SZ-Serie: Urlaub daheim:Das Geheimnis der Amalberga

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Im Jahr 2000 stand als Erste die junge Frau mit Buch auf dem Hammelberg und blickte aufs Tal. (Foto: Florian Trykowski)

Sie ist jung, schlank, hält ein Buch in den Händen, trägt einen Dutt auf dem Kopf - und sie ist aus Beton. Niemand weiß, wer sie erschaffen hat. Und sie ist nicht alleine auf dem Hammelberg.

Von Katja Auer

Nein, sagt Reiner Stein, es wisse wirklich niemand. Das große Rätsel, das Hammelburg seit mehr als 20 Jahren beschäftigt, sei kein gut gepflegter Mythos, um mehr Touristen in die Gegend zu locken, sondern tatsächlich ungelöst: Wer hat die Figuren auf den Hammelberg geschaffen, die von dort herunter schauen auf die Fränkische Saale?

Reiner Stein ist Gästeführer im Städtchen Hammelburg im Landkreis Bad Kissingen; er bringt den Besuchern nicht nur die Geschichte der ältesten Weinstadt Frankens näher, sondern marschiert mit ihnen auch hinauf zu den geheimnisvollen Figuren. So lautet deren offizieller Titel, ein Wanderweg ist ausgeschildert, ein Flyer gedruckt. Das Geheimnis wird vermarktet, aber nicht geklärt. "Nach der langen Zeit gehen wir davon aus, dass es wirklich niemand weiß", sagt Stein.

In Hammelburg sind sie froh über die Figuren auf dem Hammelberg. (Foto: Klaus Gößmann-Schmitt)

Es soll der Ostersonntag im Jahr 2000 gewesen sein, als sie an einer exponierten Stelle auf dem Hammelberg zum ersten Mal gesehen wurde. Eine junge Frau mit schulterlangen Haaren, ein Buch in der Hand, den Blick über das Tal gerichtet. Eine Statue aus Beton, wohl mehr als 200 Kilogramm schwer, doch nirgendwo gab es Spuren von schwerem Gerät. "Es ist ja nachts stockdunkel dort oben", sagt Stein, "aber es hat auch niemand ein Licht gesehen."

Noch mysteriöser sei gewesen, dass die Figur im Jahr 2014 einfach wieder verschwand - und vier Jahre später wieder auftauchte, allerdings in verwandelter Form. Das Kleid gegürtet, die Haare zum Dutt gefasst. "Ich sag immer, sie ist selbstbewusster geworden", sagt Stein. Aber auch diesmal: keine Spuren, keine Ahnung, wer dahinter steckt. Dabei sei der Mörtel am Sockel noch feucht gewesen, als sie der erste Spaziergänger am Morgen entdeckte.

Die Figur hat längst einen Namen, Amalberga nennen sie die Hammelburger, nach der Ostgoten-Königin, die strategisch ins Geschlecht der Thüringer verheiratet wurde, weil ihr Onkel Theoderich der Große den expandierenden Franken eine starke Allianz entgegenhalten wollte. Als das scheiterte, um das Jahr 530 nach Christus herum, floh Amalberga nach Ravenna. "Jetzt ist sie wohl zurückgekehrt, um in Hammelburg nach dem Rechten zu sehen", sagt Reiner Stein.

Ein Jahr nach der Skulptur der jungen Frau mit Buch kam der alte Mann im Sessel dazu - Philosoph genannt. (Foto: Klaus Gößmann-Schmitt)

Die Dame ist nicht allein auf dem Hammelberg, ein Jahr nach ihrem Auftauchen gesellte sich ganz in der Nähe ein älterer Herr dazu, brachte gleich einen steinernen Lehnstuhl mit und guckt seitdem sinnierend in die Gegend. Johann Wolfgang von Goethe könnte das sein, habe man zuerst vermutet, erzählt Reiner Stein, aber der ist es wohl nicht. Nun wird er der Philosoph genannt. Auch er sitzt direkt an der Kante des Berges und bringt es samt Stuhl wohl auf annähernd 600 Kilogramm. Der Weg dahin ist kaum mehr als ein Trampelpfad, der Transport muss ein wahrer Kraftakt gewesen sein.

Und schließlich schlich sich noch eine Tänzerin auf den Berg, die ein Jahr darauf einen Buben an die Hand bekam. Wieder unbemerkt, wieder ohne Spuren zu hinterlassen.

Die Figuren sind ein Geschenk für das Städtchen. Reiner Stein hat über die Jahre beobachtet, dass immer wieder Touristen ihretwegen nach Hammelburg kommen. Sogar den Tourismus-Preis "Schöneres Saaletal" haben sie schon gewonnen, nur verliehen werden konnte er nicht. Da habe der damalige Bürgermeister Arnold Zeller einen Aufruf gestartet, erzählt Stein, die Künstler möchten sich doch bei ihm melden - er werde ihre Identität nicht preisgeben. "Das war ein integrer Mann", sagt Stein, "dem konnte man das glauben." Angeblich hat er den Preis tatsächlich an die Künstler überreicht - das Geheimnis aber mit ins Grab genommen, als er 2015 starb.

Wer die Figuren besuchen möchte, durchwandert die Weinberge an der Fränkischen Saale, das kleinste Anbaugebiet in Franken. Auf 6000 Hektar wird in ganz Franken Wein angebaut, im Saaletal sind es gerade einmal 120 Hektar. Die aber haben Tradition. Hammelburg nennt sich nicht ohne Stolz die älteste Weinstadt Frankens. Eine Urkunde von Karl dem Großen aus dem Jahr 777 soll das bezeugen, das Dokument wird gehütet im Bayerischen Staatsarchiv. Etwa 70 Winzer bewirtschaften die Hänge, darunter bekannte Güter wie das Schloss Saaleck hoch über der Stadt, das schon wegen des Aufstiegs auf den Bergfried einen Abstecher lohnt, der einen Blick über Hammelburg bis weit in die Rhön bietet.

An den Terroir f lernt man viel über den Weinbau. (Foto: Katja Auer)

Die Geschichte des Weinbaus lässt sich am "Terroir f" nachvollziehen. Solche besonderen Punkte gibt es in vielen fränkischen Weinbergen, mehr als ein Dutzend sind es inzwischen. Sie sollen die besondere Verbindung zwischen Winzer und Natur zeigen, an landschaftlich besonderes schönen Plätzen mit oft spektakulärer Aussicht. Stationen zum Hören und Lesen bringen dem Besucher auf dem Hammelberg Traditionen und Probleme des Weinbaus nahe, von Karl dem Großen bis heute. Wer nun noch eine Flasche heraufgetragen und einen Schoppen sozusagen am Entstehungsort verkosten kann, hat alles richtig gemacht.

Zum Wein wird in Hammelburg Dätscher gereicht, ein dreieckiges Gebäck aus Roggenteig, bestreut mit Kümmel und grobem Salz. Entstanden eher zufällig, heißt es, weil man die Teigreste vom Brotbacken nicht einfach wegwerfen wollte. Also "dätschte" sie der Bäcker mit der Hand in Form und buk sie in der Resthitze des Ofens. Heute werden sie dem ratlos dreinschauenden Besucher in der Bäckerei sogleich als das offeriert, was er mutmaßlich suche. Und Hammelburg hat es mit dem Dätscher immerhin unter die 100 Genussorte in Bayern geschafft.

© SZ vom 25.06.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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