Diesel-Fahrverbote:Warum Stuttgart bald Dieselautos aussperren muss

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Autos fahren an einer Feinstaub-Messstation in Stuttgart vorbei. (Foto: Daniel Naupold/dpa)
  • Das Verwaltungsgericht Stuttgart hält allein Fahrverbote für ein wirksames Mittel, um die Stickoxid-Belastung in der Luft schnellstmöglich zu reduzieren.
  • Die Richter wollen sich nicht darauf verlassen, dass die von der Autoindustrie angebotenen Software-Nachrüstungen die nötige Wirkung entfalten.
  • Doch noch ist unklar, was Fahrverbote bringen, wie sie kontrolliert werden sollen - und was das Urteil für Deutschland insgesamt bedeutet.

Von Thomas Harloff

Stuttgart wird immer mehr zur Stadt mit Vorbildfunktion. Zumindest in Umweltfragen. Schon seit zwei Jahren gibt es dort - einmalig in Deutschland - einen Alarm, der immer dann ausgelöst wird, wenn die Feinstaubbelastung zu groß ist. Und schon am 1. Januar 2018 könnte Stuttgart die erste Stadt sein, die temporäre und lokal begrenzte Fahrverbote für ältere und besonders schmutzige Dieselautos verhängt.

Nun hat Wolfgang Kern, Richter am Stuttgarter Verwaltungsgericht, entschieden, dass der erst Anfang Mai nachgeschärfte Luftreinhalteplan des Landes Baden-Württemberg unzureichend ist. Allein Diesel-Fahrverbote seien ein wirksamer Schutz gegen die weiterhin mit zu vielen Schadstoffen belastete Luft der Landeshauptstadt, so das Gericht. Zwar enthält der vorgelegte Plan Fahrverbote, diese seien aber nicht umfassend genug. Zudem sei der Gesundheitsschutz höher zu bewerten als die Interessen der Diesel-Fahrer.

Luftverschmutzung
:Stuttgarter Verwaltungsgericht billigt Diesel-Fahrverbote

Die Richter halten Software-Nachrüstungen für keine geeignete Maßnahme, um die Schadstoffe in der Stuttgarter Luft zu verringern.

Es ist das vorläufige Ende eines Rechtsstreits, den die Deutsche Umwelthilfe (DUH) suchte. Die DUH verklagte Baden-Württemberg, weil es den Luftreinhalteplan und die Bemühungen des Landes, ihn umzusetzen, für zu lasch hält - vor allem in Hinblick auf Stickstoffoxide. Stuttgarts Messstellen verzeichnen regelmäßig viel zu hohe Werte. Das Stuttgarter Neckartor gilt als der dreckigste Ort Deutschlands. Die dortigen Werte lagen 2016 im Jahresmittel bei 82 Mikrogramm pro Kubikmeter; der EU-Grenzwert liegt bei 40. Da Dieselfahrzeuge hauptverantwortlich für die Stickoxidbelastung in Innenstädten sind, will die DUH sie von dort verbannen. Und zwar nicht nur ältere Autos, sondern auch die aktuellen Euro-6-Diesel. Schon öfter forderte sie Verkaufsverbote für Dieselautos oder den Entzug der Typzulassung.

Interessant ist: Als die Landesregierung am 5. Mai die letzte Version des Luftreinhalteplans vorstellte, war ihre Position gar nicht so weit von jener der DUH entfernt. "Im Interesse der Gesundheit der Anwohnerinnen und Anwohner sind Beschränkungen für ältere Dieselfahrzeuge unerlässlich", sagte Verkehrsminister Winfried Hermann damals. Und meinte damit, dass Dieselautos, die maximal die Abgasnorm Euro 5 erfüllen, an Tagen mit Feinstaubalarm nicht mehr in Stuttgarts Innenstadt fahren dürfen. Fahrverbote waren also fast schon beschlossen. "Sie gelten ab 1. Januar 2018, das ist der Plan", ergänzte der Grünen-Politiker.

Die Industrie bietet Software-Lösungen an

Doch schon damals ließen Hermann sowie Ministerpräsident und Parteifreund Winfried Kretschmann der Autoindustrie die Tür einen Spalt weit offen. Die Autobauer sollten "wirksame Nachrüstlösungen" anbieten, die mindestens so viel bringen wie Fahrverbote. "Man wäre doch blöd, dass man dann auf den Verboten beharrt, wenn die Industrie glaubhafte Konzepte vorlegt, die belegen, dass es auch ohne sie geht", sagte Hermann im Mai. In den vergangenen zweieinhalb Monaten scheint sich die vage Hoffnung in maximales Vertrauen verwandelt zu haben. "Wir wollen Fahrverbote in Stuttgart vermeiden - und ich bin zuversichtlich, dass das gelingt", sagte Kretschmann kurz vor der Urteilsverkündung. Eine konkrete Zusage der Industrie hat er bis jetzt nicht, was Richter Kern im Verfahren auch bemängelte.

Nicht nur in Baden-Württemberg, auch im Nachbarland Bayern und auf Bundesebene schwenkte die Politik in der Zwischenzeit auf den Kurs der Autoindustrie um. Als Münchens Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) Mitte Juni Diesel-Fahrverbote für München ins Spiel brachte, riefen Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer und Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt (beide CSU) Audi und BMW eilig zu Gesprächsrunden zusammen. Die Erkenntnisse dieser Treffen: Man könne das Abgasverhalten von Euro-5-Dieseln, die etwa 40 Prozent des gesamten Dieselbestandes ausmachen, mit Software-Updates verbessern. Zumindest so, dass der Effekt mindestens so wirksam sei wie Fahrverbote. Die Rechnung zahlen, so die Zusicherung, Audi und BMW selbst. Daimler und VW holen außerdem drei beziehungsweise vier Millionen Diesel in die Werkstätten, um sie per Elektronik auf sauber zu trimmen. Tenor der Politiker: "Läuft doch, die Industrie bewegt sich. Fahrverbote braucht es nicht mehr."

Richter Kern hat offensichtlich weniger Vertrauen in die Industrie. Das Land dürfe sich bei der Luftreinhaltung nicht darauf verlassen, dass die Autoindustrie handelt. Auch Deutschlands führende Autoexperten zweifeln an den Nachrüstungsplänen: "Ein Software-Update bringt gar nichts", sagt Ferdinand Dudenhöffer von der Universität Duisburg-Essen. DUH-Geschäftsführer Jürgen Resch spricht von "Pseudo-Software-Updates".

Und selbst wenn die Nachrüstung älterer Dieselautos Fortschritte bringen sollte, dann sind sie nicht groß genug. Fachleute schätzen, dass sich die Stickoxid-Emissionen per Software-Update im Idealfall halbieren lassen. Doch selbst dann würden Euro-5-Diesel mehr von den Schadstoffen ausstoßen, die als Umweltgift gelten und die Atemwege schädigen, als heute erlaubt ist: Die Abgasnorm erlaubte 180 Milligramm pro Kilometer, der Euro-6-Grenzwert liegt bei 80. Konkret bezogen auf das Stuttgarter Neckartor halten Experten des Landes eine um neun Prozent geringere Schadstoffbelastung für möglich - und das auch nur "im allerbesten Fall".

Sind Fahrverbote wirklich umsetzbar?

Das Hauptproblem bleibt die riesige Diskrepanz zwischen dem Abgasverhalten auf dem Prüfstand und im realen Verkehr. Nach Angaben des Umweltbundesamtes stoßen Euro-5-Diesel auf der Straße durchschnittlich 906 Milligramm Stickoxide pro Kilometer aus - mehr als das Fünffache des erlaubten Wertes. Dass sich auch viele moderne Diesel weit von den offiziellen Angaben entfernen, weiß man spätestens seit den Nachmessungen, die der VW-Abgasskandal nach sich gezogen hat. Dafür gibt es sogar den offiziellen Segen der Politik: Im realen Verkehr darf die Abgasreinigung heruntergefahren werden, um mögliche Motorschäden abzuwenden. Und weil mobile Messgeräte womöglich etwas ungenau sind, dürfen Autos selbst dann mehr als doppelt so viele Stickoxide ausstoßen, sobald auch bei der Typzulassung nicht mehr nur im Labor, sondern auch auf der Straße gemessen wird.

All diese Zahlen und Prognosen schüren berechtigte Zweifel, ob Software-Nachrüstungen tatsächlich eine Hilfe wären für Stickoxid-geplagte Stadtbewohner. Aber sind Fahrverbote ein geeignetes Mittel? Verwaltungsrichter Kern ist sich sicher, dass sie umsetzbar sind. Doch genau daran gibt es Zweifel. Allein, wie überprüft werden soll, welches Auto in die Stadt fahren darf und welches nicht, ist völlig ungeklärt. Vielen Autos sieht man von außen nicht einmal an, ob sich in ihnen ein Diesel- oder Benzinmotor verbirgt. Geschweige denn, welche Abgasnorm es erfüllt. Das dafür nötige Instrument, das Euro-6- von älteren Dieseln unterscheiden könnte, die blaue Plakette, hängt in den Untiefen des politischen Betriebes fest. Umweltministerin Barbara Hendricks (SPD) will sie, die Grünen sowieso, aber Verkehrsminister Dobrindt will sie auf keinen Fall. Ob sie je kommt, weiß keiner.

Das Urteil erhöht den Druck

So symbolträchtig das Stuttgarter Urteil auch ist, so schwer ist seine tatsächliche Relevanz derzeit einzuschätzen. Allein deshalb, weil es in höheren Instanzen noch angefochten werden kann. Ein Sprecher des Verkehrsministers sagte, die Landesregierung wolle das Urteil erst sorgfältig prüfen. Er könne jetzt noch nicht sagen, welche Schritte einzuleiten und wie wahrscheinlich Fahrverbote schon vom 1. Januar an seien.

Bislang ist die Entscheidung nicht mehr als ein Signal an den Rest der Republik. Vor allem in Richtung Berlin, wo am kommenden Mittwoch im Bundesverkehrsministerium ein Gipfel mit den Autoherstellern stattfindet. Gastgeber sind Ressortchef Alexander Dobrindt (CSU) und die Bundesumweltministerin Barbara Hendricks (SPD). Zudem sind weitere Mitglieder des Bundeskabinetts und einige Ministerpräsidenten der Länder dabei - nicht jedoch Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU).

Vielleicht demonstriert die Autoindustrie dort einen größeren Willen als bislang, das Dieselproblem zu lösen. Möglicherweise macht ein weiteres Urteil, nämlich das des Bundesverwaltungsgerichts in Leipzig im Herbst, den Weg für bundesweite Fahrverbote frei. Denn auch nach dem Stuttgarter Urteil bleiben viele Konjunktive bestehen. Aber der Druck auf die Allianz aus Politik und Autoindustrie hat zumindest zugenommen.

Mit Material der Agenturen

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