Hilfe im Frauenhaus:"Ich hatte Angst, dass ich es nicht schaffe"

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Eine ehemalige Bewohnerin sitzt in einem Schlafzimmer eines Frauenhauses in Nordrhein-Westfalen. (Symbolbild) (Foto: dpa)

Fatima Bahar ist die Flucht vor ihrem gewalttätigen Ehemann geglückt, aber nur mit Hilfe des Dachauer Frauenhauses. Doch die Einrichtungen haben in Bayern nur wenige Plätze - und müssen viele Frauen abweisen.

Von Katja Gerland, Dachau

Fatima Bahar (Name von der Redaktion geändert) weiß, dass sie sich schnell entscheiden muss: Entweder sie bleibt oder sie geht. Es ist der zehnte und damit letzte Tag, an dem ihr Mann der gemeinsamen Wohnung verwiesen wurde. Morgen kommt er zurück, und dann, das weiß sie aus Erfahrung, geht die Prügelei wieder los. Ihr Sohn ist noch zu klein, um die Wut seines Vaters zu verstehen. Doch seine ältere Schwester weiß genau, was zu Hause passiert. Bahar ist sich sicher: Weiter ertragen möchte sie das nicht, schon allein wegen ihrer Kinder. Also nimmt sie all ihren Mut zusammen und geht. An diesem Tag, im Frühjahr 2019, findet sie mit ihren zwei Kindern Zuflucht im Dachauer Frauenhaus.

"Ich hatte Angst, dass ich es nicht schaffe", erinnert sich Bahar heute. An einem Nachmittag, an dem die Hitze in die Räume des Dachauer Frauenhauses drückt, sitzt sie mit einem Sommerkleid bekleidet auf einer Bank. Von der ängstlichen Frau ist nach zwei Jahren im Frauenhaus nichts mehr zu spüren. Fatima Bahar sagt ganz selbstbewusst: "Ich bin frei."

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Ein Schicksal, das zu grausam klingt, als dass man es sich zuhauf inmitten der Gesellschaft vorstellen könnte. Und doch ist es eine Geschichte, mit der Gewaltopfer regelmäßig im Dachauer Frauenhaus nach Hilfe suchen. Im vergangenen Jahr, das geht aus dem Jahresbericht des Frauenhauses hervor, erreichten die Einrichtung 113 Anfragen nach einem Platz. Nur sieben Frauen konnten aufgenommen werden. Denn freie Zimmer, das erzählt Mitarbeiterin Nicola Kaufmann, sind dort Mangelware: Fünf Frauen und sechs Kindern kann die Dachauer Einrichtung gleichzeitig Schutz vor häuslicher Gewalt bieten. Das führe dazu, dass "wir fast immer ausgelastet sind", sagt die Sozialpädagogin.

Mit seinem Platzproblem ist das Dachauer Frauenhaus kein Einzelfall, wie eine Auswertung der Daten des Statistischen Bundesamts und der Ministerien der Bundesländer zeigt. Die Situation ist in ganz Bayern ähnlich. Pro 7500 gemeldeten Personen sollte im Idealfall ein Frauenhausplatz zur Verfügung stehen - so lautet eine Empfehlung des Europarats an die europäischen Mitgliedsländer. Doch in Bayern kommen auf 7500 Einwohner nur 0,46 Plätze und damit weniger als die Hälfte der empfohlenen Zahl.

Dass die bayerischen Frauenhäuser aus allen Nähten platzen, hat auch Fatima Bahar in ihrer Not zu spüren bekommen. Fünf oder sechs Frauenhäuser, so erinnert sie sich, habe sie 2019 kontaktiert, alle hätten ihr die gleiche Antwort gegeben: Wir haben keine freien Plätze. Auf den Tipp einer Bekannten hin bat sie im Dachauer Frauenhaus um Hilfe und fand dort ihre neue vorübergehende Heimat.

Das, sagt Bahar, sei ihr größtes Glück gewesen. Denn die Selbstzweifel, die ihr Mann ihr über Jahre hinweg einredete, hätte sie ohne Hilfe wohl nicht ablegen können. "Ohne das Frauenhaus ist das unmöglich", ist sich Bahar sicher. Letztendlich seien es der Alltag und die Angebote im Frauenhaus gewesen, die ihr zu neuem Selbstbewusstsein verhalfen: Gespräche mit den anderen Bewohnerinnen, Therapiestunden, die Unterstützung durch Mitarbeiterinnen bei bürokratischen Herausforderungen. "Wir möchten den Frauen dabei helfen, selbstbestimmt zu handeln", sagt Mitarbeiterin Nicola Kaufmann. Sie sei begeistert, dass diese Methode bei Fatima Bahar fruchtet. "Wir konnten ihre Entwicklung über die letzten zwei Jahre ja mitverfolgen, da sieht man, wie positiv das wirkt."

Dass Bahar mit ihren zwei Kindern nun schon seit zwei Jahren im Frauenhaus lebt, sei ungewöhnlich, sagt Kaufmann. Im Normalfall bleiben die Frauen höchstens ein paar Monate, manchmal auch nur wenige Tage. "Früher hätten wir sie aber guten Gewissens nicht gehen lassen können", erklärt Kaufmann. Eine lange Zeit sei Bahars Ehemann "uneinschätzbar" gewesen. Mehrere Male habe er versucht, seine Frau und Kinder zu finden, mit ihnen in Kontakt zu treten. Erst seit wenigen Wochen beruhige sich die Lage, weshalb der Auszug aus dem Frauenhaus nun gar nicht mehr so unrealistisch erscheint. Darüber ist Kaufmann froh: "Irgendwann möchte man ja auch mal ankommen."

Eine eigene Wohnung ist kaum zu finden

Ankommen, das ist für die Familie gar nicht so einfach. Schon wegen ihrer Tochter, die sehr gerne in Dachau zur Schule geht, möchte Fatima Bahar in der Nähe bleiben. Doch die Wohnungssuche entpuppt sich als schier unlösbare Aufgabe, erzählt die Mutter. Seit einem halben Jahr kontaktiere sie immer wieder Vermieter. Ihre bisherige Ausbeute: Eine Einladung zur Wohnungsbesichtigung, die in einer Absage mündete. "Das ist auch für uns schade zu sehen", sagt Nicola Kaufmann. Fatima Bahar habe sie in den vergangenen zwei Jahren als sehr verantwortungsbewusste Frau kennengelernt, die die Miete für das Frauenhaus stets pünktlich überwies.

Doch das sei schon längst kein Garant mehr für eine Wohnung im Dachauer Umkreis. Vielmehr ist die Wohnungssuche für alle Bewohnerinnen des Frauenhauses ein großes Problem, erzählt Laura Kaufmann, die ebenfalls in der Einrichtung arbeitet. Den Grund sieht sie abseits der hohen Mieten in der Voreingenommenheit vieler Vermieter. Bewohnerinnen mit Migrationshintergrund seien von Vorurteilen besonders häufig betroffen. "Das ist leider immer noch so, dass rassistische Einstellungen entscheiden", sagt die Sozialpädagogin. Hinzu kommt, dass viele Bewohnerinnen Arbeitslosengeld beziehen und alleinerziehend sind. Auch das komme laut Kaufmann bei Vermietern nicht gut an.

Laura (links) und Nikola Kaufmann unterstützen die hilfesuchenden Frauen auf ihrem Weg in die Selbständigkeit. (Foto: Niels P. Jørgensen)

Bei all dem Übel wirkt die Pandemie wie ein Brennglas auf die Wohnungssuche. Weil Besichtigungen im vergangenen Jahr nur online oder überhaupt nicht stattfanden, konnten die Bewohnerinnen und Mitarbeiterinnen keine Gespräche mit den Vermietern führen und Zweifel aus dem Weg räumen. Die Folge: Nur zwei Bewohnerinnen, das wird aus dem Jahresbericht des Frauenhauses ersichtlich, konnten im Jahr 2020 eine eigene Wohnung beziehen.

"Es war im Großen und Ganzen ein sehr außergewöhnliches Jahr", fasst Laura Kaufmann die vergangenen Monate zusammen. Nicht nur bei der Wohnungssuche bekam das Dachauer Frauenhaus die Pandemie zu spüren. Über das Jahr hinweg fehlten den Frauen vor allem Beratungsgespräche und Gruppenveranstaltungen, die wegen der Ansteckungsgefahr stark eingeschränkt waren. Zwar, das versichert Kaufmann, hätten die Mitarbeiterinnen stets versucht, den Kontakt mit und zwischen den Frauen aufrecht zu erhalten. An einen normalen Alltag war jedoch nicht zu denken. Neben all den Einschränkungen war auch die Angst vor einer Ansteckung allgegenwärtig im Frauenhaus, in dem die Bewohnerinnen auf engem Raum zusammenleben: "Viele Frauen sorgen sich um ihre Gesundheit und um die Gesundheit ihrer Kinder", sagt Kaufmann. Auch Fatima Bahar fürchtete sich davor, dass das Virus in das Frauenhaus dringt. Sie sorgte sich um ihre Tochter, die an einer Lungenerkrankung leidet.

Als sich ihr Sohn zu Beginn dieses Jahres im Kindergarten mit Corona infizierte, rückte die Gefahr zum ersten Mal sehr nah an die kranke Tochter heran. "Das war dann wirklich großes Glück, dass wir in der Situation ein Zimmer frei hatten", erzählt Nicola Kaufmann. Also bezog die Tochter für einige Wochen einen eigenen Raum in der Einrichtung. Doch Kaufmann betont: Wäre das Frauenhaus, wie sonst üblich, voll belegt gewesen, hätte es diese Option nicht gegeben. Bahars Tochter wäre weiterhin der Ansteckungsgefahr im Zimmer der Familie ausgeliefert gewesen.

Letztendlich, erzählt Bahar, habe ihre Tochter die vergangenen Monate ohne Infektion überstanden. Und nach einem harten Jahr ist auch für das Zusammenleben im Frauenhaus Besserung in Sicht. Einige Gruppensitzungen können wieder stattfinden. Der Austausch unter den Frauen nimmt zu und der anlaufende Schulbetrieb entlastet die Mütter im Frauenhaus, erzählt Laura Kaufmann.

Frauen, denen die Flucht aus ihrer Gewaltsituation noch nicht geglückt ist, machen ihr aber weiterhin Sorgen. "Wir sind auch während Corona darauf angewiesen, dass sich die Frauen bei uns melden." In Pandemiezeiten, in denen der Gewalttäter besonders oft daheim ist, könnten sich Opfer häuslicher Gewalt jedoch nur schwer selbst Hilfe suchen. Deshalb sind auch Nachbarn, Familie oder Freunde gefragt. "Man muss bei Vorfällen im eigenen Umfeld einfach auf sein Bauchgefühl hören und dann auch die Polizei verständigen", rät Kaufmann. Nur so könne sich die Geschichte der Frauen zum Guten wenden, so wie es auch Fatima Bahar gelungen ist.

Das Dachauer Frauenhaus sucht dringend Wohnungen für Bewohnerinnen. Angebote und Tipps können per Telefon an 08131/514726 gerichtet werden.

© SZ vom 03.07.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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