Die Geschichte des Unglücks:Welche Krisen Bayern schon überstanden hat

Die Geschichte des Unglücks: Das Hochwasser von 1784 in Würzburg, eines der größten im Maintal überhaupt.

Das Hochwasser von 1784 in Würzburg, eines der größten im Maintal überhaupt.

(Foto: Museum für Franken, Würzburg)

Das Haus der Bayerischen Geschichte beschäftigt sich in einem neuen Themenheft mit den Krisenzeiten seit dem Mittelalter. Aber so schlimm die Katastrophen auch waren: Land und Menschen haben sich davon immer wieder erholt.

Von Hans Kratzer

Januar 1860: Strenge Wintertage bedrängen das Königreich Bayern, in den alten Chroniken will das Elend gar nicht mehr abreißen. Etwa auf dem Burgerhof im Erdinger Holzland, wo die Bauersleute am stürmischen Dreikönigstag hilflos zuschauen mussten, wie ein Feuer den Getreidestadel sowie den Stall in Schutt und Asche legte. Dabei verbrannten 16 Schober Weizen und 30 Schober Korn, außerdem das gesamte Sommerstroh. Auch die Kühe und Schafe fanden in den Flammen einen jähen Tod. Über die Brandursache schweigen die Akten, lediglich eine Unvorsichtigkeit deuten sie an. Daraus lässt sich aber eine Erklärung für das Feuer ableiten. Gerade in der Dreikönigsnacht, in der die Menschen nach altem Brauch die Häuser und Ställe ausräucherten, wurden sie häufig von Feuersbrünsten heimgesucht.

Vor dem Aufkommen der Feuerwehren brannten nicht selten ganze Ortschaften nieder. Im Juli 1814 wurde Tirschenreuth bis auf vier Häuser zerstört, 1834 traf es Bad Reichenhall, und 1846 brannte Bodenmais bis auf drei Häuser nieder. Die Ursachen waren meistens Brandstiftung, Unachtsamkeit und schlechte Bausubstanz.

Im Krieg entfachten die Bomben das Feuer. Am 16. März 1945 traf es Würzburg, der Angriff forderte Tausende Tote. So kraftstrotzend und paradiesisch das Land Bayern heute dastehen mag, so dramatisch und unheilvoll verlief die Geschichte in den Jahrhunderten davor. Verglichen damit wirkt die Corona-Krise nur wie ein Hauch des Elends aus früheren Zeiten.

Es ist also nachvollziehbar, dass das Haus der Bayerischen Geschichte sein neues Magazin den großen Krisen in Bayern gewidmet hat. In der knapp hundert Seiten starken Publikation blicken Fachleute in kurzen und gut bebilderten Essays nicht nur auf Seuchen, Kriege und Naturkatastrophen zurück, sondern analysieren auch deren langfristige Folgen. Es erscheint gewagt, dass 14 Beiträge den gewaltigen und katastrophenreichen Zeitraum vom Mittelalter bis in die Gegenwart abbilden sollen. Tatsächlich reicht die Auswahl aber aus, um die Dimension dieser Abgründe deutlich zu machen. Beim Lesen merkt man schnell: Das Wohl des Menschen betreffend, hat es noch nie ein ähnlich rosiges Zeitalter wie das heutige gegeben.

Betrachtet man die existenziellen Bedrohungen während der Pestepidemien und des Dreißigjährigen Krieges, so jagt einem das schnell ein Schaudern über den Rücken. Die Drangsal hat sich so sehr ins kollektive Gedächtnis eingegraben, dass sogar die Redewendungen von damals (Flinte ins Korn werfen) bis heute überdauerten.

Weniger bekannt ist, dass der Landshuter Erbfolgekrieg von 1504/05 die Schrecknisse des Dreißigjährigen Kriegs in Bayern fast komplett vorwegnahm. Nach dem Tod des Herzogs Georg, des Bräutigams der Landshuter Hochzeit, kam es zu dieser "wegweisenden Auseinandersetzung für Bayerns Geschichte", wie es im Heft heißt. Der Krieg brachte Zerstörungen apokalyptischen Ausmaßes mit sich, die Krise strahlte weit über Bayern hinaus. Der aus den Kriegsverbrechen resultierende Bevölkerungsrückgang um 30 Prozent entsprach in etwa dem des Dreißigjährigen Kriegs (1618 bis 48). Das Land war extrem zerstört und ausgeplündert.

Die Geschichte des Unglücks: Pestschutz © Stadtarchiv Nürnberg, F 1 Nr. 42, Bl. 100 Mit spezieller Kleidung versuchte man, sich vor den Ausdünstungen der Pest zu schützen. Aus diesem Grund wurden auch Pesttote abgedeckt.

Pestschutz © Stadtarchiv Nürnberg, F 1 Nr. 42, Bl. 100 Mit spezieller Kleidung versuchte man, sich vor den Ausdünstungen der Pest zu schützen. Aus diesem Grund wurden auch Pesttote abgedeckt.

(Foto: Stadtarchiv Nürnberg)

Aber stets gingen mit dem Untergang Impulse für eine neue Zeit einher. So setzte um 1670 herum ein barocker Bauboom ein. Auch Klöster und Kirchen lagen damals in Trümmern, aber gerade in dieser Not wurde das Land fast flächendeckend barockisiert. Ob das eine Art früher "Marshall-Plan" und eine Krisenbewältigungsstrategie war, wagt die Historikerin Britta Kägler in ihrem Essay nicht zu behaupten, aber sie schreibt: "Die Barockbauten entwickelten sich zu einer willkommenen Konjunkturmaßnahme, die zahlreiche Handwerker und Künstler, Tagelöhner und Hilfsarbeiter in Lohn und Brot setzte."

Tatsächlich wuchsen die Dörfer in der Nähe von Klosterbaustellen stärker als in anderen Regionen. Doch schon drohte der nächste Rückschlag. Die Hungerkrise von 1770/73 wurde verursacht durch Klimastürze infolge von Vulkanausbrüchen. In Lindau warfen die Kinder damals im Sommer mit Schneebällen, drei Jahre lang fiel die Ernte aus, der Kampf ums Brot forderte Tote und Verletzte. Überdies wüteten Ruhr, Fleckfieber und Typhus, weshalb Bayerns Bevölkerung um sechs Prozent schrumpfte. Und ständig folgten neue Gefahren, etwa die Volksseuche Syphilis, in der viele eine göttliche Strafe erkannten - wie auch in den Hochwasserkatastrophen.

Die Geschichte des Unglücks: Gedenkmedaille zur Hungerkrise 1770/73.

Gedenkmedaille zur Hungerkrise 1770/73.

(Foto: Museum Brot und Kunst, Ulm)

Nach dem Rekordwinter von 1783, in dem die Vögel erfroren vom Himmel fielen, stiegen die Fluten rasch an und verwüsteten Landschaften und Talzüge. Der Vulkanausbruch in Indonesien im Jahr 1816 brachte ein weiteres Jahr ohne Sommer. In den Städten brachen Tumulte wegen der Teuerung aus, das Hungerfieber ging einher mit Cholera, die sich anschickte, das Leben in ganzen Landstrichen auszulöschen.

Die Menschen waren nach jeder Katastrophe gezwungen, neue Strategien zu entwickeln. Vor allem das Versorgungs- und Gesundheitswesen musste aus Überlebensgründen auf eine neue Qualität gehoben werden. Hätten sich ohne die dritte Cholera in München 1873/74 der Ausbau eines modernen Kanalisationssystems oder die Schaffung einer zentralen Wasserversorgung auch so schnell entwickelt? Jede Krise wirft Fragen auf, gerade jene im Heft thematisierten Zeiten wie die Revolution von 1919, die Hungerwinter von 1945 bis 1948 und die Flüchtlingskrise von 2015.

Doch zurück zum Burgeranwesen. Auch dort werden die Hofbewohner am Dreikönigstag in der Hoffnung auf Segen alle Stuben, Kammern und den Stall ausgeräuchert haben. Die Chronik spricht von einem Sturmwind zur nämlichen Zeit. Es war wohl ein Leichtes, dass der Wind Funken von der Glut im Heustadel absetzte. Die bösen Geister, die der Rauch vertreiben sollte, konnten dort ihr zerstörerisches Werk vollenden.

Das Magazin "Krisen in Bayern" gibt es im Haus der Bayerischen Geschichte (zurzeit nur online) und beim Verlag Pustet (www.hdbg.de/museum).

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