Hausham:Warum die Klinik in Agatharied ums Überleben kämpft

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Auf der grünen Wiese liegt das Krankenhaus Agatharied. (Foto: Matthias Köpf)
  • Das Krankenhaus in Agatharied ist vor 20 Jahren eröffnet worden - vier kleine Häuser hat der Landkreis dafür aufgegeben.
  • Heute wird die Klinik gut angenommen, bei den Einheimischen genauso wie bei Skifahrern, Bergsteigern und Mountainbikern, die sich in den Bergen verletzen.
  • Dennoch muss immer wieder am Haus gearbeitet werden, um alle Patienten versorgen zu können und die Auflagen zu erfüllen.

Von Matthias Köpf, Hausham

Zehn Menschen listen die Bildschirme an diesem einigermaßen unauffälligen Vormittag gerade auf, und rein farblich ist alles dabei. Rot unterlegt sind die Daten der älteren Frau, die irgendwann im Schlaf einen Schlaganfall erlitten hat und jetzt hier im Schockraum liegt. Der vermeintliche Herzinfarkt schräg gegenüber, der wohl doch keiner war, ist auf gelb heruntergestuft worden. Orange und damit vorrangig ist der Handwerker in der blauen Arbeitskleidung. Trotz seiner Kopfverletzung hat ihn nicht der Rettungsdienst gebracht, sondern ein Arbeitskollege. Er ist also "zu Fuß" gekommen, wie das hier heißt, auch wenn kaum einer den ganzen Weg wirklich geht.

Zu weit liegt das Krankenhaus Agatharied draußen auf der grünen Wiese südlich von Miesbach. Der Landkreis hat sich hier in den Neunzigerjahren ein Krankenhaus gebaut und dafür unter heftigen lokalpolitischen Debatten vier kleine Häuser aufgegeben. "Wenn man ehrlich ist, müsste man die gleiche Diskussion heute wieder führen", sagt Michael Kelbel.

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Kelbel führt diese Diskussion ohnehin fast permanent, und sei es manchmal mit sich selbst. Denn der 54-Jährige ist nicht nur Geschäftsführer der kreiseigenen Krankenhausgesellschaft, sondern außerdem Funktionär verschiedener Interessenvertretungen der Krankenhäuser auf Landes- und Bundesebene. Bayern- und deutschlandweit werden längst ganz ähnliche Debatten geführt, wie sie die Miesbacher im Kleinen schon zwei Jahrzehnte hinter sich haben. Katrin Jahn, die in Agatharied Bereichsleiterin für die Pflege in der Notaufnahme ist, war schon dabei, als die nagelneue Klinik im Oktober 1998 ihren Betrieb aufgenommen hat.

Zuvor hatte Jahn im Kreiskrankenhaus in der Stadt Tegernsee gearbeitet, wo es damals hauptsächlich große Mehrbettzimmer gab und Etagenbäder am Gang. Trotzdem hingen die Tegernseer an ihrem alten Krankenhaus, genau wie die Haushamer, die Miesbacher und die Holzkirchener an den ihrigen. In die neue Klinik nach Agatharied wollten sie alle miteinander erst einmal nicht eingewiesen werden. Doch dann kam der Schnee und mit ihm die Skifahrer. "Im ersten Winter haben uns die Patienten überrannt", erinnert sich Katrin Jahn.

Das ist manchmal immer noch so, auch und gerade an den Wochenenden. Nur kalkulierbar sei es leider kaum, sagt Oberarzt Andreas Bürkner. Er ist Unfallchirurg und Orthopäde und damit Spezialist für die Verletzungen, die sich all die Skifahrer, Bergsteiger und Mountainbiker eben so zuziehen beim Ausflug in die Berge. Viele Lädierte fahren auf dem Heimweg nach München in Agatharied vorbei, kommen also "zu Fuß", so wie es nach Bürkners Schätzung ungefähr 60 Prozent seiner chirurgischen Patienten in der Notaufnahme tun, während bei internistischen und neurologischen Patienten wohl die Mehrzahl vom Rettungsdienst gebracht werde. Die meisten Fußgänger kommen durch den Haupteingang. Dahinter wirkt das helle Ambiente ein bisschen wie der Eingangsbereich eines dieser Spaßbäder, samt dem sanften Geplätscher eines flachen Brunnens.

Mut und Weitsicht?

Dieser Eingang liegt am Norbert-Kerkel-Platz, benannt nach dem 2008 verstorbenen Freie-Wähler-Landrat, der damals das Kreuz der Krankenhausverschmelzung auf sich genommen und dafür nicht wenige Prügel eingesteckt hat. Zur 20-Jahr-Feier der Klinikeröffnung im vergangenen Sommer wurde ihm dafür umso mehr Lob zuteil. Der Landkreis Miesbach habe damals schon Mut und Weitblick bewiesen und das getan, was vielen anderen Landkreisen heute bevorstehe, hieß es da unter anderem. Kerkels Nach-Nachfolger, der grüne Landrat Wolfgang Rzehak, beteuerte bei der Gelegenheit wieder einmal, das Kreiskrankenhaus unbedingt in kommunaler Hand behalten zu wollen.

Das Krankenhaus Agatharied funktioniert, darauf legt Michael Kelbel, der hier seit 2012 die Geschäfte führt, großen Wert. Gleichwohl könne auch seine Klinik nicht so bleiben, wie sie ist. Das geht schon in der Notaufnahme los, die beim Bau vor 20 Jahren auf 10 000 ambulante Patienten pro Jahr ausgelegt war. Inzwischen müssen Ärzte und Pflegepersonal hier fast das Dreifache an Patienten durchschleusen. Nicht alle müssten unbedingt gleich in die Klinik, sagt Katrin Jahn. Aber schließlich hätten die Leute ja oft schon eine Weile gewartet, und wenn man ihnen dann nach einer schnellen ersten Diagnose noch lang erkläre, warum sie hier eigentlich falsch seien, dann seien die meisten Kosten doch schon längst entstanden. Zum wachsenden Andrang in der Ambulanz kommen immer neue Auflagen und räumliche Anforderungen an so eine Notaufnahme. Deswegen wurde hier gerade ziemlich umgebaut.

Michael Kelbel, der Geschäftsführer der Klinik Agatharied, glaubt nicht so recht an all die Bekenntnisse der Politiker zu den kleinen Landkrankenhäusern. (Foto: Matthias Köpf)

Das gilt auch für die ganze Klinik. 2018 hat sie einen sechsten und siebten OP-Saal in Betrieb genommen, im Jahr davor in aller Eile einen vierten Kreißsaal geschaffen, nachdem das ehemals städtische, aber längst privatisierte Krankenhaus im gut 20 Kilometer entfernten Bad Tölz die Geburtshilfe geschlossen hatte. Auf der Landkarte in Michael Kelbels Büro steckt bei Bad Tölz ein roter Pin, genau wie bei Wolfratshausen, Penzberg, Bad Aibling und Agatharied. Die direkte Konkurrenz? Eher mögliche Kooperationspartner und auf jeden Fall auch Mitbewerber in einer Branche, in der die Krankenhäuser von der Politik aus "neoliberaler Marktgläubigkeit in einen zerfleischenden Wettbewerb geschickt" würden. So formuliert es jedenfalls Michael Kelbel. Sein mittelgroßes Haus mit den derzeit 350 Betten müsse weiter wachsen, obwohl es seinen Auftrag, nämlich die medizinische Grund- und Regelversorgung für die 98 000 Bürger des Landkreises Miesbach, aus Kelbels Sicht eigentlich schon zu 100 Prozent erfüllt.

Dass aber ein rundes Drittel aller Patienten eben nicht aus dem Landkreis Miesbach kommt, liegt nicht nur an den vielen Touristen und Ausflüglern, sondern auch daran, dass Agatharied mit dem touristisch reizvollen Umfeld plus der Spezialisierung etwa auf Darm, Schulter, Knie und Hüfte Patienten aus ganz Deutschland anlockt. Und die fehlen dann eben dort, wo sie herkommen. Auf reiche Araber zu setzen und deren ganze Entourage zu beherbergen, wie es anderswo in Oberbayern durchaus geschieht, hält Kelbel nicht für den richtigen Weg: Wenn eine Klinik nur auf diese Weise überleben könne, sei das ein sicheres Zeichen für eine falsche Finanzierung der Krankenhäuser insgesamt.

Gleiches gilt aus seiner Sicht aber auch, wenn ein Krankenhaus Subventionen braucht, wie sie die Staatsregierung schon im Sommer speziell für kleine Kliniken auf dem Land in Aussicht gestellt hat - also für genau solche Häuser, wie sie der Landkreis Miesbach vor 20 Jahren aufgegeben hat zugunsten des Neubaus in Agatharied. Doch an all die Bekenntnisse zu den kleinen Landkrankenhäusern, wie sie zuletzt auch Freie-Wähler-Chef Hubert Aiwanger abgegeben hat, glaubt Michael Kelbel ohnehin nicht so recht. Von den 600 oder 700 Betten, wie sie Experten für ein gesichertes Überleben einer Klinik aus eigener Kraft für notwendig halten, sei Agatharied aber auch weit entfernt.

Und sowohl die Krankenkassen als auch die Politik lassen wenig Zweifel daran, dass die Zahl der Krankenhäuser sinken soll. Weil sich das aber kaum ein Politiker seinen Wählern offen zu sagen traue, geschehe das nicht auf dem Weg stringenter Planung, sondern über den Umweg des wirtschaftlichen Drucks, sagt Kelbel. So hätten die Fallpauschalen für die Krankenhäuser viele Jahre lang nicht ansatzweise mit den Tarifsteigerungen für das Personal Schritt gehalten.

Sein Haus ist 2017 erstmals seit längerer Zeit wieder ins Minus gerutscht, für 2018 wird es wohl ein Verlust von 2,5 Millionen Euro werden, und auch für 2019 rechnet Kelbel schon jetzt mit roten Zahlen. Läge die ganze Klinik in ihrer eigenen Notaufnahme, so wären ihre Falldaten auf den Monitoren zwar nicht rot unterlegt, aber auch nicht grün oder blau. Und nur dann wäre es eigentlich nicht allzu dringend.

© SZ vom 21.12.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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