Kommunen:Digitale Tücken

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Eine Terminvergabe fürs Erdinger Rathaus ist online möglich. Das Bauamt arbeitet gerade daran, dass Bauanträge samt Unterlagen digital eingereicht werden können. (Foto: Ute Grabowsky/imago images)

Bis Ende des Jahres sollen viele Verwaltungsdienstleistungen auch online nutzbar sein, so sieht es ein Bundesgesetz vor. Doch davon sind viele Städte und Gemeinden im Freistaat weit entfernt.

Von Maximilian Gerl, Veitshöchheim

Ein "bisschen stolz" ist Bürgermeister Jürgen Götz (CSU) auf die Auszeichnung schon, die seit Frühjahr die Website seiner Gemeinde ziert. Das blaue Schild mit gelbem Rand weist Veitshöchheim als "Digitales Amt" aus. Mehr als 90 Behördengänge lassen sich online von daheim aus erledigen, von der Beantragung zum "Abbrennen eines Feuerwerks" bis zur "Wohnungsgeberbestätigung" bei Einzug neuer Mieter. Das sind mehr als in anderen Gemeinden und sogar mehr als in mancher Stadt.

Zu viel Stolz will Götz trotzdem am Telefon nicht aufkommen lassen: Es gebe ja keinen Punkt, an dem die Digitalisierung der Verwaltung einfach beendet sei, sagt er, sie müsse vielmehr "permanent fortgeschrieben" werden. "Das ist ein längerwieriger Prozess."

Längerwierig: Das beschreibt die Digitalisierung in bayerischen Rathäusern ganz gut. Lange wurde darüber vor allem gesprochen, nun drängt die Zeit. Bis Ende dieses Jahres sollen viele öffentliche Verwaltungsdienstleistungen im Netz nutzbar sein, so will es das Onlinezugangsgesetz (OZG) des Bundes. Doch praktisch ist man davon im Freistaat vielerorts weit entfernt. Etliche Gemeinden - das zeigt eine interaktive Karte des bayerischen Digitalministeriums - hatten zum Oktober sieben, zehn oder 20 Dienstleistungen internetfähig gemacht. Auch bei den Großstädten ist die Zwischenbilanz ausbaufähig. Nürnberg etwa kommt als bayerischer Spitzenreiter auf 247 Online-Verfahren, Augsburg auf 172, Regensburg auf 85.

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Neue Zahlen werden in den nächsten Tagen erwartet. Am teils extremen Gefälle werden sie nichts ändern. Die Digitalisierung soll zwar Komplexes einfacher machen, benötigt aber erst mal selber Zeit. "Man kann nicht alles auf Knopfdruck umstellen", weiß Bürgermeister Götz zu berichten. Vieles müsse parallel zum laufenden Betrieb organisiert werden. Und bei einer Gemeinde wie Veitshöchheim mit gut 10 000 Einwohnern "müssen wir auch schauen, wie das mit unseren Ressourcen funktioniert".

Größere Kommunen sind deshalb bei dem Thema häufig weiter, wie der Blick ins ministeriale Dashboard zeigt: Sie haben im Zweifel mehr Personal, mehr Budget sowie mehr Einwohner und den Druck, endlich digital zu werden. Ausnahmen von der Regel gibt es natürlich trotzdem. So bot Veitshöchheim zuletzt mehr Online-Verfahren an als die benachbarte Großstadt Würzburg (65) - und die Gemeinde Piding (52) mehr als das angrenzende Bad Reichenhall (23). Für Schweinfurt wiederum wurden 67 Dienstleistungen ausgewiesen, fürs ähnlich bevölkerungsstarke Passau 45.

Im Digitalministerium versteht man solche Rankings als freundliche Aufforderung an die hinteren Ränge, es den weiter vorne Platzierten trotz aller Schwierigkeiten bitte nachzumachen. "Vor Corona war ich mit dem Thema auch schon unterwegs, bin aber nicht immer durchgedrungen", sagt Ministerin Judith Gerlach (CSU). Inzwischen sei Bayern "auf einem guten Weg" und im Bundesvergleich sogar führend. Gut 60 Prozent der kommunalen Dienstleistungen seien online verfügbar, wenn auch nicht immer überall; bei den staatlichen Leistungen seien es sogar 77 Prozent.

Die Förderprogramme würden stärker abgerufen, die Seminare zum Digitallotsen - bei denen Mitarbeitende der Verwaltung Digital-Know-How lernen - besser besucht. Und das Servicepaket "BayernPackage" bietet nach Ministeriumsangaben mehr als 200 Online-Verfahren, die Städte und Gemeinden einfach übernehmen könnten.

Kleinere Gemeinden können keine IT-ler einstellen

Angesichts der Datenlage scheinen solche Angebote aber in der Fläche bislang eher sporadisch anzukommen. Von Seiten des Bayerischen Gemeindetags wird auf die "überschaubaren Handlungsspielräume" der Gemeinden verwiesen. Gerade die kleineren könnten oft keine IT-ler einstellen. Und Vereinen die Zuschüsse kürzen, um von dem Geld Software extern einzukaufen: auch schwierig. Häufig würden digitale Angebote zudem nicht von den Menschen angenommen. Hierbei sei auch der Bund gefragt, bessere Strukturen und mehr Akzeptanz zu schaffen.

Dabei gäbe es schon so genug zu klären. Zum Beispiel, was denn nun von wem wie zuerst zu digitalisieren wäre. Das OZG, 2017 beschlossen, definiert hierzu knapp 600 sogenannte Leistungsbündel auf Bundes-, Länder- und kommunaler Ebene, die sich wiederum in Tausende Einzelleistungen untergliedern. Das klingt nach mehr Anleitung, als es ist. Auch das im Sommer verabschiedete bayerische Digitalgesetz lässt Interpretationsspielraum.

Demnach sind die Behörden zwar verpflichtet, "geeignete Verwaltungsverfahren dem Bürger gegenüber digital anzubieten" - aber nur, wenn das auch "wirtschaftlich und zweckmäßig" ist. Zusätzlich kompliziert wird es dort, wo die Digitalisierung nicht bis zu Ende gedacht wird oder an der Technik scheitert. So blamierte sich jüngst das Landesamt für Statistik bei der Zensus-Erhebung: Daten mussten offenbar händisch von Tablets in die Computer übertragen werden, statt automatisiert ins System einzulaufen.

Online-Formulare werden ausgedruckt und abgetippt

Ähnlich behilft man sich laut Benjamin Adjei in manchen Rathäusern. Statt dort durchgängige digitale Prozesse einzurichten, würden die von den Bürgern ausgefüllten Online-Formulare oft ausgedruckt und abgetippt. Die Verantwortung dafür sieht der Sprecher der Landtags-Grünen für Digitalisierung beim Ministerium - und zwei Wege, wie die Digitalisierung der Verwaltung noch gelingen könne. Entweder stelle der Freistaat eine Art Rundumpaket für alle Ämter bereit, die sich digitalisieren wollten. "Oder die Kommunen machen das alleine, dann brauchen sie das Personal." Derzeit werde weder das eine noch das andere gemacht, sondern "die Verantwortung auf die Kommunen abgeschoben". Adjei selbst plädiert fürs fachkundige Personal, "in mindestens jedem Landratsamt" und vom Freistaat gefördert, um den Gemeinden zu helfen und Synergien zu schaffen.

Von solchen Stellen hält jedoch die Digitalministerin wenig: Zu groß sei der Eingriff in die kommunale Selbstverwaltung. "Wir möchten Angebote machen und Anreize setzen", sagt Gerlach. Außerdem sei am Ende nicht die absolute Zahl an digitalisierten Services entscheidend, sondern ob diese auch die Bedürfnisse der Menschen erfüllten. Der Bewohnerparkausweis etwa sei in Großstädten gefragt, in kleineren Gemeinden dagegen kein Thema.

Mehr Qualität statt Quantität also in der digitalen Verwaltung? Das würde man auch beim Gemeindetag befürworten. Denn angesichts der Lage gilt es unter Experten als nahezu unmöglich, dass eine einzige Kommune die gesetzlichen Anforderungen zum Jahresende gänzlich erfüllen wird - ob im Freistaat oder in anderen Bundesländern. Sanktionen für jene, die im bayerischen Digitalisierungs-Ranking weit hinten stehen, sind ohnehin nicht vorgesehen.

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