So unterschiedlich die Parteien auch sind im Landtag, in dieser Sache kamen sie doch immer gut miteinander aus. Es geht um Expertenanhörungen in den Ausschüssen. Wenn komplizierte Gesetze anstehen oder komplexe Entwicklungen beleuchtet werden sollen, werden Fachleute gehört. Jede Fraktion bestimmt, wen sie zu einem Thema einladen möchte und dann wird drauflos diskutiert. So war das bis jetzt. Doch wie so viele parlamentarische Abläufe änderte sich das mit dem Einzug der AfD.
Die hat für diesen Donnerstag, wenn im Umweltausschuss über den Klimawandel gesprochen wird, einen Experten ausgesucht, den der SPD-Abgeordnete Florian von Brunn für untragbar hält. Sebastian Lüning heißt der Mann, ein Geologe, ein "Klimaleugner", wie Brunn sagt. Lüning ist Mitautor des Buches "Die kalte Sonne", Untertitel: "Warum die Klimakatastrophe nicht stattfindet". Darin vertritt er die Meinung, dass der Klimawandel in erster Linie nicht menschengemacht sei, sondern durch die Sonneneinstrahlung entstehe. Die Erderwärmung der vergangenen 150 Jahre führt er auf einen natürlichen Zyklus zurück und sagt voraus, dass die nächsten Jahrzehnte eher von einer Abkühlung geprägt sein werden. Von Lüning gibt es zudem ein Video, in dem er einem Reporter der Jungen Freiheit ein Interview gibt, die als "Sprachrohr der Neuen Rechten" gilt. Darin behauptet er, dass es in der Wissenschaft keine klare Haltung dazu gebe, ob der CO₂-Ausstoß der Menschen Hauptgrund für den Klimawandel sei und wirft den Medien vor, "sehr, sehr selektiv" zu berichten.
Für Brunn hat er sich damit als Experte disqualifiziert. Natürlich suchten sich Fraktionen meistens die Fachleute aus, die ihren Überzeugungen am nächsten kämen, sagt Brunn. Mit dieser Praxis aber hat die AfD-Einladung an Lüning aus seiner Sicht nichts mehr zu tun. Lüning bewege sich auf "Fake-News-Niveau", sagt Brunn, den Boden seriösen, wissenschaftlichen Argumentierens habe er "komplett verlassen". Seine Aussagen stünden in klarem Widerspruch zu allen Erkenntnissen der Klimaforschung. Brunn nennt etwa die Behauptung, dass es in der Wissenschaft keine klare Antwort auf die Ursachen des Klimawandels gebe. Dass Lüning einem "bekannten rechtsnationalen Medium" ein Interview gebe und seriöse Medien angreife, zeige seine politische Verortung bei der AfD.
Brunn vermutet, dass er Teil eines internationalen "Klimawandel-Leugner-Netzwerks" sei, hinter dem nicht nur politische, sondern auch wirtschaftliche Interessen stünden. Dafür würden Lünings Auftritte bei dem Verein "Eike" sprechen, der den menschengemachten Klimawandel abstreitet und internationale Verbindungen zu ähnlichen Einrichtungen pflegt. Außerdem gibt Lüning auf seinem LinkedIn-Profil an, für eine portugiesische Gas- und Ölfirma zu arbeiten und davor für RWE und Shell tätig gewesen zu sein. "Der AfD geht es nicht um Expertise, sondern um Desinformation und Fake-News", sagt Brunn.
Seine Bedenken teilte er den Vorsitzenden des Umweltausschusses mit, zusammen mit der Frage, ob die Möglichkeit bestehe, im Ausschuss über Lüning als Fachmann abzustimmen. Die Eigenschaft als Experte setze formal keine besonderen Erfordernisse voraus, teilt das Landtagsamt mit. Theoretisch aber könnte ein Mehrheitsbeschluss über das Expertenverzeichnis gefasst werden, wenn ein Vorschlag völlig untragbar wäre. Bislang sei das noch nie vorgekommen.
So wie es aussieht, wird es auch am Donnerstag nicht vorkommen. Rein formal sei es zu spät für einen Antrag, sagt Rosi Steinberger, aber auch inhaltlich teile sie die Bedenken nicht. Steinberger ist Ausschussvorsitzende und Mitglied der Grünen-Fraktion. Als solche, könnte man meinen, fiele ihr die Verteidigung eines Mannes schwer, der meint, der Klimawandel sei nicht in erster Linie menschengemacht. Steinberger hat damit aber offenbar kein Problem. Auch sie hat sich das Interview Lünings mit der Jungen Freiheit angesehen und findet: "Er argumentiert sehr wissenschaftlich." Hätte er nun rechtsradikale Thesen von sich gegeben, wäre das etwas anderes. Im Gegensatz zu Brunn ist sie der Meinung: "Man kann seine Thesen wissenschaftlich belegen." Lüning sei Wissenschaftler und selbst als Gutachter des Weltklimarats aufgeführt. "Zu sagen, den nehmen wir nicht, obwohl er fachlich geeignet ist, da wird es schon schwierig, argumentativ", sagt Steinberger. So sah man das offenbar auch im Bundestag, wo Lüning dem AfD-Abgeordneten Franz Bergmüller zufolge ebenfalls im Umweltausschuss sprach. Eine Anfrage an die AfD blieb bis zum frühen Dienstagabend unbeantwortet.
Dass Lüning als Experte sprechen darf, dürfte Brunn schmerzen. Ebenfalls unangenehm ist für ihn der Name von Lünings Co-Autor: Fritz Vahrenholt, tätig für Energiekonzerne und - SPD-Mitglied. Auch gegen ihn als Fachmann würde er sich wehren, versichert Brunn.