Artenvielfalt:Wenn Greifvögel durch "Kamikaze-Tauben" vergiftet werden

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Seeadler sind in Bayern sehr selten. Im Frühjahr ist in der Oberpfalz ein Seeadler-Weibchen an Rattengift verendet. (Foto: A. Held/Imago)

Beim Projekt "Tatort Natur" haben Vogelschützer dieses Jahr 25 zumeist tödliche Angriffe auf geschützte Tierarten gezählt. Die Täter schrecken selbst vor hinterhältigen Methoden nicht zurück.

Von Christian Sebald

Als ein Jäger im März 2023 in der Gegend des oberpfälzischen Hahnbach den Kadaver eines Seeadler-Weibchens entdeckte, war die Betroffenheit in der Region groß. Der streng geschützte Greifvogel gehörte zu der winzigen Population der streng geschützten Greifvogelart in der Oberpfalz. Das Weibchen hatte sich erst vor einigen Jahren im Landkreis Amberg-Sulzbach niedergelassen und dort wiederholt gebrütet. Anfangs dachten die Experten, dass es im Flug gegen ein Hindernis geprallt war, oder an einen anderen tödlichen Unfall. Die Obduktion ergab aber eine tödliche Dosis Rattengift. Ob das Seeadler-Weibchen gezielt vergiftet wurde oder von einem Kadaver eines anderen Tieres gefressen hat, das zuvor an Gift gestorben war, hat sich nicht aufklären lassen. Auch der Täter konnte nicht ermittelt werden.

Das vergiftete Seeadler-Weibchen ist ein Fall von insgesamt 25 einschlägigen Naturschutz-Straftaten, die der oberste Artenschützer im Landesbund für Vogelschutz (LBV), Andreas von Lindeiner, dieses Jahr in Bayern gezählt hat. Der Biologe koordiniert das Projekt "Tatort Natur", in dem der LBV und die Gregor-Louisoder-Umweltstiftung seit 2019 alle Fälle von vergifteten oder abgeschossenen streng geschützten Vögeln dokumentieren, die ihnen bekannt werden. Dieses Jahr wurden laut Lindeiner bayernweit 19 Eulen- oder Greifvögel vergiftet, auf weitere sechs geschützte Vögel wurde geschossen. Ein Weißstorch, ein Graureiher und ein Turmfalke wurden rechtzeitig entdeckt, ihre Verletzungen konnten behandelt werden, sie überlebten die Angriffe. Diese Statistik ist laut Lindeiner aber nur die "Spitze des Eisbergs, die allermeisten Naturschutz-Straftaten werden erst gar nicht bekannt".

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Aber auch in keinem der bekannten Fälle konnten der oder die Täter ermittelt oder sogar bestraft werden. "Das ist es, was uns besonders betroffen macht", sagt Lindeiner. "Das Vergiften oder Abschießen von streng geschützten Tierarten ist eine Straftat. Aber die Täter können nach wie vor davon ausgehen, dass sie straffrei davonkommen." Dabei haben Lindeiner zufolge Polizei und Staatsanwaltschaften in den vergangenen Jahren ihre Ermittlungen gegen diese Art von Kriminalität deutlich verstärkt. Auch das Milieu, in dem diese Straftaten begangen werden, kennt man ziemlich genau. "Es handelt sich um einzelne Jäger, die Hasen, Rebhühner und anderes Niederwild vor Fressfeinden schützen wollen", sagt Lindeiner. "Oder aber um Hühner- oder Taubenzüchter, denen es um ihre Geflügelbestände geht."

Die Praktiken der Täter sind erstaunlich brutal. Lindeiner berichtet zum Beispiel von sogenannten Kamikaze-Tauben. "Das sind Tauben, die schwach, alt oder aus einem anderen Grund züchterisch uninteressant sind", sagt der Biologe. "Der Täter streicht ihren Rücken mit einem Gift ein und lässt sie an einem Ort aufsteigen, an dem er damit rechnen kann, dass sie von einem Greifvogel entdeckt werden." Schlägt dieser die "Kamikaze-Taube" und frisst von ihr, holt er sich die tödliche Vergiftung. Es kann freilich auch vorkommen, dass Greifvögel gleichsam "Kollateral-Opfer" werden. Dann nämlich, wenn es die Täter mit ihrem Giftköder auf Füchse oder andere kleine Raubtiere abgesehen haben, und ein Habicht oder eine Eule zufällig davon frisst. Besonders häufig werden die Köder mit Carbofuran präpariert. Das Nervengift ist seit 2007 europaweit verboten und kann schon bei Hautkontakt für Menschen gefährlich werden.

Regionaler Spitzenreiter bei den Straftaten ist übrigens die Oberpfalz - insbesondere die Region Regensburg. Aber auch aus den anderen Regierungsbezirken des Freistaats werden immer wieder vergiftete oder beschossene Greifvögel gemeldet. Polizei und Staatsanwaltschaften zollt Lindeiner ausdrücklich großes Lob. "Die Ermittler haben in den vergangenen Jahren stark aufgeholt." Die Dokumentation und andere Abläufe bei Verdachtsfällen sind längst professionalisiert und standardisiert worden, es gibt Informationsveranstaltungen und Schulungen, inzwischen auch für Mitarbeiter der Naturschutzbehörden an den Landratsämtern.

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