Karriere von Horst Seehofer:"Ich habe mich auf meine eigene Feuerkraft verlassen"

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Ich bin "sehr entspannt und zufrieden". Horst Seehofer wird am Samstag sein Amt als CSU-Chef abgeben. (Foto: dpa)

Wohl kein anderer Politiker war so oft am Ende wie Horst Seehofer und hat dann so viele Wiedergeburten erlebt, persönlich wie politisch.

Von Peter Fahrenholz

Natürlich wird nach Kräften gelogen und geheuchelt werden. Schließlich versteht keine Partei mehr von der Vortäuschung von Harmonie als die CSU. Also wird Horst Seehofer auf diesem Parteitag, auf dem er als CSU-Chef abgelöst werden wird, dasitzen und sich das hohe Loblied auf sich selbst anhören. Vielleicht wird ab und an das berühmte Seehofer-Lächeln um seine Lippen spielen, das alles bedeuten kann und das Gegenteil. Aber den Frieden stören wird er nicht, so unehrlich dieser auch sein mag.

Eine Zeit lang hat Seehofer darüber nachgedacht, mit seinen parteiinternen Kritikern abzurechnen, die ihn aus den Ämtern gedrängt haben, erst als Ministerpräsident, dann als Parteichef. Und die ihn zum Alleinschuldigen für die gewaltigen Stimmenverluste bei der Bundestags- und ein Jahr später bei der Landtagswahl gestempelt haben. Aber das hat er dann wieder verworfen. "Das hätte die Partei zerlegt", sagt Seehofer. Natürlich könnte er viel sagen, aber jetzt nicht. Jetzt, beteuert Horst Seehofer, sei er "sehr entspannt und zufrieden".

Im Grunde ist es ein Wunder, dass Seehofer es nach ganz oben geschafft hat. Und ein zweites, dass er sich so lange dort gehalten hat: Fast zehn Jahre Ministerpräsident (was er nie werden wollte), mehr als zehn Jahre Parteichef. Nur Franz Josef Strauß hat die CSU länger geführt. Wohl kein anderer Politiker war so oft am Ende wie Horst Seehofer und hat dann so viele Wiedergeburten erlebt, persönlich wie politisch. Und kein anderer hat sich im politischen Betrieb, der aus Flügeln, Gremien, Klüngeln und Seilschaften besteht, quasi als Ich-AG nach oben gearbeitet.

"Ich hatte nie ein Netzwerk, null", sagt Seehofer. "Ich habe mich auf meine eigene Feuerkraft verlassen." Und die war gewaltig. Oft genug feuerte Seehofer dabei in die eigenen Linien, und weil seine Kritik meist sachlich fundiert war, schmerzte sie umso mehr. Schnell galt er bei den CSU-Funktionären als unberechenbarer Einzelkämpfer. "Man weiß, dass er alles, was er macht, auf eigene Rechnung macht", hat einer seiner Parteifeinde mal über ihn gesagt.

Seehofer hat diesen Vorbehalten immer wieder Vorschub geleistet. Wenn der interne Druck zu groß wurde, hat er sich oft entzogen, erschien nicht zu Sitzungen, war tagelang nicht erreichbar. Und er war immer ein Meister der politischen Mimikry. Keiner konnte so elegant die Argumente wechseln und dabei die politische Unschuld mimen. Und keiner hatte in politischen Gefechtslagen mehr Raffinesse und Nervenstärke zu bieten als Seehofer. Einer, der lange zum innersten Zirkel der Macht gehörte, hat das auf einen drastischen Nenner gebracht: "Der Horst springt immer mit beiden Beinen in die Scheiße, weil er genau weiß, dass sie nicht tief genug ist, um darin zu ertrinken."

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Doch seine Beliebtheit an der Parteibasis hat ihn lange geschützt wie ein unsichtbares Kettenhemd. Regelmäßig erhielt Seehofer auf Parteitagen bei den Vorstandswahlen Traumergebnisse. Außer, er sollte für irgendeine Extratour mal wieder abgestraft werden. Für die Organisation des Denkzettels war dann immer Erwin Huber zuständig, einer seiner Intimfeinde. Seehofer ist ein guter Redner, er kann seine Zuhörer aus dem Stegreif in Bann schlagen. Kein Demagoge, aber er hat dieses Wölfische wie Gerhard Schröder. Ein Alpha-Tier. Und keine Partei liefert sich ihren Alpha-Tieren so gern aus wie die CSU. Jedenfalls, so lange sie Erfolg haben.

Doch bei aller Wendigkeit im Tagesgeschäft - zu seinen Grundüberzeugungen hat Seehofer immer gestanden und dafür auch immer gekämpft. Der endlose Streit um die Flüchtlingspolitik wurde ja nicht dadurch immer wieder angefacht, weil Seehofer ständig seine Positionen gewechselt hätte. Sondern weil er an der Kritik, die er von Anfang an geäußert hat, auch dann noch erbittert festhielt, als klar war, dass er sich gegen die Kanzlerin nicht würde durchsetzen können.

Als Seehofer 1992 Gesundheitsminister im Kabinett Kohl wurde, nahm er schon kurz darauf eine umfassende Gesundheitsreform in Angriff. Und legte sich jahrelang immer wieder mit sämtlichen Protagonisten des Gesundheitssektors an, dem nach der Autolobby wohl mächtigsten Kartell des Landes. Längst nicht alles ist ihm in den diversen Reformschritten geglückt und Seehofer wusste sehr gut, dass seine Gesundheitspolitik einer der Gründe für die Wahlniederlage 1998 war.

Im Jahr 2002 entging Seehofer wegen einer Herzmuskelentzündung nur knapp dem Tod. Sein Herz arbeitete nur noch mit zehn Prozent, 21 Tage lag er auf der Intensivstation, die Genesung dauerte Monate. Viele andere wären nach einer solchen Erkrankung kürzer getreten, doch Seehofer war immer ein Polit-Junkie. Politik, hat er einmal bekannt, sei "wie eine Sucht" für ihn. Kaum wieder auf den Beinen stürzte er sich in den Wahlkampf für den Kanzlerkandidaten Edmund Stoiber.

Doch der Traum, wieder Minister zu werden, erfüllte sich nicht. Im Gegenteil, für Seehofer begann nun der schwierigste Teil seiner Karriere, die ihn an den politischen Abgrund führte. Denn in der Union wehte plötzlich ein kalter, neoliberaler Wind. Seehofer, der mit seinem Fachwissen jedem anderen in der Union überlegen war, galt plötzlich als Fossil, als Sozialromantiker. Er stemmte sich als Fraktionsvize mit aller Kraft gegen diesen Zeitgeist, aber am Schluss stand er allein, im Stich gelassen auch von seinem Parteichef Stoiber.

Höhepunkt war der erbitterte Streit um die Kopfpauschale in der Krankenversicherung. In der Unionsfraktion wurde er gemobbt und als gaga hingestellt. Das vergiftete Verhältnis zwischen Angela Merkel und Seehofer, das Jahre später eine Entschärfung des Flüchtlingsstreites unmöglich gemacht hat - damals hat es seinen Ursprung. Ende 2004 stand Seehofer vor dem politischen Aus, plante eine zweite Karriere beim Sozialverband VdK.

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Der Ministerpräsident soll am Samstag auch CSU-Vorsitzender werden. Er wäre so mächtig wie Strauß, Stoiber und Seehofer vor ihm und könnte so unbedeutend wie keiner von ihnen werden.

Doch ausgerechnet Edmund Stoiber sorgte nach der Wahl 2005 für Seehofers politische Wiederauferstehung. Mit Brachialgewalt boxte Stoiber ihn als Minister durch. Nicht aus edlen Motiven, sondern aus Angst, der an der Basis nach wie vor populäre Seehofer könne als freies Radikal Unfrieden stiften. Dass sich Stoiber dann in die Büsche schlug, während Seehofer als Landwirtschaftsminister neue Reputation erwarb, ist eine besondere Pointe.

Wäre alles glatt gelaufen, wäre Seehofer wohl irgendwann der CSU-Vorsitz automatisch in den Schoß gefallen. Doch der plötzliche Sturz Stoibers Anfang 2007 durchkreuzte das. In der Nachfolgedebatte wurde eine außereheliche Affäre gegen Seehofer instrumentalisiert, er ließ sich trotzdem eine Kandidatur um den CSU-Vorsitz nicht ausreden, zog aber gegen Erwin Huber den Kürzeren. Noch war das Funktionärskartell stark genug, ihn zu verhindern. Doch nach der verheerenden Wahlniederlage 2008 mit dem Verlust der absoluten Mehrheit führte kein Weg mehr an Seehofer vorbei, plötzlich war er der Retter der CSU, beide Ämter fielen ihm zu. "Wir müssen den Seehofer wählen", sagte damals einer seiner Feinde in der Landtagsfraktion, "und dann eine Kerze in Altötting stiften."

Seehofer konnte tatsächlich liefern, holte 2013 die absolute Mehrheit in Bayern zurück. Doch mit der Ankündigung, beim nächsten Mal nicht mehr anzutreten, begann sein Abstieg. Ein Fehler, wie Seehofer längst weiß. Der Streit um die Flüchtlingspolitik wirkte dann wie ein Treibsatz. Nach der Bundestagswahl 2017 begann seine Demontage. Es ist eine interessante Spekulation, ob Seehofer sich zumindest als Parteichef hätte retten können, wenn es zu Jamaika gekommen wäre und er Finanzminister geworden wäre, statt sich als Innenminister weiter in das Flüchtlingsthema zu verbeißen. Und dabei immer mehr seine politischen Instinkte zu verlieren. Wo es Mäßigung gebraucht hätte, fachte er neuen Streit an, wo ein rasches, klares Wort notwendig gewesen wäre, schwieg er.

Und jetzt? Wie lange die Koalition in Berlin hält, kann keiner sagen. Ganz auf sich gestellt wäre Seehofer aber auch bei einem raschen Ende nicht sofort. Ihm steht für eine gewisse Zeit noch ein Büro als Alt-Ministerpräsident zu. Und zu den Fragen, die ihn besonders umtreiben, Rente, Kinderarmut, Ökologie, will er sich sowieso weiter äußern. Nur mit seiner eigenen Feuerkraft. "In der Politik", sagt Horst Seehofer, "brauchen wir Typen."

© SZ vom 17.01.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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