Crashtest:Fahrassistenten auf Geisterfahrt

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Was übrigbleibt, wenn ein stehendes Hindernis übersehen wird: Der VW Passat hat beim Test der Fahrerassistenzsysteme versagt. (Foto: ADAC)

Abstand und Spur halten? Kann das Auto selbst! Oder auch nicht: Teslas Autopilot patzt im Test genauso wie der Travel Assist von VW.

Von Joachim Becker

Immer wieder derselbe Alptraum: Anlauf nehmen, beschleunigen, ein lauter Knall, dann die Stille nach dem Einschlag. Die Aufprallgeschwindigkeit von 60 km/h lässt von dem stehenden Wagen nicht viel übrig. Beim Test auf dem Fliegerhorst im oberbayerischen Penzing wird nicht nur eine Fahrzeugattrappe zerfetzt. Auch die Illusion vom allzeit aufmerksamen Fahrassistenten kollidiert mit der Realität von Serienfahrzeugen. Trotz konstanter Testbedingungen reagiert der aktuelle VW Passat nach dem Zufallsprinzip: Der Fahrer weiß nie im Voraus, ob der Travel Assist vor dem stehenden Hindernis selbständig bremsen wird oder nicht. Mehr als drei Jahre lang haben die EuroNcap-Sicherheitsexperten in ganz Europa an dem standardisierten Testformat getüftelt. Zu den Partnern gehört auch der ADAC, der die Fahrassistenten über das ausrangierte Flugfeld mit Alpenblick scheucht.

Mit dem Mercedes Benz GLE, dem BMW 3er und dem Audi Q8 erreichten drei Fahrzeuge eine "sehr gute" Bewertung. "Wir sehen sehr große Fortschritte beim assistierten Fahren", betont Volker Sandner, Leiter Fahrsicherheit beim ADAC. "Als wir 2018 den letzten großen Test gemacht haben, lag BMW im unteren Drittel des Teilnehmerfeldes." Ausschlaggebend ist nicht so sehr, dass es sich bei dem Sieger-Trio um drei relativ teure Premiummodelle handelt. Noch wichtiger ist, dass sie jeweils über eine moderne Elektronik-Architektur verfügen. Die hat der Passat nicht, der in dieser Generation seit 2015 gebaut wird. Die Familienkutsche wurde zwar vor einem Jahr überarbeitet. Doch das Infotainmentsystem lässt sich wesentlich einfacher erneuern als die Elektronik zur Umfelderkennung: Mit einer Frontkamera und einem zentralen Frontradar entspricht das System nicht mehr dem Stand der Technik. Teslas Autopilot ist mehrere Generationen voraus, auch weil er von den Kaliforniern durch Software-Updates ständig aufgewertet wird. Um so größer die Überraschung, dass er genauso schlecht abschneidet wie der Oldie aus Wolfsburg.

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Tesla überragt das gesamte Wettbewerbsfeld

Wie kann das sein, da Tesla-Boss Elon Musk für Ende des Jahres das autonome Fahren angekündigt hat - mit genau dem Sensor-Set des getesteten Model 3? Also zurück an den Start: Anlauf nehmen, beschleunigen und der Knall bleibt aus. Das Zielfahrzeug wird frühzeitig erkannt und der Aufprall sicher vermieden. Auch beim plötzlichen Ausweichen eines vorausfahrenden Fahrzeugs kommt das US-Elektroauto souverän und spurtreu vor dem unvermittelt auftauchenden Hindernis zum Stehen. Der Tesla schaut mit drei Kameras jeweils unterschiedlich weit voraus und reagiert mit der 40-fachen Rechenleistung des Vorgängers so frühzeitig, dass keine abrupte Notbremsung nötig wird. Dank der Computer-Power werden die Kameradaten über vielschichtige neuronale Netzwerke an Bord ausgewertet. Während die klassische Bildverarbeitung mangels Rechenleistung lediglich einen einprogrammierten Szenen-Katalog und feste Objektklassen durchrattert, entscheidet die Künstliche Intelligenz für jeden Bildpunkt einzeln, was genau er darstellt. Das ist essentiell, wenn etwa ein Fahrzeug knapp voraus einschert.

Auf die Attrappe, fertig, los: Aus einem Tempo von 60 km/h bremst das Tesla Model 3 vor dem Dummy, der für Kamera und Radar wie ein richtiges Auto wirkt. (Foto: ADAC)

Dieses Beispiel gehört zwar (noch) nicht zu den Testszenarien von EuroNcap, trotzdem überragt der Autopilot in der Auswertung das gesamte Wettbewerbsfeld. Selbst auf dem alten Penzinger Flugfeld mit vielen, teils widersprüchlichen Spurmarkierungen findet er erstaunlich souverän einen Weg. In gewisser Hinsicht macht der Autopilot seinen Job zu gut: Das System reduziert die Geschwindigkeit vor Kurven und Kreuzungen und überwacht beim Überholen den toten Winkel so zuverlässig, dass es den Fahrer in trügerischer Sicherheit wiegt. Eine wachsende Zahl von Kollisionen mit dem aktivierten System verdeutlicht das Problem: Außerhalb des Testgeländes leisten sich auch Tesla-Modelle ähnlich gravierende Pannen wie der VW Passat. Offenbar kommt es zu Systemstörungen, die der Autopilot nicht schnell genug erkennt, um seinen Fahrer rechtzeitig zu warnen. Weil dieser nicht aufmerksam genug ist, kommt es immer wieder zu tödlichen (Auffahr-)Unfällen mit dem eingeschalteten Fahrerassistenzsystem.

Aufprall auf die Fahrzeugattrappe: Der VW Passat erkennt den Dummy bei 60 km/h nicht zuverlässig und bremst zu spät oder gar nicht. (Foto: ADAC)

Tesla muss sich vorhalten lassen, überzogene Erwartungen zu schüren. Ein deutsches Gericht hat jüngst Werbeaussagen wie etwa "Autopilot inklusive", "Volles Potenzial für autonomes Fahren" oder "Bis Ende des Jahres: ... automatisches Fahren innerorts" als irreführend verboten. Im deutschen Modell-Konfigurator finden sich diese Formulierungen aber immer noch. Genauso unbeirrt reagieren viele Tesla-Fans auf das schlechte EuroNcap-Ranking. Manche Wortmeldungen im amerikanischen Tech-Portal Electrec wittern eine Verschwörung der deutschen Autohersteller. Die meisten Kommentare geben sich allerdings betont cool, schließlich bestätige der Test ja, dass die Kalifornier Technologie-Führer seien: "Tesla wegen der mangelhaften Fahrerüberwachung abzuwerten, ist richtig", lautet ein lapidarer Kommentar. Die Automarke werde wie gewohnt mit weiteren Verbesserungen reagieren: "Die wichtigste Verbesserung ist und bleibt das autonome Fahren - und danach die Entfernung des Lenkrads."

Ist Teslas Autopilot zu gut? Der Fahrassistent vermittelt ein trügerisches Gefühl von Sicherheit

In Frage gestellt wurde diese Ansicht nicht, schließlich treibt Tesla die Branche schon seit längerem vor sich her. VW will jetzt 200 Kameraspezialisten von Hella Aglia für angeblich 100 Millionen Euro übernehmen, um aufzuholen. Letztlich geht es bei dem Technologie-Wettlauf um künftige digitale Geschäftsmodelle: Mit den (Kamera-)Daten aus der Autoflotte sollen immer neue Software-Services entwickelt werden. Genauso wie es Tesla vormacht. "Es war durchaus absehbar, dass die Bewertung des Autopiloten zu einer konträren Diskussion führen kann", sagt Andreas Rigling, "aber wir sind überzeugt, dass Assistenten auf dem jetzigen Niveau - solange sie eben nur Assistenten sind - nur mit einer überzeugenden lückenlosen Fahrereinbindung funktionieren", so der ADAC-Projektleiter Aktive Sicherheit. Die Tester werfen dem Autopiloten mangelnde Kooperationsbereitsschaft vor, weil er den Dienst quittiert, sobald er vom Fahrer übersteuert wird. Zum Punktabzug führte auch die fehlende betrugssichere Fahrerüberwachung. Dabei gehört eine Innenraumkamera zur Serienausstattung des Model 3, allerdings ist sie noch nicht aktiviert. Deshalb betonen die Tester, dass Tesla den Autopiloten (und dessen Bewertung) ganz einfach über ein Software-Update per Luftschnittschnelle verbessern könne.

Stehende Objekte sind für Radar-Systeme generell schwieriger zu erkennen als bewegte. Das ist ein Grund, warum es auch mit Teslas Autopiloten in der Praxis immer wieder zu Auffahrunfällen kommt. (Foto: ADAC)

Das Ringen um die Mensch-Maschine-Schnittstelle könnte ausgehen, wie so viele Debatten in der Geschichte von EuroNcap. Letztlich haben sich die Autohersteller den Forderungen nach mehr Sicherheit stets gebeugt. Electrec veröffentlichte jüngst ein Hacker-Protokoll von Teslas Kamera-Software: Alle Blickabwendungen des Fahrers können im Innenraum erkannt werden. Wenn Tesla, wie angekündigt, ins Versicherungsgeschäft einsteigt, muss schon aus Haftungsgründen die Kamera aktiviert werden. Und beim sogenannten "Full Self Driving" wird der Fahrer erst Recht überwacht. Ignoriert er die Aufforderung zur Übernahme der Fahraufgabe, hat er bei einem Unfall den schwarzen Peter.

© SZ vom 10.10.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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