Folgen der Corona-Pandemie:Bayerns Heime vor der Zerreißprobe

Lesezeit: 3 min

Besonders Pflegebedürftige müssen vor dem Coronavirus geschützt werden. Doch eine andere Gefahr ist die Isolation, die etwa bei einem kompletten Besuchsverbot droht.

Von Dietrich Mittler, München

Die Nachricht wirkte wie ein böses Omen: harter Lockdown im Landkreis Regen. Für die dortigen Alten-, Pflege- und Behinderten-Einrichtungen hieß das schon am Freitag: "Es gilt ein komplettes Besuchsverbot", so verkündet im regionalen Amtsblatt. Jetzt, nachdem sich Bund und Länder am Sonntag zu einem harten Lockdown entschlossen haben, steht die Frage im Raum: Welche Konsequenzen kommen auf die Heime im restlichen Bayern zu? Voraussichtlich wird sich das an diesem Montag im Kabinett entscheiden.

Noch aber hoffen viele Heim- und Einrichtungsleiterinnen und -leiter, dass ihren Bewohnern ein kompletter Besucherstopp erspart bleibt. Die Entwicklung im Kreis Regen hat bei ihnen schlimme Erinnerungen geweckt: Von März bis Mai galt auch für ihre Häuser ein generelles Besuchsverbot. Ein Verbot, das Spuren hinterließ. "Wir merken deutliche körperliche und seelische Veränderungen. Wir haben Menschen, die sich in sich zurückziehen, Menschen, bei denen die Demenz inzwischen viel schneller voranschreitet", sagt Georg Sigl-Lehner, Leiter des Altöttinger Alten- und Pflegeheims St. Klara.

Corona-Krise im Freistaat
:Bayern lockert weiter: Diese Corona-Regeln gelten künftig

Am 3. April entfallen fast alle Vorschriften. Nur noch in Nahverkehr, Kliniken und Heimen gibt es dann eine Maskenpflicht. Ungeimpfte dürfen wieder überall hin. Die neuen Vorschriften im Überblick.

Von Max Ferstl und Kassian Stroh

Doch auch ihm ist bewusst: In den Heimen geht es erneut um Leben und Tod. Sigl-Lehner zitiert aus aktuellen Daten: Gut ein Drittel der bayerischen Pflege-Einrichtungen sei von Corona betroffen. Sei das Virus erst einmal im Haus, so infizierten sich im Schnitt 20 Menschen. "Und jeder Fünfte verstirbt, so die Zahlen des Robert Koch-Instituts", sagt er. Bayerns Heime stehen vor einer Zerreißprobe: Wie die alten Menschen schützen und sie zugleich vor sozialer Isolation und Trostlosigkeit bewahren? "Wir müssen eine Lösung finden, damit es nicht dazu kommt, dass die Häuser komplett zu sind", betont der 55-Jährige.

Dieses Weihnachtsfest, das ist Sigl-Lehner klar, wird ein so völlig anderes sein als das im Jahr zuvor. Seit wenigen Tagen erst gilt die zehnte Verordnung des Gesundheitsministeriums zum Infektionsschutz. Auch sie beinhaltet Härten. So heißt es darin, dass jede Bewohnerin und jeder Bewohner "von täglich höchstens einer Person besucht werden" darf - und das auch nur dann, wenn diese einen aktuellen negativen Corona-Test vorlegen kann und eine FFP2-Schutzmaske trägt.

"Wir wollen alles daran setzen, dass das Virus nicht in die Einrichtungen kommt", betont Sigl-Lehner. "Aber wir wollen auf der anderen Seite auch ein Zusperren der Einrichtungen mit allen Mitteln verhindern." Sein Wort hat Gewicht, er ist nicht nur der Chef eines oberbayerischen Pflegeheims, sondern zugleich auch Präsident der Vereinigung der Pflegenden in Bayern. In dieser Funktion betont er: "Die meisten Einrichtungen im Freistaat haben massive Probleme, die Testverordnungen des Gesundheitsministeriums umzusetzen." Zunächst nämlich gingen die Ministerialen davon aus, dass die Besucher durchaus von Mitarbeitern der Heime getestet werden sollten.

"Nicht leistbar von den Einrichtungen, dafür fehlt uns schlicht das Personal", lautete die prompte Antwort von Bayerns Heim- und Einrichtungsträgern, zu denen insbesondere die Wohlfahrtsverbände zählen. Andreas Czerny, Landesgeschäftsführer der Arbeiterwohlfahrt in Bayern, gehört zu jenen, die sagen: "Personell ist das nicht zu stemmen, die Pflegekräfte sind ohnehin schon überlastet." Das Gesundheitsministerium schlug daraufhin vor, kommunale Corona-Testzentren könnten doch Zeitfenster für die Heimbesucher einrichten.

Es bleibt abzuwarten, ob da alle Landratsämter und kreisfreien Städte mitziehen. Die Kitzinger Landrätin Tamara Bischof (FW) jedenfalls will verhindern, dass Heimbesuche an unerfüllbaren Sicherheitsvorgaben scheitern. "Die neuen Regelungen haben für viel Verunsicherung und sicher auch für Verärgerung bei Ihnen gesorgt", schrieb sie an "alle Leiter der Pflege- und Behinderteneinrichtungen" im Landkreis. Pro Einrichtung zwei festgelegte Termine für Antigentests in der Woche, so lautet ihr Angebot. Neben Heimbesuchern dürften das auch die Einrichtungs-Mitarbeiter in Anspruch nehmen. Laut Verordnung müssen die sich zweimal pro Woche auf Corona testen lassen.

Eine Herausforderung mehr für Bayerns Einrichtungen - doch führt ein Weg daran vorbei? "Noch ist unser Haus von Corona verschont geblieben, aber ich kann nicht sagen, wie es heute am Abend aussieht", sagt Georg Sigl-Lehner. Im Kreis Rosenheim ist Sigl-Lehners Albtraum bereits Realität geworden: Alle Bewohner sowie auch einige Mitarbeiter eines Pflegeheims in Gstadt am Chiemsee sind positiv auf das Coronavirus getestet worden. Das zuständige Landratsamt teilte mit, dass sich zwölf Mitarbeiter in Quarantäne befinden und elf der 54 Bewohner in ein Krankenhaus gebracht werden mussten. Nun unterstützt ein Team aus Rettungskräften und Ärzten das Heim.

Am Freitag noch wollte sich auch Ministerpräsident Markus Söder (CSU) nicht vorstellen, dass auf Bayerns Alten- und Pflegeheime sowie auf die Behinderten-Einrichtungen ein komplettes Besuchsverbot zukommt. "Was wir nicht wollen, ist Absperren und Einsperren", sagte er auf einer gemeinsamen Pressekonferenz mit Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) in Nürnberg. In nicht wenigen Heimen ist aber genau das passiert: Aus Angst vor einem Corona-Ausbruch wurden dort Regelungen getroffen, die nach Auffassung von AWO-Landesgeschäftsführer Czerny "an die Grenze dessen stießen, was man unter Freiheitsberaubung versteht".

Welche Folgen das hat, zeigen die Schreiben, die der Münchner Sozialpädagoge Claus Fussek als fundierter Kenner der Pflegeszene erhielt. In einer Mail steht: "Meiner Mutter geht es seelisch sehr schlecht. Sie meinte heute auch, dass sie gerne am liebsten einfach einschlafen würde. Meine Mutter ist aber noch nicht so alt, dass sie sterben sollte."

© SZ vom 14.12.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

SZ PlusWeihnachten und das Coronavirus
:Riskante Bescherung

Zu Weihnachten und Silvester werden sich trotz hoher Infektionszahlen viele Menschen mit ihren Liebsten treffen. Wie groß ist das Risiko, dass auch das Virus mitfeiert?

Von C. Endt, M. Hering, C. Kunkel, S. Mujic, S. Müller-Hansen und D. Wierl

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: