Sozialpolitik in Bayern:Mehr Geld für die Tafeln, aber auch mehr Bedarf

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Backwaren werden für die Tafel Nürnberg angeliefert, und es sind längst nicht mehr nur ukrainische Geflüchtete, die für die Essenausgabe anstehen, sondern zum Beispiel auch Studierende, denen das Geld nicht mehr reicht. (Foto: Nicolas Armer/dpa)

Die Staatsregierung erhöht den Zuschuss auf eine Million Euro. Ob das angesichts der hohen Nachfrage reicht? So steht es derzeit um die Tafeln in Bayern.

Von Patrick Wehner

Seit Dienstag läutet Peter Zilles Handy fast durchgehend. An diesem Tag hatte das bayerische Kabinett angekündigt, die Förderung für die Tafeln im kommenden Jahr mit Mitteln aus dem Härtefallfonds von 600 000 Euro auf eine Million Euro anzuheben. Seitdem wollen nun alle wissen, ob denn dieser Betrag überhaupt ausreiche. Oder wohin das Geld gehen solle. "Seriös können wir das aber nicht beantworten, weil wir selber überrascht waren von der Erhöhung. Und erst evaluieren müssen, wo es am meisten bringt", sagt Peter Zilles, der Vorsitzende der Tafeln in Bayern.

Gerade herrschen für die bayerischen Tafeln und ihre meist ehrenamtlichen Helferinnen und Helfer die härtesten Zeiten seit vielen Jahren. Russlands anhaltender Angriff auf die Ukraine, steigende Energiepreise und die hohe Inflation bringen die Tafeln immer weiter an den Rand des Kollapses. Mehrere Einrichtungen sahen sich dieses Jahr bereits gezwungen, bedürftige Menschen abzuweisen.

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Natürlich soll laut Zilles ein Teil des Geldes direkt an die örtlichen Tafeln fließen. Man werde aber auch die Geschäftsstelle und die Logistik dringend ausbauen müssen. Mittelfristig müssen der Verband und seine 174 Tafeln in Bayern sich weiter professionalisieren und vergrößern, um immer mehr Menschen mit Nahrung versorgen zu können. Bereits ein wenig älteren Zahlen zufolge kümmern sich die Tafeln um 200 000 Menschen in Bayern. Mittlerweile dürfte die Zahl aber weit höher liegen, Anfang nächsten Jahres sollen neue Daten erhoben werden.

Geld wird beispielsweise benötigt in der Verwaltung. "Alleine für eine größere Spende und die auszustellenden Quittungen war eine feste Mitarbeiterin mehrere Monate gebunden", sagt Tafel-Chef Peter Zilles. Hinzu kommt, dass der Landesverband nur über einen einzigen großen Lkw verfügt, um Lebensmittel in Bayern verteilen zu können. Sich hier breiter aufzustellen, sei aber unerlässlich. Denn: "Supermärkte werden in ihren Bestellungen immer besser", erzählt Zilles. Und je besser sie würden, desto weniger Lebensmittel blieben für die Tafeln übrig. Das heißt, die Tafeln müssen jetzt immer häufiger zu den Produzenten selbst fahren, um Nahrung von dort in zentrale Lager und dann in alle Winkel Bayerns zu verteilen.

Und dann wären da noch die steigenden Energiepreise. Zilles geht von einer Verachtfachung der Energiekosten aus. Bei der Menge an Herausforderungen, die die Tafeln ohnehin schon jetzt zu stemmen hätten, werde man sich damit erst im nächsten Jahr auseinandersetzen können. Dann, wenn die Rechnungen auch tatsächlich in den Briefkästen landeten. Zilles befürchtet aber einen "schweren Nackenschlag" in der ersten Jahreshälfte 2023.

"Wir sehen immer mehr Einheimische, die Hilfe brauchen"

Edeltraud Rager, die Chefin der Tafel in Nürnberg, sieht das ähnlich. Seit sich die Zahl der Kunden dort dieses Jahr verdoppelt hat und weiter wächst, ist die Lage extrem angespannt. "Dabei sind es nicht mehr nur Geflüchtete aus der Ukraine, die zu uns kommen. Wir sehen immer mehr Einheimische, die Hilfe brauchen", sagt Rager. Das seien neben Studierenden, deren Bafög schlicht und ergreifend nicht ausreiche, auch viele Einzelpersonen und Familien. Viele von ihnen hätten sich noch vor einem halben Jahr nicht vorstellen können, zur Tafel gehen zu müssen. Das heißt für Rager und ihre rund 280 ehrenamtlichen Helferinnen und Helfer, dass sie jetzt mehrmals am Tag Essen ausgeben. Und Lebensmittel immer wieder rationieren müssen.

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Verantwortlich dafür sind ihrer Meinung nach unter anderem die extrem gestiegenen Energiekosten, die die Menschen zahlen müssen. Ein Problem, das auch der Nürnberger Tafel selbst und ihren fünf Außenstellen zusetzt. Mit sieben Kühlwagen verteilen sie aus dem Lager im Stadtgebiet Lebensmittel. Dazu brauche ein Wagen einen kompletten Tank Diesel pro Woche. "Das kostet rund 130 Euro pro Füllung", weiß Rager. Vor einem Jahr lag der Betrag bei der Hälfte. Zusätzlich fallen alleine für das Lager und die zentrale Ausgabestelle in Nürnberg 7500 Euro Miete pro Monat an - ohne Nebenkosten. Und das seien nur wenige der regelmäßigen Posten. Für eine Organisation, die sich zum allergrößten Teil über Spenden finanziert und von Ehrenamtlichen getragen wird, ist das eine Herkulesaufgabe. Natürlich ist man für die Erhöhung des Zuschusses sehr dankbar, sagen Rager und Peter Zilles unisono. Aber ohne die vielen anderen Spenden und Helfer würden viele Menschen wohl erst mal hungern müssen.

Besonders sind es laut Rager derzeit private Firmen, die die Tafeln vor dem Zusammenbruch bewahrten und andere Helfer entlasteten. "Immer öfter werden Angestellte von ihren Firmen freigestellt, damit sie bei uns ein, zwei Tage helfen können. Ohne sie würde sonst nichts mehr gehen bei uns", sagt Edeltraud Rager. Dennoch freue man sich sehr über jede weitere Helferin und jeden Helfer.

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