Es dürfte wenige Altvordere geben, die ihren Abschied nicht mit einem "Ratschläge sind ja auch Schläge" befloskelt haben. Will heißen: Wenn ich nicht mehr die Nummer eins bin, dann gibt's von mir auch keinerlei Reinquatschereien mehr. Noch weniger Altvordere gibt es, wo das dann auch zutrifft.
Bayreuth vergangene Woche, in der Woche vor der Festspieleröffnung, das ist die neurotischste Woche Oberfrankens (übrigens auch die einzige, der Oberfranke neigt dazu nicht). Der hintere Teil des Festspielhauses erinnert da gerade an einen Nachbau von Wallensteins Lager, der seine Monsterzeltstadt historisch ja ebenfalls in Franken aufgeschlagen hatte. Pandemiebedingt ist im Festspielhaus momentan wenig Platz, also kommt dieser Zeltstadt eine eminente Bedeutung zu.
Wagner-Festspiele in Bayreuth:Und dann lugt plötzlich die Kanzlerin aus dem Auto
Kein roter Teppich, kein Staatsempfang: Vieles ist anders in diesem Jahr auf dem Grünen Hügel. Doch festlich wird es trotz Corona-Beschränkungen.
Alles ist verhüllt und verbarrikadiert, dass dies historische Festspiele sind - im Jahr eins nach der Absage -, wird da noch dem Dümmsten klar. Und wer ist der Herr dieser fraglos in die Geschichte eingehenden Wagnerzeltstadt? Auf einem Schild kann man's nachlesen: "W. Wagner". Zuständig für Sanitär, Spenglerei, Heizung und - jawohl - sogar für die mobilen Festspieltoiletten. Ach, Wolfgang.
Apropos Altvordere. Sollte alles normal laufen, so wird diese Festspieleröffnung die letzte der amtierenden Bundeskanzlerin gewesen sein. Und wo das so ist, könnte man ja nun eigentlich mal herausposaunen, wo das Paar Merkel/Sauer sich üblicherweise bettet in der Nacht nach den Eröffnungsfanfaren. Andererseits: Die Kanzlerin ist bekennende Wagnerianerin, die führt nicht nur ihre Abendgarderobe aus in Bayreuth. Könnte also sein, dass sie wiederkommt. Und auch dann wenig Lust hat auf Schaulustige.
Bayreuther Festspiele:Heuer nur ein Hügelchen
Kein roter Teppich, nur die Hälfte der Zuschauer und der Chor singt draußen - aber die Wagner-Festspiele finden wieder statt. Wie Bayreuth versucht, dieses besondere Gefühl trotz aller Corona-Beschränkungen zu bewahren.
Also. Das Hotel ist nur ein paar Kilometer vom Festspielhaus entfernt und ästhetisch - wie soll man sagen - den Achtzigerjahren auf das Engste verbunden. Bodenständig-gutbürgerliches Franken-Retro sagen die einen, ein Horror aus Dekoplunder und verziertem Klodeckel finden andere. Helmut Kohl? Würde man dort eher erwarten. Aber der Garten ist hübsch. Und der Blick ins Frankenland.
Altvordere? SZ-Recherchen haben jetzt ergeben, dass sich unter "W. Wagner" angeblich ein nicht auf "Wolfgang" lautender Name verbirgt. Also nicht der verblichene Hügelboss. Wer's glaubt.