Bayerischer Wald:Pilze sind noch immer radioaktiv belastet

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Die Steinpilze im Bayerischen Wald weisen immer noch hohe Werte an Radioaktivität auf. (Foto: Nationalpark Bayerischer Wald)

Der Mykologe Claus Bässler hat die Schwammerl im Nationalpark untersucht - die Ergebnisse sind alarmierend.

Von Christian Sebald, Grafenau

Der Maronen-Röhrling oder Imleria badia ist ein sehr beliebter Speisepilz. Das liegt natürlich zuallererst an seinem intensiven, wohlschmeckend nussigen Aroma. Außerdem lassen sich Maronen-Röhrlinge nicht nur frisch zubereiten. Sondern auch trocknen und mahlen und sogar einfrieren. Und sie zählen zu den häufigsten Pilzen hierzulande. Sogar weniger kundige Schwammerlfreunde können sie sicher identifizieren. Denn mit ihren halbkugeligen dunkelbraunen Hüten sehen sie aus wie Esskastanien, weshalb sie oft einfach nur Maronen genannt werden. Doch Imleria badia ist nicht ohne Risiko.

Der Mykologe Claus Bässler, der die Pilzkunde im Nationalpark Bayerischer Wald betreut und an der Goethe-Universität in Frankfurt Naturschutzbiologie lehrt, hat jetzt im Rahmen einer Studie in dem Schutzgebiet Maronen entdeckt, die bis zu 3100 Bequerel Caesium je Kilogramm enthalten haben. Das ist fünf Mal so viel wie der Grenzwert von 600 Bequerel, ab dem Pilze nicht mehr in den Handel gelangen dürfen. Das Besondere an der Studie ist, dass die Forscher nicht nur die Caesium-Belastung der Pilze gemessen haben, sondern auch die des Bodens, auf dem sie gewachsen sind. Dazu haben sie quer durch den Nationalpark 36 jeweils einen Hektar große Probeflächen definiert und auf ihnen sowohl Proben von Pilzen als auch des Bodens genommen.

Der Mykologe Claus Bässler hat die Belastung der Pilze untersucht. (Foto: Nationalpark Bayerischer Wald)

Die hohen Werte der Bayerwald-Schwammerl haben Bässler und seine Mitarbeiter sehr überrascht. Zugleich gehen sie davon aus, das die Belastung in anderen Regionen des Freistaats nicht wesentlich geringer ausfallen dürfte. Dabei ist die Atomkatastrophe von Tschernobyl bereits 35 Jahre her. Bei dem GAU am 26. April 1986 in dem sowjetischen Atomkraftwerk in der heutigen Ukraine sind ungeheure Mengen radioaktiver Stoffe freigesetzt worden und haben auch in Bayern die Böden teilweise extrem stark kontaminiert - insbesondere in Schwaben und Altbayern. Die Folge war eine ebenso schnelle wie teilweise immense Belastung vor allem von Pilzen, aber auch von Wildbret, insbesondere Wildschweinen, vor allem mit dem langlebigen Caesium.

Ein Drittel der Pilzproben für die Studie haben den Grenzwert gerissen.

"Es war freilich zu erwarten, dass das Caesium im Lauf der Zeit in tiefere Bodenschichten hinunter wandert und deshalb die Belastung für Pflanzen und Tiere abnimmt", sagt Bässler. "Doch das ist nicht eingetreten." Und zwar nicht nur, was die Maronen-Röhrlinge anbelangt. In Steinpilzen ( Boletus edulis), der zweiten im Rahmen der Studie untersuchten Pilzart, die von Natur aus deutlich weniger Radioaktivität aufnimmt als Imleria badia, entdeckten die Forscher immerhin noch Caesium-Konzentrationen von bis zu 600 Bequerel je Kilo. Alles in allem haben ein Drittel der Pilzproben für die Studie den Grenzwert gerissen. "Das ist schon sehr viel", sagt Baessler, der selbst gerne Schwammerl isst - "aber nicht sehr oft", wie er sofort hinterherschiebt, "dafür ist mir das gesundheitliche Risiko wegen der Radioaktivität einfach zu hoch".

Über die Gründe, warum das Caesium oben im Waldboden bleibt, gibt es bisher nur Hypothesen. "Wahrscheinlich hat es mit dem Stoffwechsel der Pflanzen, Tiere und eben der Pilze zu tun", sagt Bässler. "Sie nehmen es gleichsam in einem immerwährenden Kreislauf auf, scheiden es aus, nehmen es wieder auf, scheiden es aus und so weiter." Dadurch werde offenkundig verhindert, dass das radioaktive Material im Lauf der Zeit in tiefere Bodenschichten gelangt, wo es nicht mehr von Pflanzen, Tieren und Pilzen erreicht werden kann. Für Bässler ist denn auch klar, "dass uns die Belastung sicher noch länger erhalten bleibt als viele vermutet haben".

Maronen sind die am stärksten belasteten Speisepilze. (Foto: Nationalpark Bayerischer Wald)

Die Belastung von Böden und Pilzen kann regional sehr schnell wechseln.

Das ist aber nicht die einzige Überraschung, die die Forscher erlebt haben. So haben sie auch festgestellt, dass die Belastungen der Böden und Pilze regional sehr schnell wechseln können und außerdem nicht automatisch miteinander korrespondieren. "Im Altgebiet des Nationalparks, also zwischen Lusen und Rachel, ist der Boden weniger kontaminiert als im Erweiterungsgebiet rund um den Falkenstein", sagt der Mykologe. "Andererseits sind im Rachel-Lusen-Gebiet eher die Pilze in den Hochlagen stark belastet, am Falkenstein sind es die in den tieferen Lagen." Bässler vermutet, dass die Kontamination des Bodens nicht der einzige Grund für die Belastung der Pilze ist. "Auch die ganz unterschiedlichen Wuchsbedingungen bis hin zum Kleinklima in den jeweiligen Lagen könnten eine Rolle spielen", sagt er. "Aber um das aufzuklären, bräuchte es weitere Studien."

So viel kann Bässler Schwammerlfreunden freilich jetzt schon raten: "Wenn sie nicht zu viel Caesium aufnehmen wollen, sollten sie auch in Zukunft ihre Leidenschaft zügeln", sagt der Mykologe. "Und sie sollten sich auf Arten wie den Steinpilz konzentrieren, der eher wenig Caesium anreichert." Das heißt nicht, dass immer nur Steinpilze in den Kochtopf kommen sollten. Auch der ebenfalls sehr beliebte Echte Pfifferling ( Cantharellus cibarius) ist in der Regel vergleichsweise wenig belastet. "Allerdings sollte man sich mit den Pfifferlingen auskennen", sagt Bässler. "Der Trompetenpfifferling, eine Schwesterart des Echten Pfifferlings, die freilich nicht so im Focus der Schwammerlsucher steht, ist von der Radioaktivität schon wieder mit den Maronen gleichzusetzen."

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