Vor einigen Jahren hat das Staatsarchiv München interessierten Besuchern alte Polizeiakten vom Prozess gegen den Räuber Matthias Kneißl (1875-1902) gezeigt. Es bot sich ein erschreckendes Bild. Als der Ermittlungsakt geöffnet wurde, kamen vergilbte Blätter ans Tageslicht, die vom Rand her zerbröselten. Ein typisches Zeichen des Säurefraßes, der das Papier mit jeder Berührung weiter zerstört. Nur durch eine sofortige Entsäuerung konnten die historisch wertvollen Akten gerettet werden.
Die Kneißl-Papiere sind aber beileibe kein Einzelfall. Mehrere Millionen Archivalien in den bayerischen Archiven sind vom Säurefraß bedroht, darunter viele Bestände seit dem Jahr 1840 und ganz besonders Akten aus der Zeit des Nationalsozialismus und des Krieges, in der die Papierqualität besonders schlecht war.
Verursacht wird der Zerfall durch den hohen Säuregehalt des Papiers, der einhergeht mit dem Beginn der industriellen Herstellung im 19. Jahrhundert. Damals wurde das unverwüstliche, aus Textilfasern geschöpfte Hadernpapier vom industriell gefertigten, billigeren, aber sauren Holzpapier abgelöst. Solches Papier wird in den Verwaltungen bis heute verwendet. Der Säurefraß wird deshalb die Archive dauerhaft beschäftigen. Die Entsäuerung geschieht entweder in einem Massenverfahren oder in schwierigen Fällen - wie bei den Kneißl-Akten - in einer teuren Einzelbehandlung der Blätter.
Aber selbst dieses Verfahren kann alte Zeitungen und Akten nicht dauerhaft retten. "Der sofortige Zerfall wird nur hinausgezögert", erklärt Laura Scherr, Archivarin bei der Generaldirektion der Staatlichen Archive Bayerns. "Papier hat generell die Tendenz zu zerfallen", sagt sie, "es ist ein Dauerkampf um das Gedächtnis der Gesellschaft." Der durch die Entsäuerung geschaffene Puffer wird nämlich nach und nach wieder aufgebraucht, das Problem bleibt langfristig bestehen. Dies ist aber nicht die einzige Kalamität, unter der die Archive leiden. Eine kleine, von der Hochschule für den öffentlichen Dienst gestaltete Ausstellung im Münchner Hauptstaatsarchiv zeigt gerade, wie komplex das Thema Archivsicherung ist - trotz des Einsatzes neuester Technik (Schönfeldstraße 5, bis 2. April, Mo-Do 8.30-18 Uhr, Fr 8.30-13.30 Uhr).
Dass die Gefahr immer und überall lauert, zeigen Katastrophen wie der Einsturz des Stadtarchivs Köln (2009) sowie die Brände in der Weimarer Anna-Amalia-Bibliothek (2004) und im Staatsarchiv Landshut (1961). Damit ist aber das Gefahrenpotenzial noch längst nicht erschöpft, wie die Ausstellung belegt. Sie dokumentiert den Totalverlust von Archivgut durch Krieg, Feuer und Diebstahl, dazu die Schädigung durch Nager- oder Insektenfraß bis hin zur gezielten Manipulation der Akten. Die Zerstörungen während des Dreißigjährigen Kriegs haben in Bayern dazu geführt, dass die Personenregister oft erst nach 1648 einsetzen. Die meisten Registraturen wurden von der Soldateska niedergebrannt.
Selbst der Klimawandel beeinträchtigt den Zustand der Archivalien. "Heiße Sommer machen uns zu schaffen", bestätigt Scherr. Vor allem wenn die Klimaanlagen mit Außenlüftung bei hoher Luftfeuchtigkeit an ihre Grenzen stoßen. Lediglich Neubauten wie das Magazin des Staatsarchivs in Bamberg, das im April eröffnet wird, bieten quasi Idealbedingungen.
Die Ausstellung stellt deshalb auch Schutzmaßnahmen vor, die den Erhalt von Akten, Urkunden, Fotos, Karten, Plänen, Plakaten, Briefen und Filmen sichern sollen. Dazu gehören unter anderem ein Schädlingsmanagement sowie Abschriften und Verfilmungen. Schon eine gute Verpackung von Archivalien in säurefreien Umschlägen und festen Archivkartons gewährleistet einen Grundschutz. Beim Einsturz des Stadtarchivs in Köln zeigte sich, dass solchermaßen verwahrte Archivalien einigermaßen unbeschadet blieben. Sogar eine kurze Zeit der Wässerung hielten die Papiere auf diese Weise aus, sagt Laura Scherr. Einen Schutz vor Totalverlust bietet freilich nur die Sicherheitsverfilmung von Archivalien. Die Mikrofilme, die mehrere Hundert Jahre überdauern sollen, werden in Bergstollen eingelagert, damit im Falle einer Zerstörung von Archiven wenigstens deren Inhalte für die nächste Zukunft gerettet sind.