Bildungspolitik:"So macht alles keinen Sinn"

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Am 15. Juni sollen nach 13 Wochen wieder alle Mädchen und Buben in die Schule gehen, mit Masken und Abstand voneinander. (Foto: Sven Hoppe/dpa)

Nach den Pfingstferien sollen wieder alle Grundschüler den Unterricht besuchen. Während am Vormittag strenge Abstandsregeln gelten, gibt es bei der Mittagsbetreuung keine Trennung. Eltern und Lehrer sind verwirrt.

Von Anna Günther und Iris Hilberth, Grasbrunn

Während Bayerns Schüler sich in den Pfingstferien erholen können, beklagen viele Schulleiter den hohen Planungsaufwand und bangen dem ersten Schultag entgegen. Am 15. Juni sollen nach 13 Wochen wieder alle Mädchen und Buben in die Schule gehen, strikt getrennt in kleine, immer gleiche Lerngruppen, mit Masken im Flur und Abstand voneinander. Bisher durften nur die Jüngsten und die Abschlussjahrgänge jeder Schulart zurückkehren. Auch in der Grundschule Neukeferloh in Grasbrunn bei München gelten nach Pfingsten strenge Regeln, an die sich die Zweit- und Drittklässler erst einmal gewöhnen müssen: Nur jeden zweiten Tag Schule, zwei Eingänge, getrennte Pausen für die Hälfte der Schüler, kein Sitznachbar, die Freunde in der anderen Lerngruppe.

Schulleiterin Christine Neumann hat die Bestimmungen des Kultusministeriums für ihre 300 Schüler und 21 Lehrer umgesetzt und wie jede der 6200 bayerischen Schulen ein Hygienekonzept erarbeitet, das von mehr als 100 ministeriellen Schreiben flankiert wurde. Aber mit der Rückkehr aller Kinder wird es schwieriger, die Hygieneregeln einzuhalten. Und Neumann bezweifelt inzwischen, ob Regeln wirklich notwendig sind. Sie findet, dass die Abstandsregeln "im krassen Widerspruch" zu den Vorgaben für die Mittagsbetreuung stehen. Ihr Problem ist, dass dort alle Kinder aufeinanderträfen, die die Schule zuvor strikt getrennt hat. "Die starke Durchmischung in den Betreuungseinrichtungen macht unser Konzept zunichte" sagt Neumann. "So macht alles keinen Sinn."

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Ein Großteil der Neukeferloher Kinder kann nach Pfingsten wieder in Mittagsbetreuung und Hort gehen. "Da sind die Eltern im Recht", sagt Neumann. Ihre Schule ist kein Einzelfall: Insgesamt 90 000 Kinder in Bayern nutzen die Mittagsbetreuung an den 2800 Grund- und Förderschulen, dazu kommen Tausende, die in Hort oder Kitas gehen. Der Widerspruch dürfte im System liegen: Die Mittagsbetreuung an den Schulen organisieren die Schulleiter, für Hort und Kinderhäuser sind private Träger zuständig. Statt eines Gesamtkonzepts zum Infektionsschutz gibt eines für die Schulen, eines für die Mittagsbetreuung und eines für Kitas und Hort. Für Schulen und Mittagsbetreuung ist das Bildungsministerium zuständig, für Kindergärten und Hort das Sozialministerium.

Widersprüche will man in den Ministerien aber nicht sehen. Die Konzepte seien aufeinander abgestimmt, heißt es aus dem Bildungsministerium. Die Umsetzung liege bei Schulen und Kitas. Und diesen sei "dringend empfohlen" worden, "Kontakt miteinander aufzunehmen, um die Gruppen in Schule und Hort möglichst einheitlich zu gestalten", teilt das Sozialministerium mit. Wieso es kein einheitliches Konzept gibt, wollten die Sprecher nicht kommentieren, sie verweisen auf das Haus von Gesundheitsministerin Melanie Huml (CSU), das "eine federführende Rolle" bei allen Hygienekonzepten habe. Deren Pressestelle ließ eine Anfrage unbeantwortet.

Zurückhaltung und wenig Verständnis in Elternkreisen

In Neukeferloh sind einige Eltern sehr irritiert über die unterschiedliche Handhabung. Er habe kein Verständnis dafür, dass seine Tochter im Unterricht Abstand halten müsse und nur jeden zweiten Tag mit der Hälfte ihrer Freunde in die Schule gehe, wenn sich nachmittags dann alles mische, sagt ein Vater. Namentlich möchte er nicht auftreten. Der Elternbeirat in Neukeferloh hält sich zurück, verweist auf offizielle Stellen. Beim Bayerischen Elternverband (BEV) sei das Problem noch nicht aufgeschlagen, sagt BEV-Chef Martin Löwe. Aber auch er hält es für "absurd", die in der Schule getrennten Kinder, mittags wieder zu mischen.

Die "strikten" Vorschriften des Kultusministeriums auch mittags umzusetzen, lehnt die Schulleiterin Neumann ab. "Man kann Grundschulkinder nicht auch noch am Nachmittag auf einen Stuhl setzen", sagt sie und spricht sich stattdessen für eine Rückkehr zum Vollbetrieb mit allen Kindern aus. Durch die Teilung der Klassen und den täglichen Wechsel haben die Grundschüler in Grasbrunn bis zu den Sommerferien nur 75 statt 90 Unterrichtsstunden. Angesichts der sinkenden Infektionszahlen fragt sich Neumann, ob das notwendig ist.

So weit geht Simone Fleischmann nicht. Aber auch die Präsidentin des Bayerischen Lehrer- und Lehrerinnenverbands (BLLV) lehnt es ab, die strengen Hygieneregeln nach Schulschluss weiterzuführen. "Kinder müssen auch mal die Maske absetzen und Druck ablassen dürfen. Sie brauchen den klaren Unterschied von Unterricht zur Mittagsbetreuung." Aber schon die Notbetreuung zeige, dass unterschiedliche Regeln gelten und dies Schüler verwirre. "Diese Widersprüche machen Kinder krank", sagt Fleischmann. Sie bräuchten Sicherheit. Die BLLV-Chefin appelliert deshalb an Lehrer, weiter geduldig zu erklären. Aber die Staatsregierung müsse die Realität akzeptieren, statt den Wünschen der Eltern nach Normalität zu entsprechen: Für Vollbetrieb an Schulen und strikte Hygieneregeln fehlten Lehrer. "Beides geht nicht."

© SZ vom 02.06.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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