Autonomes Fahren:Wettstreit um die automobile Zukunft

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So sieht der Prototyp von Googles selbstfahrendem Auto aus (Foto: Google)

Aus Autos werden mobile Endgeräte einer globalen Datenwolke mit eigener IP-Adresse: Im Automobilbau steht die digitale Revolution kurz bevor. Die IT-Branche bringt sich dafür in Stellung - und droht, den klassischen Zulieferern den Rang abzulaufen.

Von Joachim Becker

Zwei Jahrzehnte sind eine Ewigkeit - zumindest in der Autoelektronik. 1994 bereitete Deutschlands erstes Navigationssystem ab Werk dem "Verfranzen in fremden Städten ein Ende", jubelte gerade das Fachmagazin Auto Motor und Sport. Mit seiner cordbraunen Bedienoberfläche und der pixeligen Auflösung wirkt der Ur-Lotse im BMW Siebener (E38) heute so nostalgisch wie ein Röhrenradio. Für eine einfache Routenberechnung braucht er mehrere Minuten, an eine Spracheingabe ist nicht zu denken.

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Erst im Jahr 2000 verstanden Pkws die ersten 20 Sprachbefehle sowie die Zahlen von Eins bis Neun. Seitdem hat sich die Vokabulargröße verzehntausendfacht. Aus primitiven Pfadfindern sind rollende Sprachcomputer geworden, die bald sogar Emotionen erkennen können. Bis zum Ende des Jahrzehnts werden sich Mensch und Maschine (fast) so natürlich unterhalten wie die Passagiere untereinander, kündigte Arnd Weil von Nuance Communications auf dem gerade zu Ende gegangenen 18. Kongress für Automobilelektronik in Ludwigsburg an.

Autos mit IP-Adressen

Modernste Routenführer kennen bereits mehrere Millionen Sehenswürdigkeiten, die sie auf Zuruf ins Visier nehmen. Doch die Bordsysteme im Auto sind mit derart großen Datenmengen hoffnungslos überfordert. Voraussetzung für viele Fortschritte bei Komfort- und Sicherheitssystemen ist die breitbandige Vernetzung mit den Datenwolken des Internets (Cloud). "Ich bin überzeugt, dass selbst Kleinwagen bis zum Ende des Jahrzehnts eine eigene IP-Adresse bekommen werden, über die sie Daten zur Fahrzeugumgebung mit einem IT-Backend austauschen werden", so Audis Leiter für Elektrik/Elektronik-Entwicklung Ricky Hudi.

Die Luftschnittstelle löst auch ein altbekanntes Problem der Branche: Im Vergleich zu den Innovationszyklen der Unterhaltungselektronik sehen Infotainmentsysteme im Auto schon überholt aus, wenn sie auf den Markt kommen. Durch eine eigene IP-Adresse lässt sich ein Fahrzeug wenigstens wie ein Smartphone auf den neuesten Software-Stand bringen.

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Chancen und Risiken der cloudbasierten Dienste wurden in Ludwigsburg ebenso diskutiert wie die Fortschritte beim pilotierten Fahren. "Heute passt die komplette Rechenleistung eines Audi A4 auf eine Leiterplatte im Din-A5-Format", erklärte Hudi und kündigte den Serienstart eines Bordrechners für automatisierte Fahrfunktionen an: "Der selbst lenkende Staupilot und das Einparken per Fernbedienung (Parkpilot) gehen bei Audi bald in Serie."

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Schon jetzt ist allerdings absehbar, dass die Leiterplatte unter dem Beifahrersitz nur ein Zwischenschritt in der explosiven digitalen Aufrüstung sein wird. Die Rechenleistung eines Laptops ist für die höheren Anforderungen des Gefahrenwerdens nicht ausreichend: "Unsere Testfahrzeuge brauchen die fünffache Rechenleistung eines PC", sagte Chris Urmson in Ludwigsburg. Der Chef des Google-Programms für automatisiertes Fahren verdeutlichte, was die Rechner im Kofferraum zum Glühen bringt: Trotz des extrem teuren Lidar-Scanners auf dem Dach sowie Radar- und Kamerasensoren in der Hülle kämpfen autonome Google-Mobile mit dem oft chaotischen Fahrradverkehr und GPS-Abweichungen von bis zu zehn Metern. Wenn die Verkehrslage unübersichtlich wird, bleiben die Kisten einfach stehen.

Google entwickelt seit 2009 fahrerlose Autos, mit mehr als einer Million Testkilometern sind die Kalifornier weltweit führend auf diesem Gebiet. Jüngster Coup des Suchmaschinen-Anbieters ist ein eigens entworfener Zweisitzer mit Elektroantrieb, der auf Lenkrad sowie Brems- und Gaspedale verzichtet. Hundert dieser eiförmigen Prototypen, die maximal 40 km/h schnell werden, sollen die Steuerungsalgorithmen für fahrerlose Autos in der Praxis überprüfen.

IT-Experte Urmson siegte bereits 2007 mit einem Forscher-Team der Carnegie Mellon Universität bei der DARPA Urban Challenge. Jetzt will er mit seiner Testflotte im kalifornischen Mountainview das Rennen um die automobile Zukunft gewinnen: In fünf Jahren sollen autonome Fahrzeuge mit Google-Technologie in Serie gehen.

Auf die Frage, ob Google unter die Autobauer gehen werde, antwortete Urmson spöttisch: "Wir werden bestimmt keine Bleche biegen. Erst einmal wollen wir die Technologie entwickeln, dann schauen wir, wo das Geschäftsmodell liegt." Seine zentrale Botschaft an die Automobilbranche: "Wir sind auf der Suche nach Partnern."

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Solche Avancen lassen bei den Automobilzulieferern die Alarmglocken klingeln. Während Bosch und Continental in Ludwigsburg auf eine Standardisierung von Elektronikprogrammen und Schnittstellen drangen, haben Apple mit 60 Milliarden Downloads und Google mit 50 Milliarden Android-Downloads längst die Standards für IT-Entwickler und erfolgreiche Geschäftsmodelle gesetzt. Kein Wunder, dass Autohersteller mit den IT-Titanen flirten, derweil Zulieferer wie Continental durch Kooperationen mit Cisco und IBM selbst zum System- und Softwareanbieter werden wollen.

Mit etlichen Milliarden Downloads haben Apple und Google längst Elektronik-Standards gesetzt

Bei der Selbstvermarktung sind die kalifornischen Trendsetter des digitalen Lifestyles in jedem Fall führend. Die jüngste Google-Offensive schreckt auch vor PR-Gags nicht zurück: Selbst in fünf Jahren werden Fahrzeuge ohne Lenkrad, Brems- und Gaspedale nicht zulassungsfähig sein. Die Krux am automatisierten Fahren ist ja gerade, dass nicht weniger, sondern mehr Sicherheitssysteme nötig sind, um Fehler des Autopiloten abzufangen.

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Auch der urbane Ersteinsatz des Gefahrenwerdens stieß in Ludwigsburg auf Skepsis: "Ich bin mir sicher, dass die Menschen auf Autobahnen freihändig fahren wollen, wenn der Preis stimmt", sagte Amnon Shashua, "aber im Stadtverkehr ist das alles viel schwieriger und teurer", so der Mitbegründer von Mobileye Vision Technologies.

Fortschritte in der Sensortechnik machen Maschinen-Chauffeure erst bezahlbar: Shashua kündigte in Ludwigsburg die dritte Generation von Monokameras mit einer zehn Mal so hohen Rechenleistung für das nächste Frühjahr an. Dank einer schnellen Mustererkennung sollen sie querende Fußgänger so präzise im Auge behalten wie Stereokameras. Allerdings hängt die optische Umfelderkennung (auch bei Lidar-Scannern) von guter Sicht ab. Bei Schmuddelwetter oder Dunkelheit erblinden die kleinen Zyklopenaugen hinter der Frontscheibe und der Fahrer muss wieder selbst ans Steuer. Auf absehbare Zeit wird das Auto nicht alle Fahrsituationen selbständig beherrschen. Dafür kann die einfühlsame Stimme aus der Bordelektronik demnächst Trost bei einem solchen Technikversagen spenden.

© SZ vom 21.06.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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