Politik in Bayern:Viermal so schwer

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Standen sich schon mal näher: Ministerpräsident Markus Söder (CSU, links) und Hubert Aiwanger (Freie Wähler). (Foto: dpa)

Den Freien Wählern droht das gleiche Schicksal wie einst der FDP: Die übermächtige CSU bestimmt die Agenda der Koalition - und könnte erneut den kleinen Partner erdrücken.

Von Andreas Glas, München

Wenn Martin Zeil von damals erzählt, dann spricht er von einem "Dreh-buch". Damals, das war der Herbst 2008, als CSU und FDP ihren Koalitionsvertrag unterschrieben - und FDP-Mann Zeil zum Wirtschaftsminister wurde. Die CSU war geschrumpft, auf 43 Prozent, die FDP gewachsen, acht Prozent. Der Vertrag lag da, schwarz auf weiß, aber wo soll da ein Drehbuch gewesen sein? In den Köpfen der CSU, sagt Zeil: "Wie kriegen wir die FDP wieder klein? Das war das Drehbuch", an dem die CSU von Anfang an geschrieben habe. Das Ende der schwarz-gelben Koalitionsstory ist bekannt: Die CSU holte die absolute Mehrheit zurück, die FDP flog aus dem Landtag.

Lange her. Die FDP ist zurück im Landtag, die CSU regiert jetzt mit den Freien Wählern. Und trotzdem: Manche sehen Parallelen in den Handlungssträngen von damals und heute. Noch müssen die Freien Wähler nicht fürchten, aus dem Landtag zu fliegen; in Umfragen liegen sie bei acht Prozent. Nur, bei der Landtagswahl 2018 waren es noch fast zwölf. Weil die Umfragen die CSU bei 48 Prozent sehen, müssten die Freien Wähler zumindest um ihre Regierungsbeteiligung bangen, wenn demnächst gewählt würde. Wiederholt sich gerade die Geschichte?

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Die Regierungsvertreter betonen zwar gerne die gute Zusammenarbeit, doch es knirscht auf beiden Seiten. Vor allem die Freien Wähler fühlen sich von der CSU in eine unangemessene Rolle gedrängt.

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Wenn man so will, erleben die Freien Wähler mit der CSU nun das, wovor Parteichef Hubert Aiwanger beim Start der Koalition noch gewarnt hat: "Dass man gut aufpassen muss, wenn man mit jemandem ins Bett geht, der viermal so schwer ist wie man selbst. Dann wird man schnell erdrückt." Es liegt nahe, dass Aiwanger das Schicksal der FDP im Kopf hatte, als er das sagte. Wie skrupellos die CSU damals war, offenbarte im Jahr 2008 eine Studie, die sie bei einem Meinungsforschungsinstitut in Auftrag gab. Das Institut empfahl der CSU, die FDP anzugreifen, die zu diesem Zeitpunkt bereits ihr Koalitionspartner war. Aber kann man am Beispiel der FDP tatsächlich ablesen, welches Szenario den Freien Wählern blüht?

Da sind zum Beispiel die Liebesszenen in beiden Koalitionsdrehbüchern. Sowohl gegenüber der FDP als auch den Freien Wählern gegenüber trat die CSU bisweilen auf, als habe sie sich nichts sehnlicher gewünscht als endlich nicht mehr allein zu regieren. "Das ist eine Modellkoalition, sie hat auch Zukunft", über 2023 hinaus, sagte Ministerpräsident Markus Söder nach dem ersten schwarz-orangen Jahr. So verschmust sprach schon mal ein Ministerpräsident über seinen Regierungspartner. "Horst Seehofer war schlau genug, nur gut über die FDP zu reden, und dass er die Koalition fortsetzen will", sagt Martin Zeil über das Wahljahr 2013, als Seehofer die Liberalen förmlich mit Komplimenten erdrückte - und ihnen die Luft nahm, sich als selbständige Partei zu profilieren. Am Ende war das Reifenprofil so abgerieben, dass der FDP-Mannschaftsbus unter die Fünf-Prozent-Planke rutschte.

Man habe gute Politik gemacht, sagt einer aus der FDP von damals. Aber man sei vielleicht "zu sehr auf Konsens" aus gewesen mit der CSU. "Wir waren damals der vollen Überzeugung: Wenn wir das Beste für Bayern abliefern, ist es für beide Koalitionspartner gut." Am Ende habe aber nur die CSU profitiert. Die sei eben eine "knallharte Strategiepartei, das große Thema bei der CSU ist nach wie vor die absolute Mehrheit". Dass die Freien Wähler nun immer öfter querschießen, sei eine Lehre aus den schwarz-gelben Koalitionsjahren. "Die wissen, mit welchem Ergebnis wir geendet haben. Logisch, dass die sagen: Das darf uns nicht passieren."

Es wäre nur plausibel, wenn die Freien Wähler in der CSU/FDP-Koalition nun die Negativschablone für ihre eigene Rolle sehen. Eine andere Schablone gibt es ja nicht, bis 2008 hat die CSU 46 Jahre lang allein regiert. Wie akut Parteichef Aiwanger inzwischen besorgt ist, von der CSU erdrückt zu werden, ließ er vor ein paar Tagen durchblicken. "Der Fokus lag ausschließlich auf Söder", sagte er über die Corona-Krisenpolitik der Regierung, "unsere treibende Rolle bei vielen Öffnungen ist nicht rübergekommen". Aiwanger sagte zwar, es gehe ihm nicht um parteistrategische Fragen. Er sagte aber auch: "Wenn in einer Koalition die Position des kleineren Koalitionspartners zu wenig durchdringt, kann man das nicht auf Dauer laufen lassen." Er spüre bei den FW-Anhängern den "Druck, sich lauter zu Wort zu melden".

Wie das aussieht, war am Dienstag zu beobachten, als die Freien Wähler ein Strategiepapier präsentierten, ohne die Inhalte mit der CSU abzusprechen. Das hat ihnen neuerlichen Knatsch mit ihrem Partner beschert - aber eben auch Aufmerksamkeit. Die Frage ist halt: Ist das wirklich eine zielführende Strategie, um neben der kraftstrotzenden CSU an Statur zu gewinnen? Auch die FDP suchte zeitweise die Konfrontation, etwa als es um die Rettung des insolventen Nürnberger Versandhauses Quelle ging. Die CSU war dafür, FDP-Wirtschaftsminister Zeil sah teure Staatshilfen skeptisch. Wachsen konnte die FDP trotzdem nicht am Konflikt, jedenfalls nicht nachhaltig. Ministerpräsident Horst Seehofer erklärte das Thema Quelle kurzerhand zur Chefsache, die Attacken überließ er seinem Umweltminister, der damals Markus Söder hieß. Zeil sei mit der Situation "überfordert", lästerte Söder. Dieses Muster kann man jetzt wieder begutachten. Während Ministerpräsident Söder die Krise Anfang März zur Chefsache machte, übernahm Finanzminister Albert Füracker die Lästereien, als Wirtschaftsminister Aiwanger die Strenge einiger Corona-Maßnahmen öffentlich in Frage stellte. Füracker warf Aiwanger indirekt vor, mit der Auszahlung der Corona-Soforthilfen überfordert zu sein. Da orientiert sich offenbar auch die CSU an der Schablone der schwarz-gelben Jahre: Sobald sich der Koalitionspartner groß macht, läuft jemand los, um ihn wieder aufs gewünschte Maß zu stutzen. "Man stellt die Kompetenz in Frage. Das ist wieder das Drehbuch", sagt Ex-FDP-Minister Zeil.

Zuletzt schlüpfte CSU-Fraktionschef Thomas Kreuzer in die Rolle des Regisseurs. Über das Strategiepapier der Freien Wähler sagte Kreuzer, es sei ein "Problem, wenn weitreichende Ankündigungen gemacht werden", die man am Ende ja doch nicht allein umsetzen könne. Eine recht unverblümte Ansage, wer aus Sicht der CSU am längeren Hebel sitzt: die CSU natürlich. Und so legten die Freien Wähler dann doch wieder die Kuschel-Rock-CD als Begleitmusik zu ihrem Strategiepapier auf. Söder sei "der klarste, der professionellste Politiker in Deutschland, vielleicht sogar darüber hinaus", flötete ihr parlamentarischer Geschäftsführer Fabian Mehring. Er kennt ja die Umfragezahlen - und weiß deshalb um das Risiko, die Konfrontation so auf die Spitze zu treiben, dass die Koalition wackelt.

Deutlich dramatischer war das bei der FDP, die damals auch in Berlin mitregierte - und in den Bundesumfragen derart abstürzte, dass der Negativtrend auf die Landtags-FDP abfärbte. Martin Zeil sieht darin bis heute den Hauptgrund, dass die Koalition mit der CSU ein derart desaströses Ende für seine Partei nahm - und nicht in der eigenen Politik in Bayern. Aber was heißt das jetzt für die Freien Wähler? Er wolle nicht selbstgerecht klingen, die FDP habe ihre eigenen Fehler gemacht, sagt Zeil. Man habe "nicht deutlich genug gemacht", dass es die FDP neben der CSU tatsächlich brauche. Die Freien Wähler wiederum seien der CSU "inhaltlich viel zu ähnlich, das ist deren Problem". Sie bräuchten "ein eigenes Thema", findet Zeil, eines "mit dem du der Öffentlichkeit zeigst: Es gibt keine Alleinregierung der CSU mehr".

Einige Themen haben die Freien Wähler nun ja auf den Tisch gelegt, in ihrem Strategiepapier. CSU-Fraktionschef Kreuzer war nicht glücklich über diesen Alleingang, aber er hat versprochen, bei einigen Punkten "zu überlegen, ob es einen Handlungsbedarf gibt". Das ist schon mal eine gute Nachricht für die Freien Wähler. Die noch bessere lautet: Bis zur nächsten Landtagswahl in Bayern bleiben ihnen immerhin noch drei Jahre, um das Drehbuch der CSU umzuschreiben.

© SZ vom 12.06.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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