Abgasskandal:BMW unter Verdacht

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Portables Emissionsmessgerät im Kofferraum: Die Deutsche Umwelthilfe überprüfte im Mai 2017 die Stickoxid-Emissionen des BMW 750d xDrive im realen Fahrbetrieb. (Foto: DUH/Thomas Steinbrückner)

Trotz Software-Update stößt ein Dieselmodell der 7er-Reihe von BMW zu viel Stickoxid aus. Eine Spurensuche, die tief in die Abgastechnik führt.

Von Joachim Becker

Ausgerechnet das Topmodell, der ganze Stolz der Dieselentwickler in Steyr: Bis 2012 hatten sie 380 PS aus sechs bierglasgroßen Brennräumen gekitzelt. Laufruhig und relativ leise eroberten ihre Sechszylinder-Diesel auch die Luxusklasse. Nie zuvor hatte ein Dreiliter-Motor die Kraft eines Achtzylinders mit dem Verbrauch eines Vierzylinders kombiniert. Nebenbei ließen die Ölbrenner aus Oberösterreich fast jeden Sportwagen an der Ampel stehen. So potent der hochaufgeladene Diesel war, seine schmalbrüstige Abgasreinigung war es zu jener Zeit nicht.

Auf dem Papier erfüllte der BMW 7er bereits 2012 die Euro-6-Abgasnorm - zwei Jahre vor deren offizieller Einführung. Was die Münchner unter dem wolkigen Namen "BluePerformance" verkauften, hält einer Überprüfung in der Praxis aber nicht stand. 2018 ordnete das Kraftfahrtbundesamt (KBA) einen Zwangsrückruf für die leistungsstärksten BMW Diesel-Limousinen an (siehe Kasten). Die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft München 1 konnten den Betrugsverdacht jedoch nicht erhärten: Es hätten sich keine Hinweise darauf ergeben, "dass bei den Modellreihen tatsächlich prüfstandsbezogene Abschalteinrichtungen verbaut wären".

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Verstummt ist die Kritik am BMW 750 d xDrive, Baujahr 2014, trotzdem nicht. Ausgerechnet das KBA nährte zu Anfang dieses Jahres erneut Zweifel an einer zuverlässigen Abgasreinigung. Vor dem Zwangsrückruf lag der Stickoxid-Ausstoß (NOx) bei 608 mg/km. Nach dem verpflichtenden Software-Update war er mit 564 mg/km noch immer sieben Mal höher als der zulässige Prüfstandswert (80 mg/km).

Wie passt das zu den Bayerischen Motorenwerken, die stets ihre Technologieführerschaft und Gesetzeskonformität betont haben? "Grundsätzlich gilt, Fahrzeuge der BMW Group werden nicht manipuliert und entsprechen den jeweiligen gesetzlichen Anforderungen", so ein Unternehmenssprecher. Zudem würden die BMW-Fahrzeuge in der Praxis etwa 40 Prozent weniger Stickoxide ausstoßen als der Flottendurchschnitt in Deutschland. Dieser Wert liegt für Euro-6-Dieselmodelle laut Umweltbundesamt bei 507 mg/km. Der Stolz der BMW-Dieselentwickler in Steyr schneidet aber nicht besser, sondern schlechter ab.

2012 war der BMW 7er mit Selbstzünder vom Öko-Trend-Institut für Umweltforschung als Bester seiner Klasse ausgezeichnet worden. Spötter sprachen indes vom "Schlangenmotor": Die Top-Variante mit drei Turboladern ist in einem Geflecht von Zu- und Abluftleitungen gefangen. Viel Aufwand, um den Kunden effiziente Dynamik zu verkaufen. Bei einer Überprüfung des Diesel-Champions in einer Werkstatt nahe Bamberg zeigten sich allerdings gravierende Probleme. Aus dem schmutzglänzenden Blechtopf, den ein Mechaniker aus dem Motorraum eines BMW 750d xDrive schraubte, bröselte Wabenmaterial. Ein Beweissicherungsgutachten, das der SZ vorliegt, kommt zu einem eindeutigen Befund: Chronisches Versagen der Abgasreinigung nach einer Laufleistung von lediglich 56 000 Kilometer. "Die Einbaulage des NOx-Speicherkatalysators ist Ursache für dessen Beaufschlagung mit Abgastemperaturen von weit über 500 Grad", heißt es in dem Schreiben, das bei den Justizbehörden Bamberg am 30. Januar dieses Jahres einging. Fazit des Gutachtens: Aufgrund thermischer Überbeanspruchung sei das Katalysator-Wabenmaterial beschädigt. Zusammen mit Rußabscheidungen an der Oberfläche sei die NOx-Minderung "stark eingeschränkt oder ganz ausgeschlossen".

BMW bestreitet, dass es bei der Baureihe ein chronisches Katalysator-Sterben gebe. Unbestritten bleibt aber, dass die spezielle Beschichtung des Katalysators in den Folgejahren verbessert wurde, um langzeitstabiler zu werden. An der motornahen Einbaulage halten sie in Steyr bis heute fest: Die Blechbüchse enthält neben einem NOx-Speicherkatalysator auch einen Partikelfilter. Direkt an der heißen Auslassseite kommt das Duo schnell auf Betriebstemperatur. Außerdem erzeugt das kompakte Reinigungssystem wenig Abgasgegendruck: Der Motor kann freier ausatmen und verbraucht weniger Kraftstoff. Wird der Reihensechszylinder aber richtig gefordert, ist Feuer unter der Haube.

Man könnte es auch so sagen: Der kleine NOx-Speicherkat ist so angeordnet, dass er bereits kurz nach einem Kaltstart mit hohen Temperaturen beaufschlagt wird. Dadurch kann er Stickoxid in den ersten Fahrminuten (bei behutsamer Fahrt) besonders effektiv speichern. Steigen die Motorleistung und Temperaturen jedoch rapide, wird die Reduzierung des Reizgases zu unkritischem Stickstoff erschwert. Das würde erklären, warum der BMW 750 d xDrive beim unrealistisch niedrigen Durchschnittstempo des NEFZ-Prüfzyklus (34 km/h) viel sauberer erscheint, als er auf der Straße tatsächlich ist. Das KBA verkneift sich dazu jeden Kommentar. Schließlich will die Behörde die "Wirksamkeit von Software-Updates zur Reduzierung von Stickoxiden bei Dieselmotoren" beweisen.

Alles unter Kontrolle, so der Tenor des 140-seitigen Berichts von Anfang dieses Jahres. Ausgiebige Kontrollmessungen hätten eine durchschnittliche Verbesserung um 41 Prozent bei Modellen mit einem Zwangsrückruf ergeben. Warum es beim BMW 750 d xDrive nur sieben Prozent sind, bleibt ungeklärt. Einige Experten halten den verrußten Blechtopf im BMW 750 d xDrive deshalb für das Beweisstück in einem Wirtschaftskrimi. "Nach unseren Messungen wurde der NOx-Speicherkatalysator durch die ,vertauschte' Software nur zwei Mal nach einem Kaltstart regeneriert", sagt der Katalysator-Spezialist Martin Pley, "dies ist nach meinem Wissen auch die illegale Funktion, die den Rückruf des KBA begründet. Erstaunlich ist nur, dass die NOx-Emissionen auch nach dem Softwareupdate nicht besser werden, was für einen konstruktiven Fehler in der Abgasreinigung spricht."

Solche konstruktiven Mängel waren kein Gegenstand der staatsanwaltlichen Untersuchungen gegen BMW. In einem Rückrufschreiben an die Kunden sprach das Unternehmen von einem Fehler in der Bedatung: "Irrtümlicherweise wurden Dateneinträge aus einem Software-Stand übernommen, der für Fahrzeuge mit einem anderen Abgasreinigungssystem entwickelt worden war. Dies führt bei längeren Fahrten zu erhöhten NOx-Emissionen, da die Regeneration des NOx-Speicherkatalysators nicht wie vorgesehen erfolgt." Nach einjährigen Untersuchungen schloss sich die Staatsanwaltschaft dieser Argumentation an, verhängte aber ein Bußgeld von 8,5 Millionen Euro: Der Autohersteller habe seine Aufsichtspflicht beim Erstellen einer neuen Software-Version verletzt. Eine Ordnungswidrigkeit, mehr nicht.

Dabei ist die Ursache des Abgasskandals und der Software-Manipulationen in vielen Fällen eher die mangelhafte Hardware: Die Autohersteller bauten nur an Technik ein, was für die Typprüfung anhand der jeweiligen Abgasnorm unbedingt nötig war. Die modernen Dieselmotoren waren ohnehin schon teuer genug. Mit Partikelfilter, Direkteinspritzung und Hochaufladung waren sie den meisten Ottomotoren zehn Jahre voraus. Trotzdem fuhren sie bei den Stickoxidwerten hinterher. Kunden und Kommunen glaubten die Werbesprüche vom Diesel, der so sauber wie ein Benziner sei - zu ihrem eigenen Schaden. "Wir hätten schon längst die Grenzwerte in den Städten einhalten können, wenn ältere Diesel-Pkw sauber gewesen wären", klagt Dirk Messner, "und zwar nicht nur auf dem Prüfstand, sondern real auf der Straße", so der Präsident des Umweltbundesamtes (UBA). Aktuell sind 19 Städte in Deutschland wegen hoher NOx-Werte von Fahrverboten bedroht. Wenn alle Daten ausgewertet sind, könnte die Zahl bis Mai noch auf 25 bis 30 steigen.

BMW weist alle Schuld von sich: Alles legal, von Straßentests (Real Driving Emissions - RDE) sei bei den ersten Stufen der Euro-6-Abgasnorm keine Rede gewesen. Ob sich diese Rechtsposition durchhalten lässt, wird wohl auch eine Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs zur Abgasthematik in diesem Frühjahr beeinflussen. Die Autohersteller wussten schon vor mehr als zehn Jahren, wie ein wirklich sauberer Diesel auszusehen hat. Seit 2009 verkaufte auch BMW einige Tausend "Clean Diesel" in den USA. Ohne die Abgaswäsche mit Hilfe von Harnstoff (AdBlue) waren die strengen kalifornischen Emissions-Grenzwerte nicht zu erfüllen. Während der Serienentwicklung des BMW 750 d xDrive gab es also schon Erfahrungen aus dem Praxiseinsatz von sauberen SCR-Systemen. In Deutschland lobten Journalisten hingegen, dass BMW die Euro-6-Abgasnorm "sogar ohne zusätzliche Harnstoffeinspritzung unterbieten" könne. Schließlich wollten die meisten hiesigen Kunden kein zusätzliches Betriebsmittel einfüllen. Und die Tankstellen-Ketten sträubten sich anfangs, zusätzliche Anlagen für die Betankung mit der Harnstofflösung zu installieren.

Ein Jahr nach dem Start des BMW 750 d xDrive brachte BMW den sauberen Diesel nach Europa: Der BMW X 5 M50 d ging im August 2013 mit der Adblue-Abgaswäsche an den Start - zusätzlich zu einem NOx-Speicherkat. Die Triturbo-Limousinen liefen aber noch bis 2015 mit der einstufigen Abgasreinigung vom Band: Für insgesamt gut 10 000 Fahrzeuge lohnte sich die Umrüstung auf die erweiterte Technologie nicht: Zu den Kosten für den zusätzlichen SCR-Katalysator im Unterboden wäre auch die aufwendige Absicherungs- und Prüfroutine in Steyr gekommen. Auch heute wollen die dortigen BMW-Ingenieure nichts von einer Nachrüstung wissen: Zu viel Aufwand für alte Autos, die zumindest den Labortest bestanden haben.

© SZ vom 29.02.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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