Augsburg:Abgehängt und ausgeschaltet

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Dem Besucher präsentiert sich Augsburg bezaubernd wie hier während der Friedenstafel - die Bewohner aber haben offenbar einen anderen Blick auf ihre Stadt. (Foto: dpa)

Ist Augsburg eine bezaubernde oder eine arme, benachteiligte Stadt? Es kommt offenbar ganz auf die Perspektive an.

Kolumne von Olaf Przybilla

Neulich im Augsburger Hofgarten, einem wahrlich liebreizenden Örtchen. Ein betagtes Ehepaar sitzt, offenbar wohlgemut, auf einer Bank, eine Dame mit Hund flaniert vorbei. Die Gesichtszüge des Herren auf der Bank hellen sich plötzlich auf, er ruft der Dame laut vernehmbar und schwäbisch gefärbt in der Abendsonne zu: "Mein Gott, Sie sind heut die absolut erste in dieser Stadt, die ein Lächeln auf den Lippen hat."

Ein sympathischer Gesprächseinstieg und einer, der - nicht zuletzt wenn man sich als Gast in einer Stadt aufhält - zur Neugierde verleitet. Also ein wenig zugehört, wie's weitergeht. Zunächst klären sich die Gesprächspartner gegenseitig auf, dass sie "Datschiburger" sind. Mist, hat man schon gehört, also parallel im Mobiltelefon nachschauen, ob nicht der Kollege und Sprach-Connaisseur K. Erhellendes dazu geschrieben hat. Und klar, hat man richtig in Erinnerung, die Suchmaschine spuckt als erstes den Text von K. zum Datschiburger aus. Die drei sind also Augsburger, Einheimische.

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Als man wieder zuhören will, wie es weitergeht auf der Bank in diesem anheimelnden Flecken, ist das Gespräch weitermäandert. Die Frau mit dem Hund sagt nichts, die Frau auf der Bank auch nicht, der Herr im Anzug aber redet sich, unter anderem Martin Walser zitierend, immer mehr in einen Rausch von Thomas-Bernhard-hafter Monstrosität hinein. Furchtbar sei diese Stadt, vor 500 Jahren mal bedeutend gewesen, heute vergessen, von allen vergessen, keine alte Sau interessiere sich mehr dafür, abgehängt sei man, systematisch abgehängt, ach was abgehängt, ausgebootet und stillgelegt, kein Leben sei das mehr in dieser Stadt, aber nicht erst seit gestern nicht, nein, seit Hunderten Jahren nicht mehr, eine verlorene Stadt sei das, abgeschoben, kaltgestellt, ausgeschaltet, beiseitegeschoben.

Später erzählt man dem eigenen Bruder davon. Da war einer in einem wunderschönen Park im Herzen einer tollen Stadt, der hat sich darüber beklagt, dass in dieser Stadt nie einer lächele. Und dann hat der Mann ... Der Bruder, Wahlschwabe mit fränkischem Migrationshintergrund, kann nicht lachen darüber. Mit heiligem Ernst setzt er zu einer Philippika darüber an, dass Augsburg abgehängt sei, missachtet, notorisch ignoriert. Aber schön war es schon da in diesem Park.

© SZ vom 24.08.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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