An dem Ort, an dem Ilse Aigner und Horst Seehofer am Dienstag aufeinandertreffen, hatte Aigner schon einmal über den Ministerpräsidenten triumphiert. Das ist zwar schon eine Weile her, aber die Szene hatte sich eingeprägt: Aigner knöpft sich den mächtigen Seehofer vor. Zum Spaß, oder wie Seehofer sagen würde: zum Spassss.
Ilse Aigner, damals noch Landwirtschaftsministerin in Berlin, war mit Faschingsvereinen in die Münchner Staatskanzlei geschlichen. Aigner gab die Faschings-Kronprinzessin, stellte sich neben Seehofer und zog an dessen Krawatte, die für ihn zur Schlinge wurde. "Sie sehen die geheimen Wünsche der Ilse", sagte Seehofer. "Sie will mir die Luft abdrücken."
Und wer drückt heute wem die Luft ab? Ein Spaß ist dieser Dienstag im Kabinett jedenfalls nicht. Aigner und Seehofer liefern sich wieder eine Kraftprobe. Aigner will die Kosten der Energiewende mit Krediten finanzieren, auf Pump sozusagen. Am Wochenende hatte die SZ ihre Pläne publik gemacht. Seehofer distanzierte sich umgehend: keine Kredite. Aigners Politik sei nicht nachhaltig. Es ist nichts Neues, dass Seehofer sein Personal auflaufen lässt, es mitunter sogar runtermacht. Neu ist dies: Aigner gab nicht gleich klein bei.
Sie sagte: "Es reicht nicht, immer nur Nein zu sagen." Jetzt hat die CSU, die selbst in den Tagen ihrer Winterklausur mit viel Liebe zum Detail Streit anzettelt, Krach im eigenen Haus. Ganz ohne Schadenfreude: Es ist heute schon selten, dass sich überhaupt noch jemand Widerworte erlaubt in dieser Partei, in der Seehofer nach den zwei gewonnenen Wahlen im vergangenen Jahr die Alleinherrschaft ausübt.
Mit ihrer Kreditidee kann sich Aigner zwar am Dienstag nicht durchsetzen. Sie werde "derzeit nicht weiterverfolgt", sagt sie hinterher kurz angebunden in ihrem Ministerium. Ein Kabinettsmitglied sagt, er hätte mit einer Art Hinrichtung gerechnet. "Junge, das wird heute spannend", dann aber habe er eine der "intensivsten Diskussionen" seit langer Zeit erlebt.
Streit über Energiewende:Seehofer stoppt Aigner
Ilse Aigner wollte es offenbar nicht zur Eskalation kommen lassen: Nach einem Veto des CSU-Chefs zieht die bayerische Wirtschaftsministerin ihre Pläne zurück, die Energiewende auf Pump zu finanzieren. Ein Machtwort Seehofers soll dafür gar nicht nötig gewesen sein.
Aigner kämpfte für ihre Idee. Sie habe auch Charme, heißt es hinterher. Die CSU hatte ein solches Modell schon mal durchgerechnet. Aber es passe nicht in die "Grundrichtung der Partei", die laute: keine neuen Schulden. Aigner und Seehofer hatten vor der Sitzung miteinander gesprochen, erzählt der Regierungschef am Abend, von einem Dissens will er nichts wissen.
Im Streit mit Seehofer ist Aigner unterlegen. Deshalb ist sie aber nicht gleich die große Verliererin. Sie emanzipiert sich von Seehofer, ein längst überfälliger Schritt. Ihm einmal zu bedeuten, dass er in der Partei nicht alleine den Daumen zu senken oder zu heben hat, kommt jedenfalls an. Gerda Hasselfeldt, die Chefin der CSU-Bundestagsabgeordneten, sagt, die Energiewende sei zu wichtig, als dass man Aigners Vorschlag einfach so vom Tisch wischen könne. Die bayerische Wirtschaft wünscht sich eine Diskussion darüber. Sogar der evangelische Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm begrüßte den Vorstoß.
Seehofer betreibt ein Spiel um seine Nachfolge, die er gerne selbst regeln möchte. Er benutzt sein Spitzenpersonal. Wer ihm hilft, seine Ziele zu erreichen, steht bei ihm hoch im Kurs. Wer ihm dabei aber zu nahe kommt, dem macht er das Leben schwer. Und wenn die Gefahr besteht, dass die Nachfolge auf eine einzige Person zuläuft, erfindet er eben neue mögliche Nachfolger wie jetzt Alexander Dobrindt, seinen Berliner Maut-Minister.
Das Verhältnis zwischen Seehofer und Aigner war dennoch immer besonders. Aigner war die erste CSU-Politikerin, die für Seehofer ins Risiko gegangen ist, als lange nicht sicher war, dass die CSU noch einmal den Anschluss an ihre glanzvollen Zeiten schaffen würde. 2011 - als Seehofer in der Partei mehr geduldet als angehimmelt wurde - bereitete er Aigners Rückkehr von der Bundespolitik in die Landespolitik vor. Er machte sie zur Chefin des mächtigen CSU-Bezirksverbandes Oberbayern. In einem zweiten Schritt gab sie ihre Karriere in Berlin auf, um für Seehofer Landtagswahlkampf zu machen.
Auf die Frage, ob Aigner nach dem Streit immer noch seine Kronprinzessin sei, sagte Ministerpräsident Seehofer am Dienstagabend in Kreuth: "Ja, selbstverständlich." Jeder Minister habe das Recht, dass seine Vorschläge mit pro und kontra diskutieren werden. "Das haben wir in einem sehr guten Klima getan."
Aigner hatte ihren Wechsel nach München kühl durchkalkuliert. Dass sie ihn unternommen hat, um erste bayerische Ministerpräsidentin zu werden, spricht sie nie offen aus. Dass es darauf keine Garantie gibt, weiß sie. Vom einflussreichen Posten des CSU-Fraktionsvorsitzes, der Aigner als Netzwerkerin viel eher gelegen hätte, hielt Seehofer sie fern. Sie kämpfte auch nicht wirklich darum.
Ankunftsstress in Bayern
Stattdessen machte Seehofer Aigner zur Wirtschaftsministerin in Bayern, im Kabinett hat er sie besser unter Kontrolle. Die Energiepolitik machte er an seiner Ministerin vorbei, torpedierte den Windkraftausbau, weil er keine Windräder mehr sehen mag. Er ist gegen Pumpspeicherkraftwerke, weil er den Ärger der Bürger nicht hören will. Und jetzt will er auch keinen Fonds zur Finanzierung.
Wer Aigner kurz vor Weihnachten traf, erlebte eine von Ankunftsstress in Bayern und Koalitionsverhandlungen in Berlin ausgelaugte Politikerin. Sie hat sich offenbar vorgenommen, dass 2014 für sie anders läuft. Aigner reicht's. Nun dämmert es auch der Ministerin, dass Seehofer ihr nicht die Tür aufhalten wird, wenn es um seine Nachfolge geht. Höflich war die CSU ohnehin noch nie.
Aber auch für Seehofer wird das Jahr 2014 anders laufen. Noch ist er stark genug, Rebellionen standzuhalten. Aber wenn im März die Kommunalwahl vorüber ist und im Mai die Europawahl, dann wird bald die Bereitschaft in der Partei abnehmen, sich Seehofer weiter zu unterwerfen. In der CSU bekommt man nichts geschenkt. Erst recht nicht die Macht.