Kratzers Wortschatz:Hupfhaxerte Zufußgehende

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Vor Weihnachten waren wieder haufenweise Zufußgehende in den Innenstädten unterwegs - meist in Fußgängerzonen, oder - besser gesagt - Zufußgehendenzonen. (Foto: Florian Peljak)

In amtlichen Texten wird das Wort Fußgänger durch den ausdrucksschwachen Begriff Zufußgehende ersetzt. Das bringt die Gefahr mit sich, dass die meisterliche Genauigkeit, mit der die Alltagssprache die Nuancen des Gehens beschreibt, nun verloren geht. 

Von Hans Kratzer

Zufußgehende

Eine Stadträtin aus Wien hat Aufregung verursacht, weil sie in einer Mitteilung nicht Fußgänger, sondern Zufußgehende geschrieben hatte. Die Boulevardpresse geriet in Alarmstimmung: "Stadt Wien schafft das Wort Fußgänger ab." Die Angst mag übertrieben sein, aber dass die Wiener Offiziellen in Gendersachen generell sehr motiviert sind, belegen zum Beispiel ihre Anschreiben ("Sehr geehrte Damen, sehr geehrte Herren, sehr geehrte Menschen aller Geschlechter!"). Aber nicht nur Wien favorisiert neuerdings Wörter wie Zufußgehende.

Auch der Deutsche Verkehrssicherheitsrat, der laut Mitteilung zur Erkenntnis gelangt ist, zu Fuß gehen sei die natürlichste Form der Mobilität, meidet das Wort Fußgänger gerne zugunsten der Zufußgehenden. Man tut dem Begriff Zufußgehende keinen Tort an, wenn man auf dessen Blässe und Kraftlosigkeit im Ausdruck hinweist. Im Bairischen sind gerade die Redewendungen rund um das Gehen von einer großen Bildhaftigkeit. Sie beschreiben mit einer manchmal ironisch gefärbten, aber stets meisterlichen Genauigkeit den Gehvorgang in all seinen Schattierungen. Geht einer schlecht, sagt man: "Der hatscht daher wia a oider Mo!" Oder: "Die Maierin hat a schlechts Gehwerk!" Oder auch: "Der Toni ziagt aber an Hax noche, er ist hupfhaxert!" Das heißt: Er hinkt. Auf der anderen Seite stehen die akademischen Spracherneuerer, denen selbst die Zufußgehenden noch nicht gerecht genug klingen. Sie bringen bereits die Zufußgehendinnen ins Spiel.

Stift

Der frühere SPD-Chef Franz Müntefering hat im Interview mit der SZ kundgetan, wie sehr ihn die Demografie beschäftige. Er sagte: "Man geht heute nicht mehr wie ich damals mit 14 in den Beruf, sondern im Schnitt mit 24, weil viele studieren. Als ich 1954 in meinem metallverarbeitenden Betrieb Stift wurde, da gab es noch die 42-Stunden-Woche." Das Wort Stift kennen viele Menschen heute nicht mehr. Als Müntefering Stift war, bedeutete dies, er war noch Lehrling oder Lehrbub. In Bayern ist hier und dort die Verkleinerungsform Stifte (Stifti) zu hören, im Bauhandwerk gab es den Maurersteft. Ob der Stiftenkopf, auch Stiftlkopf genannt, damit zusammenhängt? Da sind die Haare so kurz geschnitten, dass sie wie Stiftl vom Kopf wegstehen. Die Minimalfrisur könnte auch mit dem auszubildenden Stift zusammenhängen, der im Beruf noch manches lernen muss.

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