Ausgrabungen:Sensationen aus dem Untergrund

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Weil in Bayern viel gebaut wird, stoßen Archäologen auf so viele Schätze wie nie zuvor. Sie reichen zurück bis zum Beginn der Sesshaftwerdung vor 7000 Jahren.

Von Hans Kratzer, München

Die pulsierende Bautätigkeit, die industrielle Landwirtschaft und großflächige Veränderungen der Infrastruktur bedingen ganz nebenher, dass immer mehr Bodendenkmäler ans Tageslicht kommen. Allein im Jahr 2018 wurden im Freistaat etwa 700 archäologische Ausgrabungen vollzogen. Dabei kamen Objekte ans Tageslicht, die neue und oft unerwartete Einsichten in die Vergangenheit und in die Entwicklung der Menschheit ermöglichen. Das für die Ausgrabungen zuständige Landesamt für Denkmalpflege (BLfD) stellt jetzt in einer Publikation exemplarisch 17 herausragende Grabungen der vergangenen Jahre vor. Beim Durchblättern kommt man unweigerlich ins Staunen, das allerdings vom Bedauern darüber begleitet ist, welch einen geringen Stellenwert die Archäologie in der Politik wie auch in der Gesellschaft besitzt, obwohl diese Disziplin so viel über die Rätsel des Menschseins mitzuteilen hat.

Stangenbarren aus der Bronzezeit. (Foto: Bayerisches Landesamt für Denkmalpflege)

Es ist ja zum Beispiel nicht so, dass der liebe Gott die Menschen in einem Gnadenakt in das heutigen Bayern hineingesetzt hat. Wie die Sesshaftwerdung vonstatten ging, kann man in Buchbrunn (Landkreis Kitzingen) nachvollziehen, wo Spuren der ersten Ackerbauern entdeckt wurden. Unter anderem haben Archäologen dort die Überreste von 26 Häusern aus der Jungsteinzeit freigelegt, die vor gut 7000 Jahren errichtet wurden. Das war mitten in jener neolithischen Revolution, in der Menschen aus dem Vorderen Orient nach Mitteleuropa einwanderten und eine neue Lebensweise mitbrachten. Statt ihr Überleben durch Jagen und Sammeln zu sichern, machten sich in Bayern nun zum ersten Mal Menschen sesshaft. Sie errichteten Häuser, hielten sich Rinder, Schweine und Schafe, und sie bauten Getreide an, nämlich Emmer und Einkorn, also Sorten, die ebenfalls aus dem Vorderen Orient stammen. Ihre Holzhäuser sind zwar längst verrottet, aber deren Grundrisse zeichnen sich durch Verfärbungen im Boden ab. Selbst für heutige Maßstäbe sind die Dimensionen beeindruckend. Die Bauten waren bis zu 40 Meter lang. Wie diese ersten Bauern lebten, wird in Buchbrunn in der Dauerausstellung "Erlebnis Steinzeit" gezeigt. Außerdem wurde ein Steinzeithaus im Originalmaßstab rekonstruiert.

Gläserner Sturzbecher aus dem Kammergrab von Pförring bei Eichstätt, das im 5. Jahrhundert n. Chr., am Ende des römischen Imperiums, angelegt wurde. (Foto: Bayerisches Landesamt für Denkmalpflege)

In der Broschüre ist überdies die Geschichte von Bayerns ältester Skulptur aus der Zeit um 3000 v. Chr. dokumentiert. Sie wurde in Gallmersgarten knapp unterhalb des Anstiegs zur Frankenhöhe nahe der B 470 entdeckt. Bei dieser steinernen Stele aus der Jungsteinzeit handelt es sich um einen in Bayern einzigartigen Fund. Steinfiguren in Menschengestalt waren im ausgehenden vierten Jahrtausend v. Chr. zwischen der Iberischen Halbinsel und dem eurasischen Steppengebiet durchaus verbreitet, nördlich der Alpen dagegen unbekannt. Die erstmalige Großdarstellung des Menschen wird in der Forschung als Zeichen eines neuen gesellschaftlichen Selbstverständnisses in jener Zeit interpretiert.

Rekonstruktion eines gut 7000 Jahre alten Langhauses in Buchbrunn (Kreis Kitzingen), ursprünglich errichtet von den ersten sesshaften Bauern im heutigen Bayern. (Foto: Bayerisches Landesamt für Denkmalpflege)

Ein gängiges Motiv der modernen Filmindustrie, die Furcht vor Wiedergängern, war einst bittere Realität. Darauf deuten fünf keltische Gräber aus dem oberbayerischen Landsham aus der Zeit um 200 v. Chr. hin. Dort offenbarte sich, dass die Körper der Toten auf ungewöhnliche Weise begraben wurden. Eine gängige archäologische Deutung lautet, dass die Manipulationen an den Toten mit der Furcht vor Wiedergängern in Zusammenhang stand. Eine bäuchlings bestattete Frau sollte wohl, falls sie wieder erwachen würde, in die Tiefe graben und die Oberfläche nie mehr erreichen. Einem ähnlichen Zweck könnte auch eine rituelle Enthauptung, das Einschlagen eines Schädels und die Fesselung eines Toten gedient haben. Die in Landsham gemachten Beobachtungen entsprechen keineswegs dem heute üblichen pietätvollen Umgang mit Verstorbenen und wirken deshalb verstörend.

Bayerns älteste Skulptur: die Stele von Gallmersgarten. (Foto: Bayerisches Landesamt für Denkmalpflege)

Archäologische Funde erstrecken sich keineswegs auf die vor- und frühgeschichtliche Zeit, sondern sie reichen herauf bis in die jüngste Geschichte. Dabei verschaffen neue Technologien geradezu revolutionäre Erkenntnisse. Ungeheuer erweitert hat sich das Wissen durch das Scannen der Erdoberfläche mithilfe von Luftbildkameras sowie der Blick in die Tiefe des Erdbodens mithilfe von Magnetometer und Radar. 30 000 Fundstellen sind auf diese Weise schon erschlossen worden, darunter auch unbekannte Abschnitte des sogenannten Goldenen Steigs, eines Handelswegs, der im Mittelalter Passau mit den böhmischen Landen verband. Auf ihm wurde vor allem Salz aus dem Alpengebiet ins salzlose Böhmen transportiert. Auf dem Goldenen Steig strömten aber nicht nur Waren, es kamen auch Siedler in die einsamen Grenzwälder des Böhmerwalds.

Ein Erkundungsschacht zur Erzgewinnung in Runding. (Foto: Bayerisches Landesamt für Denkmalpflege)

Nachdem der genaue Verlauf der Handelsrouten in Vergessenheit geraten war, gelang es mit einer Laserabtastung der Landschaft aus der Luft deren Überreste in den Wäldern aufzuspüren. Insgesamt ließen sich auf bayerischer Seite gut 13 Kilometer lange Spuren des Goldenen Steigs feststellen, die nun die in Böhmen bereits erkannten 15 Kilometer ergänzen. Dazu kommen noch 250 Funde, die in Zusammenhang mit dem Steig geborgen wurden.

Die Archäologie muss sich auch mit der NS-Zeit beschäftigen. Aufgrund der alliierten Luftangriffe war die deutsche Rüstungsindustrie in den letzten Kriegsjahren dazu übergegangen, dezentrale Produktionsstandorte aufzubauen. Häufig setzte man hier neben Zwangsarbeitern auch KZ-Häftlinge als Arbeitskräfte ein. Von 1943 an entstanden mehr als 150 Außenlager allein des Konzentrationslagers Dachau. Über diese Lager ist nur wenig bekannt - mitunter kennt man nicht einmal ihre genaue Lage. Eine Grabung im ehemaligen Außenlager 14/5a-4 der Messerschmitt AG in Gablingen (Kreis Augsburg) förderte zuletzt zahlreiche Erkenntnisse zur Geschichte eines solchen Lagers zutage.

Die Publikation "Aufgedeckt - Highlights der bayerischen Bodendenkmalpflege" gibt es kostenfrei beim BLfD (Mail: publikationen@blfd.bayern.de).

© SZ vom 27.02.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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