Nach Urteil des Bundessozialgerichts:Bayerischen Kliniken droht eine Klagewelle

Schlaganfall

Wie in ganz Bayern sind auch im Landkreis Freising Notarztdienste schwierig zu besetzen.

(Foto: Stephan Jansen/dpa)
  • Die Krankenkassen wollen von vielen Kliniken im Freistaat Geld für die Behandlung von Schlaganfall-Patienten zurück.
  • Das Bundessozialgericht hatte die bisherige Festlegung der maximalen Transportzeit von Patienten einer Schlaganfall-Einheit in eine neurochirurgische Abteilung neu interpretiert.
  • Das war häufig nicht umsetzbar - und damit aus Sicht der Kassen viele Behandlungsabrechnungen hinfällig.

Von Dietrich Mittler

Auf Bayerns Krankenhäuser rollt eine immense Klagewelle zu. Schätzungen der Sozialgerichte zufolge umfassen die Klagen der Krankenkassen gegen nahezu jedes Krankenhaus im Freistaat rund 15 000 Einzelfälle. In diesen stellen die Kassen die Behandlungskosten der Kliniken in Frage und wollen nun vor Gericht die an die Krankenhäuser bereits gezahlten Beträge zurückfordern.

Auch wenn es bei vielen dieser Einzelfälle um relativ kleine Summen gehen mag, wird das nun jedoch vor allem für 30 bis 40 Kliniken zu einem ernsten Problem. Hier geht es insbesondere um jene, die kostenintensive Schlaganfall-Behandlungen abgerechnet hatten. "Das stehen jetzt für einige Krankenhäuser Millionenbeträge im Feuer", sagte Siegfried Hasenbein, der Geschäftsführer der Bayerischen Krankenhausgesellschaft (BKG), am Mittwoch.

Wie ernst auch Gesundheitsministerin Melanie Huml (CSU) dieses Problem einschätzt, zeigt die Tatsache, dass ihr Haus die Kassen und die Bayerische Krankenhausgesellschaft am Dienstagabend zu einem Vermittlungsgespräch empfangen hat. "Mein Ziel ist es, dass möglichst bald eine Lösung der umstrittenen Fragen gefunden und wieder Rechtssicherheit hergestellt wird", sagte Huml. Und: "Eine gerichtliche Abarbeitung der Klagewelle nützt niemandem. Sie sollte daher so schnell wie möglich aus der Welt geschafft werden."

Augenblicklich ist Huml in dieser Angelegenheit mit Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) im Austausch. Auf Bundesebene stehen in dieser Woche Gespräche mit Vertretern der Kassen und der Deutschen Krankenhausgesellschaft an, das Problem trifft längst nicht nur Bayerns Krankenhäuser. Ausgelöst wurde die juristische Großoffensive der Kassen - die Rede ist von mehr als 100 000 Klagen bundesweit - durch ein im Juni ergangenes Urteil des Bundessozialgerichts zur Vergütung der Behandlung von Schlaganfall-Patienten (Aktenzeichen B 1 KR 39/17 R). "Das Gericht interpretiert die Voraussetzungen, um einen Schlaganfall abrechnen zu können, teilweise anders, als dies bislang der Fall war", betonte Hasenbein.

Konkret geht es darum: In seinem Urteil hat das Bundessozialgericht die bisherige Festlegung der maximalen Transportzeit von Patienten einer Schlaganfall-Einheit in eine neurochirurgische Abteilung neu interpretiert. Die Komplexbehandlung eines Schlaganfalls kann nur noch in Kliniken durchgeführt werden, die selbst über eine neurochirurgische Abteilung verfügen. Krankenhäuser dürften folglich nur dann eine Zusatzvergütung für Schlaganfall-Patienten abrechnen, wenn sie die Patienten innerhalb von einer halben Stunde zu einer derart ausgestatten Klinik bringen. Da dies häufig so nicht umsetzbar war, sind damit aus Sicht der Kassen viele Behandlungsabrechnungen hinfällig.

Erschwerend kommt hinzu, dass der Bundesgesetzgeber jüngst die Verjährungsfristen verkürzt hat, innerhalb derer die Kassen Krankenhaus-Abrechnungen in Abrede stellen können. "Das hat die Kassen dazu veranlasst, alle zurückliegenden Schlaganfall-Abrechnungen vor Gericht zu bringen - und nicht nur die", sagt BKG-Chef Hasenbein. "Wir sind unter enormen Zugzwang gesetzt worden", betont indes die AOK Bayern, die ebenfalls Klagen eingereicht hat - auch "aus Gründen des verantwortlichen Umgangs mit Beitragsgeldern". Allerdings habe die AOK Bayern die Sozialgerichte gebeten, "die Klagen vorerst ruhend" zu stellen. "Wir hoffen, dass es uns gemeinsam gelingt, eine konstruktive Verhandlungslösung zu finden", teilte ein Sprecher der Kasse mit.

Hasenbein indes geht davon aus, dass das Bundesgesundheitsministerium bezüglich Schlaganfall-Behandlung bald wieder die bisherigen Abrechnungsmodalitäten als gültig definiert. "Diese rückwirkende Klarstellung erwarten wir noch dieser Tage", sagte er.

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