50 Jahre Universität:Der Augsburger Spirit

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So grün ist der Campus der Uni Augsburg, dass nicht nur die Studenten, sondern auch Bienen, die Campus-Katze und Großeltern des benachbarten Wohngebiets mit ihren Enkeln die Natur dort genießen. (Foto: N/A)

Vor 50 Jahren wurde in der Stadt Bayerns fünfte Universität gegründet. Die Pioniere von einst erinnern sich noch gerne an die Anfangszeit mit dem direkten Kontakt zu den Professoren.

Von Florian Fuchs und Anna Günther, Augsburg

Dass sich der mehr als 50 Jahre lang gehegte Wunsch ihrer Vorgänger ausgerechnet für sie erfüllen sollte, hätte Sabine Doering-Manteuffel fast überhört: Die Präsidentin der Augsburger Universität fuhr im November 2013 im Auto zu einer Veranstaltung der Uni Eichstätt, im Radio lief die Regierungserklärung Horst Seehofers, als ihre Kollegin plötzlich sagte: "Das sind ja wir?!" Doering-Manteuffel, 63, erinnert sich noch lebhaft: "Wir waren sehr überrascht, dass wir in der Regierungserklärung erwähnt wurden." Die Medizinfakultät habe von Anfang an eine große Rolle gespielt, jeder Augsburger Unichef wollte die Medizin nach Schwaben holen. Alle bekamen Absagen aus München. Sie ist 2013 gerade zwei Jahre im Amt, die erste Frau an der Spitze einer bayerischen Universität. "Ich bin ja völlig unbefangen in diesen Dingen.

Und manchmal ist es ganz gut, nicht zu wissen, was auf einen zukommt." Noch an diesem Novembertag begann die Arbeit am Konzept, endlich sollte Augsburg wie Würzburg, München, Erlangen und Regensburg "Volluniversität" sein. Nach drei Jahren war das Konzept fertig, 2016 nickte der Wissenschaftsrat die Augsburger Ideen mit Schwerpunkten in Umweltmedizin und Medizinischer Informatik ab. Die ersten dieser Informatikstudenten begannen 2018. Ein Jahr später folgten erste Mediziner. Anders als üblich haben sie sofort Kontakt zu Patienten, nicht erst nach zwei Jahren Theorie. "Wer von Anfang an in der Klinik unterwegs ist, hat sicher eine andere Sicht auf den Beruf", hofft Doering-Manteuffel.

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Mit hehren Zielen begann die Universität schon 1970: Die Bildungsreserven der Region sollte diese neue Institution heben, eine Reform-Uni mit kleinen Arbeitsgruppen sollte sie werden. Dabei hätte die Uni eigentlich gar keine Uni werden sollen: Zunächst gab es in den Sechzigerjahren die Idee einer medizinischen Akademie, dann schwebte dem Landtag eine Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliche Hochschule vor. Im Dezember 1969, wenige Monate vor der ersten Vorlesung, folgte plötzlich die Kehrtwende: Augsburg bekam eine Universität. Dann musste alles schnell gehen, weshalb die Uni zunächst eröffnet und dann erst geplant und gebaut wurde.

"Es gab wohl keine andere Universität in Bayern, die eine so schwierige Startphase hatte", sagt Werner Lengger vom Universitätsarchiv. Max Weinkamm war damals dabei, er kann sich noch genau erinnern: "Drinnen hatten wir Vorlesung, draußen sahen wir die Bagger rollen." Es waren turbulente Jahre, das sagt auch Weinkamm im Rückblick. Als Vertreter der Studentenschaft trat er bald zurück, die Kommunikation mit dem Kultusministerium ging ihm zu langsam. Der Kampf um die Mitbestimmung war nur eines von vielen Problemen, die neu gegründete Universität machte auch überregional vor allem durch Streitigkeiten auf sich aufmerksam. Als "Schule fürs Leben" bezeichnet Weinkamm die Anfangsjahre heute. "Wir hatten einen schönen Gründungsspirit, Probleme gab es nur mit Externen, nie intern." Das könnte auch daran gelegen haben, dass bei zunächst gut 250 Studenten so etwas wie ein Teamgedanke leichter zu etablieren war als heute mit knapp 20 000 Studierenden. "Wenn wir aus der Vorlesung kamen, haben wir mit den Professoren in der Mensa weiter diskutiert", erinnert sich Weinkamm.

Als Experimentierfeld für Hochschulen bezeichneten Kritiker die Augsburger Uni dagegen abschätzig, dabei kam bei den Studierenden die Idee, in Kleingruppen und damit viel intensiver zu studieren, sehr gut an. Allein der Aufwand war hoch, zu hoch, wie sich herausstellen sollte: Mit wachsender Zahl an Studierenden wurde das Kleingruppenkonzept zu teuer, und die Uni entwickelte sich Schritt für Schritt zu einer normalen Uni. "Von den Reformüberlegungen zu Beginn ist nicht viel übrig geblieben", bilanziert Archivar Lengger. "Trotzdem steht die Universität heute gut da."

Das sieht Unichefin Doering-Manteuffel genauso, trotzdem widerspricht sie Lengger: "Erstaunlich viel" sei von den Reformgedanken der Gründerzeit übrig geblieben. "Ich habe auch gedacht, das sei im Lauf der Jahrzehnte verflogen, aber das ist nicht der Fall." Im Alltag denke die Unileitung immer wieder an den Reformgedanken, dürfe Experimentierklauseln nutzen und versuche sich am Konzept der Kleingruppen zu orientieren. Faktisch gibt es auch in Augsburg längst Massenvorlesungen in großen Hörsälen. Gelebt wird die Experimentierklausel in der Chefetage: Es gibt in Augsburg keinen Senat, sondern eine erweiterte Unileitung, also kleinere Gremien, aber trotzdem Partizipation aller Hochschulgruppen bis in die "höchsten Gremien". Rein optisch erinnert auch der Campus an den Reformgedanken der Sechziger- und Siebzigerjahre. Damals gegründete Unis wie auch Regensburg, Bayreuth oder Passau sind meist zentral angeordnet, um die erwünschte Verknüpfung der einzelnen Fachdisziplinen auch architektonisch darzustellen.

Das damalige Ziel der bayerischen Hochschulpolitik, die "Bildungsreserven" aus der Region zu heben, ist gut umgesetzt worden. 14 625 von heute 19 819 Studierenden kommen aus Bayern, die meisten aus der Region Augsburg. Es ist keine Uni, die ausländische Studierende in Scharen anlockt. Auch wenn sich die Uni wie alle anderen Hochschulen Bayerns darum bemüht, für ausländische Studierende interessant zu sein. Stattdessen ist das Parkhaus fast immer überfüllt, weil viele Studierende aus den umliegenden Landkreisen anfahren, wo sie aufgewachsen sind. Das könnte sich mit dem Medizincampus zumindest teilweise ändern, für einen solchen Studiengang werden auch junge Leute aus anderen Bundesländern verstärkt nach Augsburg ziehen. Ein bisschen steht die Uni heute wieder da wie vor 50 Jahren: Fast um die Hälfte des derzeitigen Volumens wächst die Uni mit dem Medizincampus, für die Hochschulleitung bedeutet das viel Arbeit.

Auf den Tag genau 50 Jahre, nachdem die Uni Augsburg im Stadttheater festlich eröffnet wurde, wird an diesem Freitag der Grundstein des neuen Medizincampus gelegt. 2023 sollen Studierende und Professoren einziehen. Die Mehrarbeit scheint Doering-Manteuffel eher nicht zu scheuen. Sie hat schon neue Pläne: Ein Zentrum für Klimaresilienzforschung ist geplant, das Leopold-Mozart-Zentrum möchte sie zu einer Fakultät für Musikpädagogik machen.

© SZ vom 16.10.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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