Schwaben:Bürger sollen Augsburger Wahrzeichen vor dem Verfall retten

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Der Perlachturm neben Rathaus vor seiner Sperrung: Inzwischen ist das 70 Meter hohe Gebäude teilweise mit Netzen verhängt, um herabstürzende Teile aufzufangen. (Foto: Rene Mattes/mauritius images)

Der Perlachturm muss dringend saniert werden, aber der klammen Stadt fehlt das Geld. Deshalb bittet sie nun ihre Einwohner um Spenden.

Von Florian Fuchs, Augsburg

Das Turamichele-Fest gehört zum festen Bestandteil des Augsburger Brauchtums. Jedes Jahr Ende September kämpft der Erzengel Michael am Fenster des Perlachturms gegen den Teufel, indem er mit einer Lanze gegen den zu seinen Füßen liegenden Satan sticht. Kinder stehen auf dem Rathausplatz und feuern den Erzengel an. Im vergangenen Jahr aber war etwas anders: Am Fenster des Perlachturms fehlte der Blumenschmuck. In Augsburg ist zwar jederzeit mit weitreichenden Sparmaßnahmen zu rechnen, am fehlenden Geld für Blumen ist bislang aber noch nichts gescheitert. Das Problem war eher, dass der einst stolze Turm inzwischen so baufällig ist, dass er nicht einmal mehr gefahrlos das Gewicht der Blumen hätte tragen können.

Seit 2017 ist der Perlachturm gesperrt, der gemeinsam mit dem benachbarten Rathaus als Wahrzeichen Augsburgs gilt. Dennoch schafft es Augsburg bis heute nicht, die finanziellen Mittel aufzubringen, um sein Wahrzeichen zu renovieren. Insofern war der fehlende Blumenschmuck zum Turamichele-Fest doch irgendwie Ausdruck klammer Stadtfinanzen, aber nun soll alles besser werden - mit Hilfe von Zuwendungen der Bürger. Die Stadt hat eine Spendenaktion gestartet, die Augsburgerinnen sollen Geld überweisen, Glocken-Patenschaften übernehmen oder auf anderem Weg Geld einzahlen, das zur neun Millionen Euro teuren Renovierung fehlt, die bis 2028 erfolgen soll. Anders sieht sich die Stadt offenbar weiterhin nicht in der Lage, das wegen Einsturzgefahr inzwischen großflächig verhüllte Baudenkmal wieder zugänglich zu machen.

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Auslöser für die neue Betriebsamkeit sind Fördermittel des Bundes, die Claudia Roth, Staatsministerin für Kultur und Medien, Ende vergangenen Jahres an Land gezogen hat. Die Augsburger Bundestagsabgeordnete der Grünen hat sich dafür eingesetzt, dass die Stadt knapp drei Millionen Euro aus dem Förderprogramm "KulturInvest" erhält, mit dem der Bund unter anderem Kulturdenkmäler von "gesamtstaatlicher Relevanz" fördert. Auch die Stadt hat Rücklagen zur Sanierung gebildet, drei Millionen stehen mindestens zur Verfügung, die Eigenmittel könnten sich noch deutlich erhöhen - insgesamt langt es ohne Spenden aber trotzdem nicht für die anvisierten neun Millionen.

Oberbürgermeisterin Eva Weber bezeichnet den Perlachturm als "ein wichtiges Stück Heimat" und als einen für Gäste imposanten Bau aus einer für die Stadt wichtigen Architekturepoche. Im Jahr 989 wurde er als Wachturm erbaut und dann immer weiter aufgestockt. Sein heutiges Antlitz erhielt der Turm zwischen 1612 und 1618 durch Augsburgs berühmten Stadtbaumeister Elias Holl, dessen 450. Geburtstag die Stadt dieses Jahr feiert: mit Säulenkuppel, Zwiebeldach und der aufgesetzten Figur der suebischen Stadtgöttin Cisa. Mit seinen knapp 70 Metern gehört der Perlachturm zu den höchsten Gebäuden in Augsburg. Die Stadt preist ihn gemeinsam mit dem Rathaus und dem vorgelagerten Unesco-Welterbeobjekt Augustusbrunnen als "Renaissance-Ensemble von europäischem Rang".

Dieses Ensemble sieht allerdings weniger gut aus, wenn der halbe Turm verhängt ist, wie es derzeit der Baufälligkeit wegen der Fall ist. Am Sockel des Turms hängen Netze, auch stellten sich bei einer Begehung erhebliche Schäden der beiden obersten Geschosse und an der Turmfassade heraus. Die Netze sollen eventuell herabfallendes Material abfangen. Um den denkmalgeschützten Turm wieder zugänglich zu machen, soll bei der geplanten Renovierung ein riesiger Kran die Turmzwiebel in einem Stück abheben, um die darunter liegenden, schadhaften Stahlbetondecken zu entfernen. Damit ergebe sich laut Stadt "die einmalige Chance, die statisch kritische Stahlbetontreppe stückweise herauszusägen und durch den oben offenen Turmköcher abzutransportieren".

Vorgesehen ist eine neue, frei schwebende Treppe im Turminnern, Podeste sollen den Blick aus Turmfenstern auf die Stadt ermöglichen. Im Zuge des Umbaus soll auch ein kleiner gotischer Raum nach mehr als 400 Jahren wieder betretbar sein. Die Wendeltreppe durchstößt am Ende, wo ursprünglich der Türmer seine zweigeschossige Wohnung hatte, die Decke und erschließt den von Elias Holl konzipierten Aussichtspavillon, der bei gutem Wetter einen Ausblick bis zu den Alpen bietet.

Im November 2023 sollen die Bauarbeiten beginnen. Möglichst viele Augsburger sollten also etwa "nachhaltige Kuscheldecken aus recycelter Baumwolle mit Motiven der berühmtesten Holl-Bauwerke" erstehen, 69,99 Euro für den guten Zweck. Interessierte können aber auch einfach Karten für ein Benefizkonzert des Staatstheaters erwerben: Am Freitag spielen die Augsburger Philharmoniker im Martini-Park ein musikalisches Programm mit Bezug zur Stadtgeschichte. Der Erlös fließt in die geplante Sanierung.

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