Elektroautos:Start-ups treiben die Elektromobilität voran

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Eines der interessantesten E-Auto-Start-ups, Sono Motors, sitzt in München und hat kürzlich mit dem Sion sein Erstlingswerk vorgestellt. (Foto: Sono Motors GmbH/obs)

Nicht etwa die großen Hersteller: Mit Unterstützung der Zulieferer bringen immer mehr quirlige Firmen erschwingliche E-Autos auf den Markt. Und ändern damit die Spielregeln der Branche.

Von Joachim Becker

Willkommen in der Hölle: Deutschland hat den Dieselskandal, Elon Musk hat das Model 3. Während der Dieselabsatz einbricht, kann sich der Tesla-Boss vor Aufträgen kaum retten. 500 000 Vorbestellungen für die Elektrolimousine seien die "Produktions-Hölle", ächzt Musk: Jeder Lieferengpass bei einem der 10 000 Bauteile würde die Fertigung aufhalten. Viel hängt davon ab, dass von Dezember an monatlich 20 000 Model 3 in Fremont, Kalifornien vom Band rollen. Damit wäre Teslas erster Masterplan abgearbeitet: 2006 skizzierte Elon Musk den Weg zu einem erschwinglichen Volumenmodell. Über den Erfolg staunt selbst der Gründer: "Die Liste der erfolgreichen Auto-Start-ups ist kurz."

Dieser Warnung zum Trotz lockt die Tesla-Story neue Start-ups wie Sono Motors in den Ring. Zufall oder nicht: Einen Tag vor der Erstauslieferung des Model 3 stieg die Party im Münchner Gründerzentrum. 700 Gäste waren gekommen, um die Premiere des Sion zu feiern. 20 000 Euro soll das viertürige E-Mobil inklusive Akku kosten, fast halb so viel wie das Model 3, der BMW i3 oder der Opel Ampera-e. Dafür sind die Anmutung und die Leistungswerte auch deutlich bescheidener.

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Wie Elon Musk leidet Laurin Hahn bei der Premiere sichtlich unter Lampenfieber. Wie sein Vorbild ist auch der Gründer von Sono Motors kein blendender Redner. Aber einer, dem man seine Vision glaubt: "Wir wollen das Rad nicht neu erfinden, sondern bestehende Komponenten nutzen, um die Elektromobilität erschwinglich zu machen."

Renault hat mit der Billigmarke Dacia gezeigt, wie es geht: Statt im Innovationswettlauf hohe Kosten zu verursachen, werden nur bewährte Teile aus dem Konzernregal verwendet. Die Technik von gestern macht die Modelle wesentlich erschwinglicher als die der Konkurrenz. Für den chinesischen Markt ist eine Elektro-Version des indischen Crossover-Modells Kwid in Arbeit - unter dem Markennamen Renault und natürlich als Preisbrecher im Einstiegssegment. Dabei liegt Dacia mit zweistelligen Margen nur knapp hinter Porsche.

Die Start-ups nutzen komplette Baukästen der Zulieferer

Mit einem ähnlichen Plattformdenken wollen auch die führenden Zulieferer demnächst das große Geld verdienen: Firmen wie Bosch, Continental, ZF und Magna haben den Schwenk zur Elektromobilität längst durch Milliarden-Investitionen vorbereitet. In den vergangenen fünf Jahren wurden nicht nur E-Motoren, sondern komplette Fahrwerks-Baukästen inklusive Antriebsstrang entwickelt.

Solche fertigen Systeme, die alle Crash-Anforderungen erfüllen und sich in der Größe skalieren lassen, sind eine Jahrhundert-Chance für Start-ups. Angesichts einer Flut von Wettbewerbern haben sie keine zehn Jahre Zeit, um wie Tesla auf Stückzahlen zu kommen. Sono Motors genügen 5000 Vorbestellungen bis Ende 2017, um in Serie gehen zu können. Ein derartiges Volumen ist für große Zulieferer uninteressant. Es sei denn, es gibt einen funktionierenden Markt für "Carry-over-Teile", wie Laurin Hahn es nennt: Nicht ein einzelnes Start-up löst die Zeitenwende aus, sondern eine Flut von neuen Firmen, die mehr oder weniger auf dieselbe Technik setzen.

Es ist diese Form von Schwarmintelligenz, die derzeit eherne Grundregeln der Branche infrage stellt. "Wir sehen, dass sich ein neuer Pragmatismus bei Stadtbewohnern durchsetzt. Back to basics, heißt das Motto", erklärt Markus Heyn, Mitglied der Bosch-Geschäftsführung. "Mobilität muss hier vor allem eines können: Menschen zuverlässig und auf dem schnellsten Weg ans Ziel bringen. Gerade Großstädter wollen eine einfache und bezahlbare Alternative, die stress- und emissionsfrei ist."

Der weltweit größte Zulieferer setzt zunächst auf Elektroroller, weil sie im urbanen Verkehr überall durchkommen: "1998 wurden noch überschaubare 58 000 Stück verkauft. Mittlerweile sind es weit über 30 Millionen pro Jahr. Allein auf chinesischen Straßen surren rund 200 Millionen dieser Roller", sagt Heyn. Platz sei in der kleinsten Hütte, das gelte auch für neue vierrädrige Angebote, die zum Beispiel auf dieselbe 48-Volt-Technik zurückgreifen wie die Motorroller.

Klein, grün und leichtfüßig: Alle Welt sucht nach einem sicheren, batteriegetriebenen Wägelchen, das auch Pendler lärm- und emissionsfrei voranbringt. Mercedes-Ingenieure grübelten schon in den Siebzigerjahren über einen 2,50-Meter-Däumling für die Innenstadt. Swatch-Erfinder Nicolas Hayek zeigte dann in den Neunzigern mit poppigen Design-Ideen, wie die Kunden für ein solches City-Coupé zu gewinnen wären. Viele, viele bunte Smarties auf Rädern sollten die Verkehrsprobleme der verstopften Großstädte lösen.

Auch in Aachen entsteht ein E-Auto-Schnäppchen

Hayek, der sein Geld mit Billiguhren gemacht hatte, träumte von Swatch-Mobilen, die jung, erschwinglich und umweltfreundlich sein sollten. Doch die Massen dachten zunächst gar nicht daran, sich in rollende Telefonzellen zu zwängen. Auch die batteriegetriebene Smart-Variante ließ lange auf sich warten. Nach wackeligen Lauflernversuchen stand der erste Smart Zweisitzer ohnehin auf der Kippe. Doch der damalige Mercedes-Chef Jürgen Hubbert spendierte ein sicheres Fahrwerk und bessere Verarbeitungsqualität. Gerechnet hat sich der finanzielle Kraftakt in den ersten zehn Jahren allerdings nicht.

Auch Sono Motors wollte mit der Micro-Variante "Urban" starten. Der Zweitürer sollte ursprünglich 12 000 Euro zuzüglich Batterie kosten. Doch das Interesse der Crowdfunding-Community war gering. Am Ende blieb der "Extender" übrig, der drei Personen auf die Rückbank quetschen kann. Ein echtes Schnäppchen ist der Viertürer mit 4,11 Metern Länge jedoch nicht. Einzig der E.Go Life aus dem Team der RWTH Aachen bleibt mit 3,35 Meter Länge der rollenden Öko-Kiste treu. Im Jahr 2018 soll der Zweitürer für 16 000 Euro inklusive Batterie starten - mit 48-Volt-Technik von Bosch.

Mikromobile brauchen wenig Parkraum, das macht sie attraktiv für dichte Ballungsräume. Durchsetzen konnten sie sich trotzdem nicht. Einerseits, weil sie die immer schärferen Crash-Anforderungen nur schwierig erfüllen können. Noch wichtiger ist aber, dass mit solchen City-Flöhen kein Blumentopf zu gewinnen ist. Autozwerge wie Audis Urban Concept oder der zigarrenförmige Zweisitzer von Opel blieben bloße Studien. Beide Mini-Stromer standen auf der IAA 2011. Seitdem verstaubt der Aufbruch in eine "neue Ära der Mikromobilität", während fette SUV zum Trend wurden. Auch Toyota konnte sich nicht zur Serienproduktion der dreirädrigen Elektro-Studie i-Real durchringen.

Die Nachfrage nach 48-Volt-Systemen steigt rasant

Doch die Spielregeln ändern sich. Controller können mit einer bestechend neuen Industrie-Logik rechnen: Die Nachfrage nach 48-Volt-Systemen steige rasant - auch durch völlig neue Autofirmen besonders aus Asien, verrät Markus Heyn: "Pro Jahr kalkulieren wir mit einer internen Wachstumsrate von deutlich über 100 Prozent." Basis für das Glück in der Nische sind ironischerweise die Verbrauchs- und Emissionsprobleme der Verbrennungsmotoren. Weil 48-Volt-Micro-Hybride zum Standard werden, sinkt der Preis bei den Komponenten. Reichen bis zu 28 kW Leistung einer E-Maschine nicht aus, bekommt der City-Flitzer eben noch eine zweite spendiert.

Der Zulieferer Mahle präsentiert ein derartiges Konzeptfahrzeug im September auf der IAA in Frankfurt: "Die Spannungslage unterhalb des Grenzwertes von 60 Volt erlaubt den Verzicht auf kostenintensive Schutzmechanismen gegen elektrische Gefährdung. Daher sind die Systemkosten deutlich geringer als bei fahrleistungsgleichen Hochvolt-Anwendungen." Sono Motors plant noch mit 400 Volt und einer sportlichen Leistung von 80 kW. Doch der Kostendruck könnte auch in München zum Umdenken führen.

© SZ vom 05.08.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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