers Sicht geht es dem BN letztlich "nur um die Demonstration seiner Macht", der Stau, "der inzwischen morgens, mittags und nachmittags in unserer Stadt herrscht", sei für den Umweltverband offenkundig ohne Bedeutung. "Der BN verweigert sich da komplett."

Bei den Behörden des Freistaats indes misst man der Klimaschutz-Klage des BN offenkundig einiges Gewicht bei. Die Landesanwaltschaft, die den Freistaat in dem Gerichtsverfahren vertritt, hat den VGH inzwischen um eine Fristverlängerung für ihre Erwiderung gebeten. Als Grund nannte sie laut BN, dass die Klimaschutz-Klage eine "gutachterliche fachliche Bewertung" erfordert.

© SZ vom 07.06.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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