SZ-Brachvogel:Der Nachwuchs der Schnepfingerin ist tot

Lesezeit: 3 min

Die Schnepfingerin streift jetzt wieder alleine durch die Wiesen. Die Jungen des SZ-Brachvogels sind wohl gefressen worden. (Foto: Joachim Aschenbrenner/LBV)

Die Experten sind sich ziemlich sicher, dass die jungen Brachvögel einem Hermelin oder einem Fuchs zum Opfer gefallen sind.

Von Christian Sebald, München

So schnell kanns gehen. Bis vor wenigen Tagen haben sie im Landesbund für Vogelschutz (LBV) gestaunt, wie gut es der Schnepfingerin und ihrem Nachwuchs geht. Dann hat das Brachvogel-Weibchen wieder einmal von einem Tag auf den anderen sein Verhalten komplett umgestellt. Und seither sind sich Markus Erlwein, der das Forschungsprojekt betreut, und die anderen Experten immer sicherer, dass der Nachwuchs von Schnepfingerin tot ist. Zumal sie inzwischen auch die Umstände rekonstruiert haben. "Es kommen nur ein Hermelin oder ein Fuchs in Frage", sagt Erlwein. "Für beide Räuber sind junge Brachvögel eine willkommene Beute und beide sind im Königsauer Moos nicht gerade selten."

Aber der Reihe nach: Es ist jetzt fast drei Wochen her, dass die Jungen der Schnepfingerin geschlüpft sind. Seither war die Brachvogel-Familie fast den ganzen Tag um das Nest herum unterwegs. Nur nachmittags und nächtens gönnte sich Schnepfingerin kurze Pausen - zum Fressen und zum Ruhen. So hat es der GPS-Sender, den ihr die LBV-Leute für ihr Forschungsprojekt auf den Rücken geschnallt haben, auf die Computer in der LBV-Zentrale im mittelfränkischen Hilpoltstein übermittelt. "Das sind natürlich nur ganz nüchterne Datensätze", sagt Erlwein. "Aber dennoch hatten wir schon fast das Gefühl, dass wir Schnepfingerin und ihrem Nachwuchs auf ihren Streifzügen zusehen können." Zumal die Daten, die ihr GPS-Gerät aufzeichnete, wie im Lehrbuch dem Bewegungsmuster einer jungen Brachvogelfamilie entsprachen.

SZ-Serie: Dem Schnabel nach
:Wie Schnepfinger den Heimweg findet

Der Große Brachvogel findet mit Präzision von dem Winterquartier zurück in seine Heimat Bayern. Sein Orientierungssinn setzt sich offenbar aus verschiedenen Faktoren zusammen.

Von Christian Sebald

Bis zu dem Morgen, an dem sich alles änderte. "Aber auch da sah zunächst noch alles ganz normal aus", berichtet Erlwein. "Nach einer kurzen nächtlichen Ruhepause, die sie auswärts verbracht hat, ist Schnepfingerin wie gewohnt morgens gegen sieben Uhr im Brutrevier eingetroffen." Für gewöhnlich nahm sie dort sofort den Nachwuchs in Empfang, den bis dahin ihr Partner beschützt hatte, und zog mit ihm los. Nicht so an diesem Morgen. "Ungefähr eine Stunde lang hat sich Schnepfingerin praktisch nicht vom Fleck weggerührt", sagt Erlwein. "Dann ist sie plötzlich zu einer etwa 1,5 Kilometer weit entfernten Wiese geflogen." Und dort ist sie den ganzen Tag geblieben. Gegen 16 Uhr ist sie noch einmal in ihr Brutrevier zurückgekehrt. "Aber alsbald ist sie in das elf Kilometer entfernte Übernachtungsgebiet gewechselt, das sie immer vor dem Schlupf der Jungen aufgesucht hat", sagt Erlwein. "Seither war sie nie wieder in ihrem Brutrevier."

Was war passiert? Natürlich wissen es Erlwein und die anderen Experten nicht mit hundertprozentiger Gewissheit. Denn sie waren ja nicht dabei. Und Spuren von dem nächtlichen Geschehen in dem Revier der Schnepfingerin wird man nicht entdecken können. "Aber die Daten des GPS-Geräts reichen völlig aus, das Geschehen zu rekonstruieren", sagt Erlwein. "Es kann nur ein Hermelin oder ein Fuchs gewesen sein, der sich den Nachwuchs von Schnepfingerin geholt hat."

Hermeline fressen hauptsächlich kleine Säuger wie Mäuse, Ratten oder Maulwürfe. "Aber sie nehmen schon mal einen Vogel mit", sagt Erlwein, "vor allem wenn der leicht zu schnappen ist." Hermeline jagen tagsüber und in der Dämmerung, sie orientieren sich über ihren Geruchssinn und ihr feines Gehör. "Außerdem machen sie gerne Männchen", sagt Erlwein. Wenn sie eine potenzielle Beute erkannt haben, schleichen sie sich still an und töten sie ganz plötzlich per Nackenbiss.

Füchse hingegen jagen nachts. "In der Fachliteratur wird berichtet, dass Fähen mit ihren Jungen gezielt Brutgebiete von Wiesenvögeln aufsuchen", sagt Erlwein, "damit diese dort die Vogeljagd üben können." Rabenkrähen oder Rohrweihen, die auch gerne auf junge Brachvögel aus sind, schließt Erlwein aus. "Unsere Daten lassen den Schluss zu, dass der Nachwuchs von Schnepfingerin in der Dämmerung oder nachts zu Tode gekommen ist", sagt er. "Und da gehen weder Rabenkrähen noch Rohrweihen auf Jagd." Die Jungen der Schnepfingerin dürften nicht die einzigen Brachvögel gewesen sein, die sich die Füchse und Hermeline im Königsauer Moos geholt haben. "Bis vor kurzem haben unsere Fachleute dort immer wieder Warnrufe von Alttieren an ihre Jungen gehört", sagt Erlwein. "Seit kurzem ist alles ruhig."

Die Schnepfingerin, so hart das aus menschlicher Sicht klingt, hat sich mit dem Verlust schnell abgefunden. Auch ihr Partner, der den Nachwuchs in der bewussten Nacht betreut hat, aber keinen Sender trägt, dürfte schadlos davon gekommen sein. "Er wird einfach davon geflogen sein", vermutet Erlwein. Schnepfingerin ist jetzt wieder viel unterwegs. "Anfangs war sie noch oft in der Nähe ihres Reviers anzutreffen. Inzwischen werden ihre Ausflüge immer weiter", sagt Erlwein. "Womöglich hat sie sich anderen Brachvögeln angeschlossen und verbringt mit ihnen den Tag." In der Fachsprache heißt das momentane Verhalten von Schnepfingerin "nachbrutzeitliches Umherstreifen". In anderen Worten: Sie hat nichts mehr zu tun, in diesem Jahr, in ihrem Revier.

© SZ vom 07.06.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

SZ-Serie: Dem Schnabel nach
:Schnepfinger wartet

Der Große Brachvogel, den die SZ begleitet, ist wieder in der Heimat. Tagsüber hält er sich in seinem alten Brutrevier nahe dem früheren Gelege auf. Er will die Ankunft seines Partners nicht verpassen.

Von Christian Sebald

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: