Modellprojekt "Take-Home-Naloxon":Ein Stoff, der Leben rettet

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Bei einem Projekt wurden Drogenkonsumenten geschult, wie sie im Notfall das Opioid-Gegenmittel Naloxon einsetzen. Laut der Bundesdrogenbeauftragten soll daraus nun ein "bundesweites Erfolgsmodell" werden.

Von Gregor Grosse, München

Wer dachte, Heroin sei aus der Drogenszene verschwunden, irrt sich. Das Opioid war im vergangenen Jahr die mit Abstand häufigste Ursache von Drogentoten in Bayern: Das Landeskriminalamt (LKA) hält 109 solcher Fälle fest. Die Dunkelziffer ist wohl um einiges höher. Auch andere Opioide wie Fentanyl oder Methadon sind nach wie vor verbreitet. Die Sterblichkeit von Opioidabhängigen liegt um ein Zehnfaches höher als bei Nichtabhängigen. Etwa ein Drittel stirbt an einer Überdosierung. Oftmals können Abhängige nicht mehr gerettet werden, selbst wenn jemand versucht, Hilfe zu leisten. Aus diesem Grund fördert das bayerische Gesundheitsministerium das Modellprojekt "Take-Home-Naloxon" (THN), das in Bayern seit 2018 am Laufen ist. Federführend ist die Universität Regensburg, die mit verschiedenen Einrichtungen der bayerischen Suchthilfe kooperiert.

Bei dem Projekt wurden Drogenkonsumenten geschult, wie sie im Notfall das Opioid-Gegenmittel Naloxon einsetzen. Naloxon kann im Fall einer Überdosis die atemlähmende Wirkung von Heroin und anderen Opioiden innerhalb kürzester Zeit aufheben. Am Donnerstag haben Gesundheitsminister Klaus Holetschek und die Bundesdrogenbeauftragte Daniela Ludwig (beide CSU) die Ergebnisse der Studie präsentiert und auch gleich ein Nachfolgeprojekt angekündigt.

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"Wir schauen auf ein erfolgreiches Projekt zurück, das Leben gerettet hat", sagte der Gesundheitsminister. Insgesamt wurden 550 Teilnehmer mit Naloxon ausgestattet. In 102 Fällen kam das Gegengift zum Einsatz und hat vermutlich Schlimmeres verhindert. "Naloxon schwächt die Wirkung ab und kann den Drogentod verhindern, wenn es korrekt eingesetzt wird", sagte Holetschek. Daher sei es richtig gewesen, das Projekt in Bayern durchzuführen, erklärte die Drogenbeauftragte. "Es muss in der Drogenpolitik weniger um festgezurrte Ideologien, sondern wirklich um den Menschen gehen", sagte Ludwig am Donnerstag.

Heike Wodarz von Essen, die federführende Projektleiterin an der Universität in Regensburg, fasste die Ergebnisse des Projekts zusammen. Es gebe eine große Bereitschaft von Opioidabhängigen, anderen im Fall einer Überdosierung zu helfen. "Die ist wissenschaftlich gesehen doppelt so hoch wie von der Normalbevölkerung bei einem Autounfall", erklärte sie. Daher sei es die logische Schlussfolgerung, Naloxon unter den Betroffenen zu verteilen. Dafür brauche es aber entsprechende Kompetenzen. Die Auswertung habe ergeben, dass bei den Teilnehmern durch die Schulungen "signifikant mehr Wissen und Fähigkeiten aufgebaut" wurden. Das gelte auch für die praktische Anwendung.

Uwe Schmidt, Geschäftsführer der Drogenhilfe Schwaben in Augsburg, ist ausdrücklicher Befürworter des Projekts. "Damit hat man es endlich geschafft, Drogenkonsumenten etwas an die Hand zu geben", sagte er. Sie können dadurch selbst Verantwortung übernehmen. "Das ist auch der richtige Schritt, um grundsätzlich für das Thema zu sensibilisieren", meinte Schmidt. Insbesondere vor dem Hintergrund des steigenden Drogenkonsums. "Wir beobachten wieder verstärkt Heroinkonsumenten - auch bei jungen Leuten", erzählte er.

Die Drogenhilfe in Augsburg habe bereits positive Erfahrungen mit Konsumenten gemacht, die Naloxon verwenden. "Die sind sehr stolz, das gemacht zu haben", sagte Schmidt, "sie fühlen sich nicht mehr so machtlos - und sie sind am Leben." Die Suchtkranken werden darin bestärkt, nicht aufzugeben. Risiken oder Nebenwirkungen bestehen laut dem Drogenberater bei der Einnahme von Naloxon nicht: "Man kann dieses Mittel nicht missbrauchen - nur anwenden und damit Leben retten." Wichtig sei jedoch, dass die Drogennutzer wissen, was im Notfall getan werden müsse. Naloxon allein reiche hierfür nicht aus. Erste-Hilfe-Maßnahmen und der Anruf beim Notarzt sind freilich weiterhin notwendig.

Für die Drogenbeauftragte sind die Ergebnisse der Studie ein Zeichen dafür, das Verfahren in ganz Deutschland umzusetzen. "Aus dem bayerischen Modellprojekt soll ein bundesweites Erfolgsmodell werden", sagte Ludwig. Die Umsetzung werde nun geplant. "Wir müssen diesen Weg konsequent weitergehen", sagte Holetschek, "auch in Zukunft wird das ein fester Bestandteil der Drogenhilfe sein."

© SZ vom 10.09.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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