Dass es Kaffee-Vollautomaten auf Berghütten braucht, findet die Wanderin "furchtbar". Bei so einem Anspruchsdenken kann sie nur den Kopf schütteln, einfacher Kaffee tue es hier im Gebirge auch. Sagt sie. Und bestellt einen Cappuccino. Andere brüten länger über der zweisprachigen Speisekarte der Höllentalangerhütte. Champignonschnitzel mit Spätzle? Oder lieber den Fitness-Salat mit Hühnerstreifen? Der Zucchinikuchen klingt auch gut. Mehr als zwei Dutzend Gerichte stehen zur Wahl.
An schönen Tagen ist die Berghütte oberhalb von Grainau eines der beliebtesten Ausflugsziele im bayerischen Voralpenland; dann strömen bis zu 2000 Personen täglich herauf. Aber an diesem Tag sind bislang nur wenige Bergsteiger gekommen. Der Himmel ist bewölkt, immer wieder tröpfelt es. Die meisten Wanderer machen es sich lieber gleich im Gastraum bequem. Dort haben sie, dank Panoramafenster, freien Blick auf das Hochtal unterhalb der Zugspitze.
Thomas Auer gönnt sich eine kurze Pause und nimmt unter der modernen, schwarzen Flachlampe an einem jener Holztische Platz, die auch drei Jahre nach der Einweihung noch aussehen wie neu. Im Sommer bewirtet er die Höllentalangerhütte, im Winter betreibt der Mittvierziger ein Wellness-Familien-Hotel mit vier Sternen im Pitztal. Der Neubau der Hütte hat Kritik hervorgerufen, kaum dass die ersten Entwürfe publik waren. Sogar eine Online-Petition gegen den Abriss der urigen alten Hütte mit ihrem roten Giebeldach und den grünen Fensterläden gab es; 5000 Menschen unterschrieben sie. Vergebens.
Der Vorwurf, die Hütte habe an Charme verloren, ist bis heute geblieben. Auf der neuen Höllentalangerhütte erwarten den Bergsteiger ein modernes Bad mit Regendusche, glänzende Armaturen und graue Fliesen. Abends gibt es ein frei wählbares Drei-Gänge-Menü, dazu Qualitätsweine, Piccolo und Prosecco. Geschlafen wird überwiegend in Sechsbettzimmern. Preislich ist kein Unterschied mehr zum Tal: Eine Übernachtung im Mehrbettzimmer kostet pro Person mit Halbpension schnell 70 Euro - ohne Getränke. Und auch Wlan ist inzwischen eingerichtet, zumindest an der Rezeption. Viele Gäste fragen Thomas Auer gar nicht mehr, ob er das überhaupt anbietet. Sie fragen gleich nach dem Passwort.
Auer trägt, wie alle seine Angestellten, ein T-Shirt mit dem neuen Logo der Höllentalangerhütte. Das Logo - eine zackige Linie mit einem Viereck darunter soll zwei Berggipfel und die Hütte darstellen - gibt es erst seit dem Neubau. Es prangt auf allen Speisekarten und den Hinweisschildern am Wegesrand. Es zeigt, dass sich das Selbstverständnis der Hüttenwirte geändert hat. Vor 125 Jahren, als die Höllentalangerhütte als einfache Schutzhütte errichtet wurde, brauchte es noch kein Corporate Design. Da war es das Wichtigste, in knapp 1400 Metern Höhe im Warmen und Sicheren zu sein. Komfort spielte keine Rolle, die Bergsteiger nächtigten im Bettenlager auf Seegrasunterlagen, weil Matratzen teuer waren. Zum Essen gab's, was der Hüttenwirt da hatte. Wenn niemand schnarchte oder frühzeitig vor Morgengrauen aufbrach und damit die anderen weckte, sprach man von einer guten Nacht.
Die Ansprüche haben sich längst geändert, nicht nur auf der Höllentalangerhütte. Wo einst ein Hauch von Abenteuer die Übernachtungen in den Alpen umgeben hat, ist heute das Gegenteil gefragt. Wer in die Berge geht, der will nicht mehr entbehren. Dieses Anspruchsdenken verändert die Alpen auch für diejenigen, für die Bergsteigen eher eine Lebenseinstellung ist. Für die Bergsteigen bedeutet, den Alltag hinter sich zu lassen und zu entschleunigen. Corporate Design auf 1387 Metern passt da nicht.