Bayern:Bauvorhaben werden zu wenig auf Umweltschutz kontrolliert

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Mit der Umweltverträglichkeitsprüfung wird geprüft, ob ein Bauvorhaben negative Folgen für die Umwelt haben könnte. (Foto: Florian Peljak)

Darüber klagt ein pensionierter Beamter und nennt auch gleich den Grund: der Druck aus der Wirtschaft. Das Ministerium weist das zurück - bleibt aber vage.

Von Lisa Schnell, München

Die Umwelt scheint Ministerpräsident Markus Söder sehr wichtig zu sein. Fast täglich pflanzt er einen Baum. So ein Ministerpräsident, der müsste doch empfänglich sein für seine Sorgen, dachte sich Georg Schmid-Drechsler. Der müsste doch wollen, dass Umweltgesetze in Bayern im Sinne der Umwelt angewendet werden und nicht im Sinne der Wirtschaft. "Grüß Gott Herr Dr. Söder", schrieb Schmid-Drechsler also in einem Brief und berichtete ihm von der "veritablen Dummheit", die das Umweltministerium begehe. Darunter noch der Hinweis: "Ich kann das wie wenige andere beurteilen."

Schmidt-Drechsler ist nicht irgendein besorgter Bürger. Bevor er im Juli in Pension ging, war er mehr als zwanzig Jahre Referatsleiter im Umweltministerium für fachübergreifendes Recht. Seinen Ratschlägen aber folgte weder der ehemalige Umweltminister Marcel Huber (CSU) noch dessen Nachfolger Thorsten Glauber (Freie Wähler). Offenbar, weil es die Wirtschaft so wollte. Seitdem Schmidt-Drechsler sich an den Landtag wandte, empören sich mit ihm Grüne und SPD. Sie stellten mehrere Anfragen und verlangten einen Bericht des Umweltministeriums. Den gab es zwar, besänftigt sind sie aber nicht.

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Es geht um ein sperriges Wort, die Umweltverträglichkeitsprüfung, kurz UVP. Damit wird geprüft, ob ein Bauvorhaben negative Folgen für die Umwelt haben könnte. In Bayern wurde eine UVP in den vergangenen zehn Jahren nur bei drei Prozent aller Projektvorhaben durchgeführt. Den Grünen und der SPD kommt das seltsam vor. Schließlich listet die EU in einem Gesetz schon 92 Vorhaben auf, bei denen auf jeden Fall eine UVP gemacht werden muss, etwa bei Ställen für Mastgeflügel mit mehr als 85 000 Plätzen. In Bayern gibt es davon 36. Bei zusätzlichen 224 Vorhaben prüfen die Behörden vorab, ob eine UVP-Pflicht vorliegt. Alleine die Möglichkeit, dass es negative Umweltauswirkungen geben könnte, reicht laut Bundesumweltministerium aus. Und trotzdem nicht mal 500 UVP-Prüfungen in zehn Jahren?

Dazu noch die Zahlen von 2018: Bei nur zwei Prozent aller Vorprüfungen entschieden sich die Behörden für eine UVP. "Völlig undenkbar", sagt Schmidt-Drechsler. Ein Schaden für die Umwelt, sagt Rosi Steinberger von den Grünen. Zwar müssen bei jedem Genehmigungsverfahren umweltschützende Vorschriften eingehalten werden, eine UVP aber gehe noch tiefer. Wer im Umweltministerium nachfragt, warum das in Bayern so selten gemacht wird, bekommt eine Beschreibung der juristischen Vorgänge, aber keine Antwort. Oft sei keine UVP nötig, weil es sich um Kleinstvorhaben und Änderungen handle, sagte ein Ministeriumsmitarbeiter, der den Bericht im zuständigen Ausschuss vorstellte, und lobte den souveränen Umgang der Behörden.

Ein Umgang, der offenbar der Wirtschaft gelegen kommt. Ein Anruf des Hauptgeschäftsführers der Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft, Bertram Brossardt, beim Umweltminister im Sommer 2018 genügte wohl, um ein Schreiben an die Behörden auszusetzen. Verfasst hatte das Schreiben der renitente Beamte Schmidt-Drechsler. Er wollte die Behörden anweisen, im Zweifelsfall immer eine UVP durchzuführen. So sollten Klagen von Umweltverbänden verhindert werden. Nach der aktuellen Rechtssprechung könnten diese vor Gericht ziehen, wenn sie meinen, eine UVP hätte durchgeführt werden müssen. Die Folge: Schon ausgestellte Genehmigungen für Bauvorhaben würden gestoppt, Baustellen könnten für Jahre stillstehen, Betriebserlaubnisse entzogen werden. Schmidt-Drechsler meinte also, im Sinne der Wirtschaft zu handeln. Die Wirtschaft sah das anders.

Umweltminister Thorsten Glauber hat die Praxis seines Vorgängers Marcel Huber übernommen. (Foto: Stephan Rumpf)

Nachdem Brossardt beim damaligen Umweltminister Huber Bedenken geäußert hatte, wurde das Schreiben ausgesetzt. Grüne und SPD vermuten, weil die Wirtschaft die Öffentlichkeit scheut. Wird eine UVP durchgeführt, muss sie für Bürger zugänglich gemacht werden. Die Prüfungen der Behörden könnten kontrolliert werden. Dass ein "Lobbyanruf" mehr wiege als "Fakten und Rechtslage", erinnert den Landtagsabgeordneten Florian von Brunn (SPD) an "die besten Zeiten der CSU-Bananenrepublik Bayern". Im Umweltministerium sieht man das freilich anders.

Dennoch: Schmidt-Drechslers fachlicher Ansatz sei "brillant", sagte der Ministeriumsmitarbeiter im Landtag. Auch die Risiken bewertet er ähnlich. Das Unterlassen einer Vorprüfung könne die Aufhebung einer Genehmigung nach sich ziehen und das mit gravierenden Folgen. Schmidt-Drechsler habe Rechtssicherheit herstellen wollen, eigentlich ja "etwas Gutes". Warum es dann nicht passierte? Offiziell wurde das Schreiben wegen "rechtlicher und vollzuglicher Fragestellungen" vorläufig ausgesetzt - obwohl es vom Amtschef abgesegnet worden war. Es sollte nach anderen Wegen gesucht werden, um die Rechtssicherheit zu steigern.

Das Umweltministerium schreibt: Nach Gesprächen mit Verwaltung und Wirtschaft habe sich herausgestellt, dass Schmidt-Drechslers Annahme, es würden keine besonderen Verfahrenslasten entstehen, nicht zutreffen. Das könnte nun leicht falsch verstanden werden: Das Schreiben wurde zurückgezogen, weil mehr UVPs mehr Aufwand bedeuten. Der Umkehrschluss sei aber nicht richtig, dass die Behörden UVPs wegen des hohen Verwaltungsaufwands vermieden. Wenn ein Gesetz rechtmäßig umgesetzt wird, darf es keine Rolle spielen, ob Beamte dadurch mehr Arbeit haben. Von der Rechtssicherheit, die gesteigert werden sollte, ist übrigens keine Rede mehr. Nur so viel, dass im Ministerium niemand mit der von Schmidt-Drechsler befürchteten Klagewelle durch Umweltverbände rechnet.

Ein Anruf bei Richard Mergner, Vorsitzender des Bund Naturschutzes Bayern: Man prüfe gerade, ob sich ein Projekt für eine Klage anbiete, sagt Mergner. Dass in Bayern so wenig UVPs durchgeführt werden, sei "eine massive Einschränkung" für die Umwelt und die Öffentlichkeit. "Schockierend", dass ausgerechnet die Freien Wähler als ewige Fürsprecher der Bürgerbeteiligung das Licht der Öffentlichkeit scheuten, findet Schmidt-Drechsler. So schreibt er es in einem weiteren Brief. Auf den an Markus Söder werde er übrigens noch eine Antwort bekommen, heißt es aus der Staatskanzlei. Für Detailfragen aber sei das Umweltministerium zuständig. Was dort von seinen Sorgen gehalten wird, weiß Schmidt-Drechsler aber schon.

© SZ vom 26.11.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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