Zukunft des Autohandels:Auto-Shopping in virtuellen Welten

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Bei Audi kann der Kunde seinen Traumwagen bald auf dem Mond konfigurieren, wenn er die VR-Brille auf der Nase hat. (Foto: Audi)
  • Der Autohandel wird sich in den nächsten Jahren stark verändern. Davon sind die Hersteller überzeugt.
  • Als Vorbild dienen die Vertriebskonzepte von Apple und anderen Firmen aus dem Silicon Valley.
  • Doch einige Händler, die ihr Geld in riesige Neuwagenzentren auf der grünen Wiese investiert haben, reagieren genervt auf die neuen Ideen.

Analyse von Joachim Becker

Apple-Stores voll, Autohäuser leer. Damit ist schon viel über die Misere des Autohandels gesagt. Apples Aufstieg von einer Insider-Firma zur weltweiten Kultmarke ist nicht zuletzt dem klugen Vertrieb und Marketing geschuldet. Dabei war die Ausgangssituation alles andere als rosig: Anfang des Jahrtausends waren sich viele Experten einig, dass Computer aus Kostengründen künftig übers Internet verkauft würden. Heute kann man in den Apple-Stores an der New Yorker Fifth Avenue oder in anderen Bestlagen weltweit ein fröhliches Gewimmel von Kunden und Verkäufern erleben. Die Boutiquen für Edel-Elektronik erzielen durchschnittlich 40 Millionen Euro Umsatz pro Jahr. Krise sieht anders aus.

Im deutschen Autohandel gehört die Endzeitstimmung dagegen zum festen Inventar: Immer neue Rabattschlachten, minimale Margen und miese Rückmeldung der Kunden zeichnen ein düsteres Bild. Erneut droht der Online-Handel zum Totengräber der angestammten Verkaufsstellen zu werden: Zehn Prozent der Neuwagen in Deutschland werden bereits über das Internet verkauft. Der klassische Autohändler macht mit Neuwagen heute weniger Umsatz als zur Jahrtausendwende. Dabei zeigten sich die Deutschen mit durchschnittlich 28 600 Euro für ein neues Fahrzeug so spendabel wie nie zuvor. Auch der europaweite Absatz zieht wieder an. "Gönn dir was", lautet die Devise. Das oft beschworene Desinteresse am eigenen Pkw bleibt ein Randphänomen unter jungen Städtern. Richtig ist, dass nicht das Auto, sondern die veralteten Vertriebs- und Servicekonzepte vom Aussterben bedroht sind.

Die Hersteller ärgern sich über ihre Händler

"Man müsste eine ganze Generation von Händlern überspringen, und das Apple-Modell implementieren, um den Autovertrieb in die Zukunft zu katapultieren", sagte ein Top-Manager auf der Münchner Automobilwoche-Konferenz "Big Data - Car Data" im Februar. Allerdings nur hinter vorgehaltener Hand, namentlich zitiert werden möchte er lieber nicht. Die Autohersteller haben ohnehin schon genug Ärger mit ihren unabhängigen Handelspartnern: Mangels Profiten begehren sie gegen immer neue Qualitäts-Richtlinien auf. "Einige Händler haben zuletzt in den 80er-Jahren in neue Fliesen investiert", sagt Peter van Binsbergen: "Natürlich sind Kosten ein großes Thema. Aber ich habe mich geärgert, wie sich manche Händler gegen unser neues Vertriebskonzept Future Retail gestellt haben", so der deutsche BMW-Vertriebsleiter.

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Future Retail hat viel mit Apple zu tun: Die Verkäufer sollen ihre Kunden mit Tablet und Großbildschirm in entspannter Lounge-Atmosphäre beraten. "Die neuen Möbel sind dazu da, den Prozess zu unterstützen und kein Selbstzweck", betont van Binsbergen. Seit 2011 hat er für BMW neue Verkaufsideen entwickelt und ab 2013 in China ausprobiert. Als er vor knapp einem Jahr die Leitung der Vertriebsregion Deutschland übernahm, hatte BMW i die Idee des Product Genius bereits eingeführt: Wie bei Apple soll der neue Berater-Typ nicht ein bestimmtes Modell verkaufen, sondern das Leben seiner Kunden mit neuen Ideen bereichern.

Der Händler kommt zum Kunden, nicht umgekehrt

Klingt reichlich abgehoben, bei Apple sind die Beratungstermine in digitalem Lifestyle dennoch heiß begehrt. In Asien ist es zudem üblich, dass der Verkäufer eines Luxusautomobils zu den Kunden nach Hause kommt. Auch bei der Kernmarke BMW soll der Product Genius nun abends und am Wochenende in aller Ruhe einen maßgeschneiderten Wagen mit den Kunden konfigurieren.

Spätestens 2011 hat auch bei Mercedes ein gründliches Umdenken eingesetzt. Und wieder war es Asien, genauer die Megacity Tokio, in der nicht nur fahrerlose Autos, sondern auch neue Verkaufskonzepte erdacht wurden. "Mit dem ersten Mercedes Future Talk haben wir die gedanklichen Grundlagen für die Mercedes CES Studie F 015 und die Vision Tokyo gelegt", erzählt Holger Hutzenlaub. Der heutige Leiter des Mercedes-Benz Advanced Designs Deutschland verbrachte 2011 längere Zeit in der extrem verdichteten japanischen Metropole und veranstaltete dort einen Workshop für Kreative, Firmenbosse und Zukunftsforscher.

Das Nachdenken über die Urbanisierung mündete auch im ersten Pop-up-Store der Stuttgarter: Weil Ladengeschäfte in den besten Innenstadtlagen Tokios extrem teuer sind, nutzte Mercedes eine vorübergehende Baulücke, um über Nacht eine Filiale mit den Mitteln des Messebaus zu zaubern. "Dieser Pop-up-Store war schon wegen seines Cafés enorm beliebt bei den Japanern. In lockerer Atmosphäre haben wir dort in einem Jahr auf kleiner Grundfläche tausend Autos verkauft", so Hutzenlaub.

Lassen sich exklusive Hightech-Pkw in einem kleinen Café mit Laufkundschaft besser verkaufen als in einem imposanten Glaspalast mit Vorführwagen und Probefahrten? Händler, die ihr Geld in riesige Neuwagenzentren auf der grünen Wiese investiert haben, reagieren genervt auf diese Idee. Viele Vertriebsexperten gehen aber davon aus, dass die beste Zeit der XXL-Megastores vorüber ist. Künftig werde es eher auf die Top-Innenstadtlagen und die Qualität der digitalen Angebote ankommen, um jüngere, bestens informierte Kunden zu ködern.

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"Be digital or die", warnt Jochen Sengpiehl angesichts dieses Generationswechsels bei den Autokäufern. Unter den Händlern in Europa werde ein Massensterben stattfinden, erwartet der Marketing-Chef von Hyundai Motor Europe: "Ein Kunde kommt im Schnitt nur noch 1,4 Mal zum Händler. Wenn ein Fehler passiert, wird er gar nicht mehr kommen. Es genügt schon, eine Anfrage per E-Mail nicht am gleichen Tag zu beantworten."

Autokauf im Einkaufszentrum

In England können sich die meisten Kunden schon jetzt vorstellen, ein Auto im Internet zu kaufen - oder in einem Einkaufszentrum im Süden Londons. Der englische Hyundai-Händler Rockar betreibt laut Sengpiehl ein digitales Autohaus mit angeschlossenem Ladengeschäft in einer der beliebtesten Malls der britischen Hauptstadt. Das Ergebnis: Über 1000 verkaufte Fahrzeuge im vergangenen Jahr, 95 Prozent der Kunden erwarben zum ersten Mal einen Hyundai. "Von den Firmen im Silicon Valley wie Google oder Apple kann man lernen, den Kunden wirklich in den Mittelpunkt zu stellen. Dafür muss man aber die Datenbanken vereinheitlichen, die bisher auf die Händler, den Vertrieb des Autoherstellers und die Autobanken verteilt sind", so Jochen Sengpiehl. Der erbitterte Kampf um den Kunden findet also längst statt - innerhalb der Marken.

Wie Autokaufen dank digitaler Technik zum Erlebnis werden kann, erprobt Audi demnächst mit 3-D-Datenbrillen. Auf Wunsch kann der Kunde seinen Traumwagen auf dem Mond konfigurieren, wenn er die VR-Brille (Virtual Reality) auf der Nase hat. Ab dem zweiten Quartal dieses Jahres bieten die Audi-eigenen City-Stores und kurz darauf ausgewählte Händler den Spuk im Sitzen an. In der nächsten Ausbaustufe können die Kunden mit der VR-Brille auch um das (virtuelle) Auto herumgehen. Jetzt muss nur noch das Problem der Seekrankheit gelöst werden: Stimmen bei der Mattscheiben-Gaukelei die Signale des Gleichgewichtssinns nicht mit dem überein, was die Augen sehen, drohen Schwindel und Übelkeit. Da treffen Jahrmillionen alte Bewegungsmuster auf einen jungen Techniktrend: Ausgang offen.

© SZ vom 19.03.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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