Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt hat den Vertrag mit dem Lkw-Mautbetreiber Toll Collect soeben um drei Jahre verlängert. Der Vertrag wäre am 31. August 2015 ausgelaufen; jetzt läuft er bis 2018. Das ist nicht unbedingt eine Sensation, aber bemerkenswert.
Bemerkenswert ist das vor allem deswegen, weil der Bund seit gut acht Jahren mit Toll Collect im Streit liegt und dieser Streit einfach kein Ende findet. Womöglich ist die Vertragsverlängerung Teil eines sich anbahnenden Vergleichs. Deal nennt man heute so etwas.
Es geht bei dem Streit zwischen dem Bund und der Toll Collect GmbH (Hauptgesellschafter sind Daimler und die Telekom) um ungeheuer viel Geld: Der Bund hat Toll Collect auf insgesamt sieben Milliarden Euro verklagt. Der Grund: Das Mauterfassungssystem ist bekanntlich erst Anfang 2005 in Betrieb gegangen, 16 Monate später als vereinbart. Daraus errechnet der Bund die Streitsumme; sie setzt sich zusammen aus Schadenersatz für den Mautausfall, aus Vertragsstrafen und den Zinsen.
Darüber wird nun seit acht Jahren gestritten: nicht vor den ordentlichen Gerichten, also nicht vor der staatlichen deutschen Justiz, weil die angeblich viel zu langsam und mit ihrem Instanzenzug viel zu umständlich ist - sondern vor einem privaten Schiedsgericht. Dieses Verfahren ist wie ein Bandwurm, es zieht sich elend.
Toll Collect klagt gegen den Bund
Es mag gut sein, dass die Verlängerung des Toll Collect-Vertrags das Verhandlungsklima positiv beeinflussen soll - um zu einer gütlichen Einigung zu kommen. Die nächste Verhandlungsrunde des in München tagenden geheimen Schiedsgerichts steht bevor. Und es geht dabei nicht nur um die sieben Milliarden Euro, die der Bund von Toll Collect haben will; das ist das Schiedsverfahren Nummer 1.
Es gibt auch noch ein Schiedsverfahren Nummer 2. In diesem zweiten Verfahren klagt nicht der Bund gegen Toll Collect, sondern Toll Collect klagt gegen den Bund. Der Bund behält nämlich seit Jahren Teile der Vergütung aus den Mauteinnahmen zurück, welche eigentlich Toll Collect gebühren.
Auf diese Weise versucht der Bund, die Vertragsstrafe zu kassieren, die ihm seiner Meinung nach zusteht. Das Ganze ist ein hochkompliziertes Rechtsverfahren, das den Namen "Komplex" wirklich verdient - mir Schränken voller Akten. Und das Ganze ist auch ein Exempel dafür, dass ein privates Schiedsgerichtsverfahren der staatlichen Justiz mitnichten überlegen ist. Das aber wird derzeit gern und laut behauptet, zum Beispiel bei den Verhandlungen zum Freihandelsabkommen TTIP zwischen der Europäischen Union und den Vereinigten Staaten.
Im TTIP ist vorgesehen, dass es für die Investoren künftig Privatgerichte geben soll - vor denen die Investoren die Staaten (nicht aber die Staaten die Investoren) verklagen können. Private Schiedsgerichte tagen, anders als die staatlichen Gerichte, geheim. Das ist bei Schiedsgerichten so üblich; unter anderem deswegen vereinbart man ihre Zuständigkeit. Das führt aber beispielsweise dazu, dass kein Mensch derzeit über die Milliardenverhandlungen zwischen dem Bund und Toll Collect etwas weiß. Irgendwann wird es ein Urteil geben oder einen Vergleich. Der wird dann gewiss irgendwie bekannt werden. Aber niemand wird beurteilen können, wie es dazu gekommen und ob es dabei wirklich mit rechten Dingen zugegangen ist.
Schnell ist das Schiedsgerichtsverfahren, wie sich im Fall Toll Collect zeigt, nicht unbedingt. Und billig ist es mitnichten. Die Anwaltshonorare in diesen Verfahren sind exorbitant; die Richterhonorare auch. Das Toll-Collect-Schiedsgerichtsverfahren soll allein den Bund bis jetzt an die 100 Millionen Euro gekostet haben. Die Gebührenordnung schreibt sich ein Schiedsgericht selbst.
Und noch ein Treppenwitz: Wer entscheidet, wenn es bei der Besetzung des privaten Schiedsgerichts Probleme gibt? Die ordentliche staatliche Justiz! Als sich im Toll-Collect-Verfahren die streitenden Parteien nach Erkrankung des bisherigen Schiedsgerichtsvorsitzenden nicht auf einen Nachfolger einigen konnten, musste das Landgericht entscheiden - und einen Vorsitzenden für das private Gericht einsetzen: Es wurde Wolfgang Nitsche, ein ehemaliger Richter am Oberlandesgericht München.
Der Aufbau eines umfassenden privaten Parallelrechts für Konzerne, wie es im Rahmen der Freihandelsabkommen geplant ist, wäre nicht nur grundgesetzwidrig. Eine private Paralleljustiz wäre auch bei weitem nicht so schnell und praktisch, wie es allenthalben behauptet wird; das lehrt das Toll-Collect-Verfahren. Eine transparente, rechtsstaatliche Justiz ist durch nichts zu ersetzen.