Ausgewilderte Bartgeier:Wally und Bavaria sind beliebt wie Popstars

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Wally und Bavaria auf einem ihrer Flüge im Nationalpark Berchtesgaden. Inzwischen haben die beiden jungen Bartgeier-Weibchen das Gebiet längst verlassen. Sie halten sich aber noch in der Nähe auf. (Foto: Markus Leitner)

Die Auswilderung der beiden Bartgeier-Weibchen Wally und Bavaria ist ein Riesenerfolg für den Naturschutz. Ein Gespräch mit Norbert Schäffer vom Landesbund für Vogelschutz, der das Wiederansiedlungsprojekt verantwortet.

Von Christian Sebald

Es war eine spektakuläre Aktion. Im Juni hat der Landesbund für Vogelschutz (LBV) im Nationalpark Berchtesgaden die Bartgeier-Weibchen Wally und Bavaria ausgewildert. Ziel ist, dass Gypaetus barbatus - so der lateinische Name der Art - wieder heimisch wird in Bayern. Die SZ begleitet das Projekt. Inzwischen sind Wally und Bavaria längst ausgeflogen. Ein Gespräch mit LBV-Chef Norbert Schäffer. Der 57 Jahre alte Biologe hat das Wiederansiedlungsprojekt maßgeblich vorangetrieben.

SZ: Herr Schäffer, was war Ihr stärkstes Erlebnis mit Wally und Bavaria?

Norbert Schäffer: Da gab es sehr viele beeindruckende Tage und Momente. Allein der 10. Juni, als wir die beiden Bartgeier-Weibchen in die Auswilderungsnische am Knittelhorn gebracht haben. Die vielen begeisterten Gäste, die mit dabei waren, allen voran Agrarministerin Michaela Kaniber und Umweltminister Thorsten Glauber. Abends waren wir in sämtlichen Nachrichten, bis hin zu den Tagesthemen. So einen Festtag für den Naturschutz gab es lange nicht.

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Aber das intensivste Erlebnis für Sie?

Das war eindeutig der Jungfernflug von Bavaria. Sie hat ja den Anfang gemacht, sie hat als erste unserer beiden Bartgeier-Weibchen abgehoben.

Das war am 8. Juli.

Ja genau, morgens um kurz nach sechs. Es war schon Tage zuvor klar, dass es nicht mehr lange dauern würde, bis Bavaria losfliegt. Ich bin eigens dafür in den Nationalpark gekommen, weil ich unbedingt mit dabei sein wollte. An dem Morgen wollte ich gerade rauf zur Auswilderungsnische am Knittelhorn. Da kommt eine SMS von unserem Praktikanten, der zu diesem Zeitpunkt als einziger oben war, dass Bavaria abgehoben hat und er sie schon aus den Augen verloren hat.

Ihre Reaktion?

Ich bin rauf, so schnell es ging. Das sind ja an die 400 Höhenmeter, der Weg ist steil. Ich dürfte in Rekordzeit oben gewesen sein, oben war ich ziemlich durchgeschwitzt.

Und dann?

Hab ich Bavaria tatsächlich sofort entdeckt. Sie war offenkundig gerade gelandet und saß am Hang gegenüber im Gras. Ich hab schnell mein Smartphone gezückt und ein Foto gemacht. Das Bild ist ziemlich verwackelt, aber es ist das erste Bild von einem Bartgeier in freier Wildbahn in Bayern nach der Ausrottung der Art. Das Gefühl war unbeschreiblich.

Bavaria kurz nachdem sie von ihrem Jungfernflug glücklich gelandet ist. LBV-Chef Norbert Schäffer hat das Foto mit seinem Smartphone gemacht. (Foto: Norbert Schäffer/oh)

Versuchen Sie es dennoch zu beschreiben.

Es war alles perfekt. Die Felslandschaft am Knittelhorn ist sensationell, das Wetter war hervorragend, Sonnenschein pur, kein Mensch außer mir war unterwegs. Da war nur Bavaria, die alsbald wieder abgehoben hat, zwar noch unbeholfen, vor allem bei den Landungen. Das waren eher Abstürze. Ich hab gezittert, dass sie sich was tut. Aber Bavaria war unverdrossen. Ich hab das Fernglas nicht von den Augen genommen, damit ich nichts verpasse. Das ist ungefähr eine Stunde so gegangen, dann sind die Kollegen raufgekommen.

Wie geht's Wally und Bavaria eigentlich gerade?

Von Bavaria haben wir keine Nachrichten mehr. Seit 24. November ist ihr Sender verstummt (der GPS-Sender, mit dem die LBV-Leute feststellen konnten, wo sich das Bartgeier-Weibchen gerade befindet, Anm. d. Red.). Er ist entweder kaputt oder die Solarmodule liefern zu wenig Energie an die Akkus. Aber Bavaria ist seither immer mal wieder gesehen worden, zuletzt im Blühnbachtal im Salzburger Land. Das ist gar nicht weit vom Nationalpark Berchtesgaden entfernt. Wie gehen davon aus, dass es ihr gut geht.

Und Wally?

Auch der Sender von Wally ist sehr schwach, so dass wir nur noch selten Signale empfangen. Zuletzt hat sie sich im oberen Salzachtal aufgehalten, auch nur eine halbe Autostunde vom Nationalpark entfernt. Ihr geht es ebenfalls gut, sie hat in den Bergen dort hoch oben in einer Felsrinne offenbar einen Gamskadaver entdeckt, dessen Knochen sie jetzt nach und nach vertilgt. Dass der eine Sender ausgefallen ist und der andere nur noch wenig sendet, ist übrigens die erste Panne in unserem Projekt.

Ansonsten ist alles rund gelaufen?

Ja, sogar so rund, dass wir alle schon gar nicht mehr daran gedacht haben, wie viel schiefgehen kann. Dabei kann immer was schiefgehen. Bei einem Wiederansiedlungsprojekt in Frankreich zum Beispiel sind auf einmal zwei junge Bartgeier-Männchen tot in der Auswilderungsnische gelegen. Später hat man festgestellt, dass sie schwere Leberschäden hatten, an denen sie verendet sind. Bei einem anderen Projekt hat sich ein Bartgeier ein Bein gebrochen und musste eingefangen werden. Und wieder in einem anderen Projekt ist ein junger Bartgeier von einer Kreuzotter gebissen worden und daran eingegangen. Im Vergleich dazu sind die Pannen mit unseren Sendern kein wirkliches Problem.

Auch die Resonanz auf das Projekt ist ja durchwegs positiv gewesen, und zwar nicht nur in der Fachwelt.

Unsere beiden Bartgeier sind unglaublich gut angekommen - gerade in der Bevölkerung. Am Infostand gegenüber der Auswilderungsnische waren oft an die hundert Gäste. Es gab Besucher, die uns gesagt haben, dass sie nur wegen der Bartgeier die Region Berchtesgaden als Urlaubsziel gewählt haben. Und die Zugriffe auf unsere Bartgeier-Webcam im Internet waren gigantisch. Sie ist mehr als 600 000 Mal angeklickt worden, außerdem haben wir mehr als 13 000 Kommentare gezählt. Das sind Zahlen wie bei Popstars. Es gibt jetzt noch Leute, die die Webcam anklicken. Und dann die vielen Berichte im Radio und im Fernsehen.

Dabei sind Bartgeier Aasfresser, die meisten Menschen ekeln sich vor Aas.

Bartgeier sind keine typischen Aasfresser, sie fressen ja Knochen. Und Knochen sind etwas ganz anderes als Kadaver. Knochen werden als etwas Sauberes empfunden, Kadaver mit ihrem fauligen Fleisch dagegen als eklig. Wenn ein Bartgeier einen Knochen schluckt, ist das etwas ganz anderes, als wenn Gänsegeier oder Mönchsgeier einen Kadaver zerreißen, dass dabei die Fleischfetzen durch die Luft fliegen. Bartgeier sind sehr ästhetische Vögel, nicht nur wenn sie hoch oben am Himmel durch die Luft gleiten. Sondern auch am Boden. Und dann sind es natürlich ihre einmalige Größe und die bis zu 2,90 Meter Spannweite, die sie so faszinierend machen.

Wie gut tut die immense Resonanz auf das Auswilderungsprojekt dem LBV?

Es ist vor allem der Naturschutz insgesamt, der von dem Projekt profitiert. Die Menschen erfahren dadurch, dass sie spektakuläre Wildtiere nicht nur in Afrika und anderen entfernten Regionen erleben können, sondern mitten bei uns im hoch zivilisierten Europa. Natürlich profitiert auch der LBV. In allererste Linie vom Image her. Denn entgegen des weit verbreiteten Vorurteils treten wegen eines solchen Projekts nicht scharenweise Leute bei uns ein. Es bringt uns auch nicht mehr Geld ein, wie viele meinen, sondern es kostet uns viel Geld - auch wenn der Freistaat den Löwenanteil finanziert.

Welche Seele in Ihrer Brust schlägt stärker - die des Geierfans, der sich für eine der spektakulärsten Vogelarten begeistert, oder die des Biologen, der eine ausgerottete Tierart wieder ansiedeln will?

Man sollte das eine nicht vom anderen trennen. Die Begeisterung für die Bartgeier geht ja durchaus damit Hand in Hand, dass es sich bei ihrer Wiederansiedlung um ein sehr wichtiges Artenschutzprojekt handelt. Wir wollen zum Lückenschluss der Bartgeier-Population zwischen den Ostalpen und dem Balkan beitragen. Damit wäre ihr ursprüngliches Verbreitungsgebiet von Marokko über Spanien und Frankreich durch den Alpenbogen hindurch auf den Balkan und von dort weiter nach Griechenland, die Türkei und Zentralasien wiederhergestellt und die weltweite Existenz der Bartgeier langfristig gesichert.

Im Juni will der LBV die nächsten beiden Bartgeier auswildern. Gibt es die Jungvögel schon?

Noch nicht, aber die Brutsaison läuft auf Hochtouren. Und das europäische Bartgeier-Zuchtnetzwerk hat uns bereits zwei neue Jungvögel für unser Projekt zugesichert. Wenn es sehr gut läuft, könnten es sogar drei werden, die wir im Juni 2022 rauf in die Auswilderungsnische am Knittelhorn bringen.

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