Mit einem Elchtest fing alles an: 1997 überschlug sich die erste Mercedes A-Klasse bei einem standardisierten Ausweichmanöver. Der Imageschaden war enorm, schließlich galten die Stuttgarter als Vorreiter bei der Fahrzeugsicherheit. Einziger Ausweg war das Elektronische Stabilitätsprogramm ESP, das Mercedes und Bosch seit 1987 entwickelt hatten. 1995 konnten Serienfahrzeuge damit erstmals schneller reagieren als jeder Fahrer. Anfänglich gab es den Schleuderschutz als 1725 Mark teures Extra nur für die Mercedes-Oberklasse. Die Serieneinführung in der A-Klasse und entsprechend hohe Stückzahlen senkten die Kosten allerdings rapide. Ein alter Traum von Ingenieuren und Sicherheitsforschern ging damit in Erfüllung: Intelligente Systeme machen Autos unabhängiger von den Fehlern ihrer Fahrer.
"Automatisiertes Fahren ist die Königsklasse der Fahrerassistenzsysteme", sagt Werner Huber, "das ist eine Riesenchance, um Unfälle ganz zu vermeiden", so der Leiter Fahrassistenz und Perzeption bei der BMW Group Forschung und Technik. Wie weit die aktive Sicherheit vorangekommen ist, zeigt ein BMW 235i auf der Rennstrecke von Las Vegas. Auf dem künstlich bewässerten Rundkurs droht das Heck des Zweitürers zwar immer wieder auszubrechen. Statt gegenzulenken, nimmt Yves Pilat das Steuer aber nicht einmal in die Hand. Der BMW-Entwicklungsingenieur schaut lediglich zu, wie sich das Fahrzeug im Grenzbereich selbsttätig stabilisiert. Während bisherige ESP-Regelsysteme einzelne Räder abbremsen, wird bei dem BMW Versuchsträger auch die elektrische Lenkung aktiv genutzt: Das Fahrzeug findet die Ideallinie durch Gegensteuern und Ausweichen.
Der Assistent steuert mit
Wie Motorsport-Profis nutzen intelligente Systeme künftig alle Möglichkeiten zur Fahrwerkskontrolle. Dank Umfelderkennung und Lenkeingriff wird der Autopilot eine Reihe von Fahreraufgaben übernehmen. Im neuen BMW Siebener soll der elektronische Schutzengel 2015 nicht nur als fortgeschrittener Schleuderschutz in Serie gehen. Das kommende Topmodell aus München lässt sich auch mit einem Spurhalteassistenten ausstatten, der bis 210 km/h aktiv mitsteuert - vorausgesetzt der Fahrer behält die Hände am Lenkrad. Telefonate über die Freisprechanlage werden so wesentlich sicherer. Die nächste Generation des Spurwechselassistenten kann ebenfalls gegensteuern, wenn der Wagen seitlich einem anderen Fahrzeug zu nahe kommt. Erstmals wird auch das ferngesteuerte Einparken in enge Garagen oder Parkplätze von außerhalb des BMW Siebener möglich sein.
Noch reden wir über Assistenzsysteme, die unter der Aufsicht des Fahrers stehen. Bis zum Ende des Jahrzehnts sollen Autos dann zu digitalen Begleitern werden, die auf Autobahnpassagen auch eine Chauffeur-Funktion bieten. Wohin die Reise geht, hat Mercedes mit der Bertha-Benz-Fahrt im Sommer des vergangenen Jahres gezeigt. Für die erste autonome Stadt- und Überlandfahrt wurden die Stuttgarter mit dem Plus X Award als "Global Technology Innovator 2013" ausgezeichnet. Verblüffend war vor allem, dass sie ihr Geheimprojekt mit seriennaher Technik bewältigen konnten. Die S-Klasse war über Radarsensoren und eine Stereokamera hinaus lediglich mit zusätzlichen Rechnerkapazitäten und einer Kamera unter anderem für die Ampelerkennung ausgestattet.
"Alle reden über autonome Fahrfunktionen - wir haben sie bereits in Serie", betont Mercedes-Entwicklungschef Thomas Weber. Auf Wunsch sorgen zwei Dutzend Sensoren dafür, dass die neue S-, E- und die C-Klasse bis zu einem Tempo von 60 km/h automatisch beschleunigen, bremsen und lenken kann - mit dem Fahrer als Kontrolleur, versteht sich. "Wir hatten die Stereokamera ursprünglich in der Sicherheitsforschung gegen Unfälle mit kreuzendem Verkehr entwickelt", berichtet Thomas Weber, "2010 habe ich mit Dieter Zetsche dann die Idee des autonomen Fahrens auf den Weg gebracht. Außer uns wusste bis zur IAA nur ein kleiner Kreis von Entwicklern von der geplanten Bertha-Benz-Fahrt."
Mercedes drückt wie Audi, BMW und Toyota beim Autopiloten auf's Tempo. Zu groß ist die Angst, dass Elektronikunternehmen wie Google bei dem Zukunftsthema in Führung gehen. Nach Jahren der Probeläufe auf abgesperrten Teststrecken traute sich der Internetkonzern 2010 als erster mit einer ganzen Flotte von Versuchsfahrzeugen auf öffentliche Straßen. Was Google mit seinen Roboterautos bezweckt, ist weiter unklar. Die Waschtrommel auf dem Dach zum Laserscannen kostet mehr als 50 000 Euro und lässt sich in Serienautos nicht sinnvoll einsetzen. Es geht eher um die Daten, die im Kofferraum voller Hochleistungscomputer gesammelt werden. Die Rechner werten neben Kamera- und Radardaten vor allem die Informationsflut eines Laserscanners (Lidar) aus.
Gigantische Datenmengen werden verarbeitet
Solche optischen Systeme werden in modernen Kassensystemen ebenso eingesetzt wie in City-Stop-Notbremssystemen. BMW hat seine hoch automatisierten Testfahrzeuge mit vier kleinen Laserscannern an den Fahrzeugecken ausgestattet. 2015 soll ein umfangreicher Flottentest zeigen, wie zuverlässig die Sensoren ihre Umwelt erfassen. "Lidar zeigt nur die Umrisse eines Objekts als Skulptur, nicht aber die Textur der Oberfläche. Für eine schnelle Unterscheidung zwischen einem Hydranten und einem spielenden Kind kann die Textur aber sehr hilfreich sein", erklärt Christian Senger, Continental Forschungschef für Automobilelektronik.
Gigantische Datenmengen werden beim automatisierten Fahren verarbeitet. Vor allem Stereokameras liefern pro Minute bereits einen Datenstrom von einem Gigabyte. Um in Echtzeit die richtigen Muster aus diesem Meer von Rohdaten herauszufischen, muss das gesamte Bordnetz umgebaut werden. Bisher werteten Radarsensoren und Kameras ihre Signale dezentral aus. Erst dann meldete das Assistenzsystem die Ergebnisse an andere Bordrechner. Für das hoch automatisierte Fahren müssen alle Rohdaten an zentraler Stelle zusammenlaufen, um sie unverzüglich miteinander abgleichen zu können. Für diese Datenfusion sind Computerleistungen nötig, über die bisher nur Großrechner verfügten. "2016 bringen wir den neuen Nvidia-Prozessor Tegra K1 mit 192 Kernen in unsere Autos", kündigte Audi-Entwicklungsvorstand Ulrich Hackenberg auf der CES in Las Vegas an.
Ein Zusammenspiel wie zwischen Pferd und Reiter
Dank Synergien mit der Unterhaltungselektronik soll das Superhirn, das auch für neue Infotainmentsysteme im Fahrzeug genutzt wird, nur wenige hundert Euro kosten. Ebenso entscheidend sind Fortschritte bei der Software. "Bei den Algorithmen trennt sich die Spreu vom Weizen", sagt Christian Senger: "Automatisiertes Fahren ist nur realisierbar, wenn Hersteller und Systemzulieferer noch enger den Schulterschluss in Forschung und Entwicklung suchen. Unsere gemeinsame Forschungskooperation mit der BMW Group trägt diesem Umstand konsequent Rechnung."
Die Teambildung von Fahrer und Fahrzeug ist genauso im Gange wie die Suche nach neuen Partnern in der Zuliefererindustrie. Ziel ist ein lernendes Zusammenspiel wie zwischen Pferd und Reiter: "Der Reiter gibt die Richtung vor, die Feinsteuerung und Spurhaltung übernimmt das Pferd", so Christian Senger, "die Schnittstelle von Mensch und Maschine muss genauso intuitiv funktionieren wie die Zügel." Noch ruckeln hoch automatisierte Autos wie übervorsichtige Fahranfänger über die Straße. Was an vorausschauender Umfelderkennung fehlt, muss das Internet beisteuern. Erst ein Abbild des Verkehrsgeschehens in der Cloud lässt Autos um die Ecke und über Hügel schauen. Sensordaten vieler Fahrzeuge sind dafür nötig. Hier kommt Google wieder ins Spiel, aber auch IBM und Cisco sowie Continental und Bosch arbeiten an diesem virtuellen Sensor. Wer beim Rennen in die Zukunft vorne liegt, ist noch längst nicht ausgemacht.