Niederbayern:Geschichtsspeicher unterm Dach

Niederbayern: Initiatoren des Zentrums der Regionalkultur (von links): Firmenchef Thomas Bader, Heimatforscher Hans Schneider und Kuratorin Stefanje Weinmayr.

Initiatoren des Zentrums der Regionalkultur (von links): Firmenchef Thomas Bader, Heimatforscher Hans Schneider und Kuratorin Stefanje Weinmayr.

(Foto: Marco Einfeldt)

In Buch am Erlbach entsteht aus der Sammlung des Lokalhistorikers Hans Schneider ein Zentrum der Regionalkultur. Kuratorin Stefanje Weinmayr betreut das Projekt, das explizit kein Heimatmuseum werden soll.

Von Hans Kratzer, Buch am Erlbach

Mangel, Hunger und Bitternis, so hießen die Plagen der frühen Nachkriegsjahre. Es war ein zäher Prozess, bis endlich wieder Farbe in den Alltag kam und dazu ein bisschen Ablenkung. Im Jahr 1949 meldete Matthäus Zehntner in der zwischen Landshut und Freising gelegenen Gemeinde Buch am Erlbach ein Lichtspielunternehmen an. Er betrieb ein sogenanntes Wanderkino, ein Gewerbe, das nach dem Aufstieg des Tonfilms in den 20er-Jahren vor allem auf dem Land auf großen Zuspruch stieß. Auch Zehntner reiste nun mit seiner schweren Ausrüstung von Dorf zu Dorf. Bis in die frühen 60er-Jahre hinein waren Fernsehgeräte ein rares Gut, deshalb hieß es an faden Sonntagen nur in jenen Wirtshäusern, in denen Wanderkinos gastierten: Film ab! Als das Fernsehen dann rasch an Popularität gewann, wurde es um die Wanderkinos still. Wie so viele Errungenschaften fielen auch sie dem Fortschritt zum Opfer.

Der Lokalhistoriker Hans Schneider ist, obwohl er bald 80 Jahre alt wird, immer noch ein überaus drahtiger und tatkräftiger Mann. Er gehört einer Altersgruppe an, die so viele Umwälzungen erlebt hat wie kaum eine Generation zuvor. Die heimatkundliche Sammlung des ehemaligen Gastwirts dokumentiert die Wucht der Veränderungen auf einzigartige Weise. All die Urkunden, Karten, Briefe, Verträge und Protokolle, die Schneider in jeder freien Minute in den Archiven gesucht, kopiert und abgeschrieben hat, sind jetzt fein säuberlich in einer langen Reihe von 1600 Ordnern einsortiert. Überdies trug er 1400 historische Maschinen und Geräte zusammen sowie gut eine Million Bilder. Schneiders Dokumentation füllt ein riesiges Depot. Natürlich gehört auch der Nachlass des Matthäus Zehntner dazu, dessen Wanderkino eines der letzten in Bayern war.

Die Sammlung besticht aber nicht nur durch ihre räumliche Fülle. Bei näherer Betrachtung wird deutlich, dass sie eine Tiefe und eine Qualität besitzt, wie man sie auf dem Feld der Heimatforschung nur selten findet. Sie sucht wohl in ganz Europa ihresgleichen. Schneider hat sich als Autodidakt mit größter Leidenschaft ein historisches Rüstzeug angeeignet, das wissenschaftlichen Kriterien jederzeit genügt und überall Begeisterung weckt, denn er versteht es ausgezeichnet, sein Wissen allgemein verständlich und spannend vorzutragen. Hunderte Vorträge hat er bereits gehalten, Ausstellungen organisiert, auch Aufsätze hat er geschrieben und ein breites Interesse für die Lokalgeschichte geweckt.

Eben weil seine Forschungen viele Phänomene verständlich machen, die auch die Gegenwart prägen, nicht zuletzt Themen wie Zuwanderung, Seuchen und Pandemien. Es ist beeindruckend, wenn Schneider aus dem Stand am Beispiel der Gemeinde Buch präzise darlegt, warum sich die Dorfstrukturen vom 14. bis zum frühen 19. Jahrhundert im Gegensatz zu heute kaum verändert hatten. Die von ihm ausgewerteten Akten belegen, dass Zuzug und Ansiedlung in den Dörfern streng reguliert waren, wobei aber auch darauf geachtet wurde, dass lebenswichtige Handwerksberufe wie Schmied, Bäcker und Wirt immer besetzt waren, wenn nötig durch einen Bewerber von auswärts.

Als vor einigen Jahren die Frage drängender wurde, wo die kostbare Sammlung eine Heimat finden könnte, eröffnete sich eine Chance, die in diesen schwierigen Zeiten, in denen Kultureinrichtungen um ihr Überleben kämpfen, wie ein Leuchtturmprojekt erscheint. Die im Ortsteil Vatersdorf angesiedelte Ziegeleifirma Leipfinger-Bader stellte großzügig Räume zur Verfügung. Und nicht nur das. Die Sammlung soll neue Maßstäbe in der Präsentation setzen, und zwar nicht im Stile eines Heimatmuseums, sondern als ein Zentrum der Regionalkultur unter dem Namen "Der neue Geschichtsboden".

Es soll neben Wechselausstellungen auch Forschungsmöglichkeiten geben sowie viele Veranstaltungen. "Wir freuen uns sehr, Hans Schneider und seiner bedeutenden Sammlung eine neue Heimat geben zu dürfen", sagt Firmenchef Thomas Bader. Der Geschichtsboden nimmt im Dachgeschoss des Verwaltungsgebäudes auf einer Fläche von 250 Quadratmetern bereits Gestalt an.

Niederbayern: Auch dieses opulent gestaltete Messbuch aus dem 19. Jahrhundert ist Teil der umfangreichen Sammlung des Heimatforschers Hans Schneider.

Auch dieses opulent gestaltete Messbuch aus dem 19. Jahrhundert ist Teil der umfangreichen Sammlung des Heimatforschers Hans Schneider.

(Foto: Marco Einfeldt)

Die Realisierung des Projekts haben die Firma und die aus ihr hervorgegangene Kastulus-Bader-Stiftung in die Hände der Kunsthistorikerin Stefanje Weinmayr gelegt, die in der Museumswelt keine Unbekannte ist. Seit 1995 war sie mit der wissenschaftlichen Betreuung der Fritz-und-Maria-Koenig-Stiftung in Landshut und dem Aufbau des Skulpturenmuseums im Landshuter Hofberg (jetzt Koenigmuseum) betraut, das sie bis 2020 leitete. Unter anderem zählte sie zum Kuratoren-Team der Retrospektive mit Werken von Fritz Koenig, die 2018 in den Uffizien in Florenz Aufsehen erregte.

Nachdem sie nach kulturpolitischen Querelen Landshut den Rücken gekehrt hatte, übernahm sie im Sommer die Aufgabe als Kuratorin des Geschichtsbodens. Frau Weinmayr könne hier unbefangen ihre Ideen und Ambitionen realisieren, sagt Thomas Bader. Bei allem Respekt vor der Aufgabe, ein neues Format zu entwerfen, ist die Kuratorin hoch motiviert: "Der Geschichtsboden ist für mich ein singuläres Beispiel für lokalgeschichtliche Forschung, die fundiert ist und zugleich eine Lebendigkeit hat, die viele große kulturgeschichtliche Museen missen lassen." Dabei soll in Vatersdorf laut Weinmayr kein herkömmliches Museum entstehen, sondern ein mit moderner medialer Technik ausgestatteter, begehbarer Speicher an Wissen, Geschichten und Geschichte.

Schneider und Weinmayr arbeiten seit Monaten eng zusammen. Im frühen Sommer soll der Geschichtsboden eröffnet werden, sofern - nicht zuletzt durch die Corona-Krise - nichts mehr dazwischenkommt. "Es gibt schon noch ein paar knifflige Aufgaben zu lösen, sagt Stefanje Weinmayr, umrahmt von den neuen Vitrinen und den historischen Dachbalken des Dachgeschosses, die den künftigen Wechselausstellungen einen passenden Rahmen verleihen werden. Auch an einer Homepage (www.geschichtsboden.de) wird gerade eifrig gebastelt, auf der Filme, Objekte und Geschichten aus der Geschichte präsentiert werden sollen. Dass dieses Projekt zügig vollendet wird, das wünscht sich Hans Schneider von Herzen. In seinem Alter habe man keine Zeit mehr zu verlieren, sagt er, und es sei ja noch so viel zu forschen und zu erledigen, dass er weitere 80 Jahre in die Arbeit investieren könnte.

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