Tägliche Realität: Manchmal stehen Trucker mehr im Stau, als dass sie fahren.
(Foto: dpa)Was ist bloß mit den Helden der Landstraße los? Statt auf überfüllten Rastplätzen verbrannte Bratkartoffeln vom Gaskocher zu futtern, sitzen sie am Feierabend lieber im heimischen Wohnzimmer. Die Flucht der stolzen Fernfahrer in den regionalen Verteilerverkehr gilt als Krisensymptom. Auch der Nachwuchs hält es eher mit einer ausgewogenen WorkLifeBalance als mit den Pin-ups aus dem Pirelli-Kalender: 70 Prozent bevorzugen den Nahverkehr als zukünftigen Einsatzbereich, hat die neue ZF-Zukunftsstudie Fernfahrer 2.0 ermittelt.
Schon länger geistert das Phantom des Fahrermangels durch die Branche, obwohl Spediteure und Billigkräfte aus Osteuropa nach Deutschland drängen. "Ein Drittel der 430 000 Lkw-Fahrer in Deutschland ist älter als 53 Jahre, in den nächsten zehn Jahren gehen jährlich rund 25 000 Lkw-Fahrer in Rente", warnt Andreas Schmid, "selbst mit rund 11 500 Quereinsteigern pro Jahr ergibt sich eine erhebliche Deckungslücke, weil die Ausbildung von jungen Fahrern jahrelang vernachlässigt wurde", so der Leiter Mercedes-Benz Vertrieb Lkw Deutschland.
Einer der härtesten Jobs an der Mindestlohngrenze
Der anhaltende Boom im Straßengüterverkehr bläht das Problem noch weiter auf. Aufgrund der EU-Osterweiterung ist die Lkw-Karawane zwischen 1990 und 2010 bereits um mehr als 80 Prozent gewachsen. Bis 2030 soll die Zahl der Tonnenkilometer auf deutschen Straßen laut Bundesverkehrsministerium um weitere 39 Prozent zulegen. Für die EU ist sogar ein Anstieg um bis zu 44 Prozent in einzelnen Gebieten möglich. Gerade auf Langstrecken fehlen daher qualifizierte Trucker.
Daimler hat sich entschlossen, die Seele des allein reisenden Mannes mit besonderen Kontaktanzeigen zu streicheln: "Büroarbeiter fahren morgens in die Tiefgarage. Trucker in den Sonnenaufgang", ist eine zartrosa Bergidylle unterschrieben. Die Morgenröte soll Aufbruchstimmung in einer Branche signalisieren, die einen der härtesten Jobs an der Mindestlohngrenze bietet.
Bewegungsmangel und Stress im Stau
Trucker müssen sich zwar nicht mehr an riesigen Lenkrädern ohne Hydraulik-Unterstützung abmühen oder mehr als ein Dutzend Gänge ohne Automatik sortieren. Dafür leiden viele von ihnen an Bewegungsmangel und den überfüllten Fernstraßen, die jeden Terminplan zu Makulatur machen. Allein in Deutschland summierten sich die Staus auf Autobahnen und Fernstraßen im Jahr 2012 auf knapp 600 000 km Länge. Besonders viel befahrene Abschnitte müssen werktäglich zwischen 150 000 und 200 000 Fahrzeuge verkraften, darunter mehr als 20 000 Lkw.
Angesichts der realen Blechflut wirkt Daimlers Appell an den Fernfahrernachwuchs so kitschig wie das gezeigte Alpenglühen: "Truckern liegt die Welt zu Füßen. Jetzt den Lkw-Führerschein machen", wirbt der weltgrößte Nutzfahrzeughersteller im Breitwandformat.
Das plakatierte Klischee vom freien und selbstbestimmten Trucker kann kaum darüber hinwegtäuschen, dass sich der Berufsstand genau wie die Logistikbranche im radikalen Wandel befinden. Zwar geben immer noch 67 Prozent der befragten Fernfahrer den "Spaß am Fahren" als Grund für ihre Berufswahl an. Das Kennenlernen von fremden Städten und Ländern motiviert ein Drittel der harten Kerle ebenso, sich auf den Bock zu setzen wie die Vorstellung "Ich bin mein eigener Chef" .